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Das Atomkraftwerk Philippsburg wird von einem hausgemachten Skandal erschüttert.

© picture-alliance/ dpa

Atomkraftwerk Philippsburg: Der Mensch als Sicherheitsrisiko

Die vorgetäuschte Sicherheitsprüfungen beim Atomkraftwerk Philippsburg zeigen: Der Mensch ist auch ein erheblicher Risikofaktor.

Das Atomkraftwerk Philippsburg wird von einem hausgemachten Skandal erschüttert. Der Betreiber hat bei Untersuchungen festgestellt, dass ein Mitarbeiter eine regelmäßig vorzunehmende Prüfung an einem Störfallmonitor zwar in einem Prüfprotokoll dokumentiert hat, die eigentliche Prüfung aber gar nicht vorgenommen hatte. Weitere Nachforschungen ergaben, dass der Beschäftigte die Kontrolle in sieben weiteren Fällen nur vortäuschte.

Das Umweltministerium Baden-Württembergs als zuständige Aufsichtsbehörde reagierte mit einer Anordnung. Danach soll dem Betreiber EnBW nach einer noch ausstehenden Anhörung vorläufig untersagt werden, den Reaktor wieder anzufahren. Er steht derzeit wegen Revisionsarbeiten ohnehin still, nach bisheriger Planung sollte er im Mai wieder hochgefahren werden. „Aber bevor die EnBW nicht nachgewiesen hat, dass die Anlage vorschriftsmäßig und sicher betrieben wird, darf sie nicht mehr angefahren werden“, sagte Umweltminister Franz Untersteller von den Grünen. Er erwartet von EnBW Vorkehrungen, um solche Täuschungen künftig auszuschließen.

„Meines Wissens nach ist es das erste Mal, dass eine vorgeschriebene Prüfung in einem deutschen Kernkraftwerk offenbar bewusst vorgetäuscht wurde“, sagte Untersteller. „Das ist hochgradig beunruhigend und nicht akzeptabel.“ Die Grünen im Bundestag verlangen nun ein Einschreiten der Bundesatomaufsicht. Es müsse analysiert werden, ob es Lücken im deutschen Regelwerk für Akw-Prüfungen gebe, erklärte die Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl.

Umweltschützer meinen, das Kartenhaus der angeblichen Sicherheit von Atomkraftwerken breche immer mehr in sich zusammen. „Jahrelang wollte man uns weismachen, die früheren Schlampereien und Fehler in Philippsburg seien aufgearbeitet und Vergangenheit“, sagt Franz Wagner vom Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn. EnBW hatte 2001 eingeräumt, dass beim Wiederanfahren der Anlage nach Revisionen 17 Jahre lang die vorgeschriebenen Füllstände des Notkühlsystems nicht eingehalten wurden. „Jetzt liegt offen, dass EnBW kein Vertrauen verdient, sondern dass in Akws immer mit Misswirtschaft, mit Fehlern und sogar mit direktem Betrug gerechnet werden muss“, sagt Wagner. In Zeiten des Spardrucks gelte das erst recht.

Das extremste Beispiel für menschliches Versagen war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl

Vergleichbare Fälle menschlichen Versagens wie in Philippsburg sind in der Bundesrepublik bislang nicht bekannt geworden. Im Ausland hingegen sind mehrfach besorgniserregende Vorfälle ausgelöst worden. So fälschte 2003 im US-amerikanischen Akw Dresden (Illinois) ein Abteilungsleiter Sicherheitsbelege. Obwohl er wusste, dass drei Schleusen nicht kontrolliert worden waren und eine Sicherheitstür bei der Inspektion durchfiel, bescheinigte er mit seiner Unterschrift auf dem Überprüfungsprotokoll, dass alles kontrolliert worden sei. Im selben Jahr überprüfte im Akw Browns Ferry (Alabama) ein Arbeiter mit einer Kerze die Luftströmung bei einem Kabelbündel. Dabei kam er mit der Kerze zu nahe an die Isolierung. Sie fing Feuer, der Brand breitete sich in einem Raum aus, durch den sämtliche wichtigen Steuerkabel führten. Der Atomreaktor geriet für mehrere Stunden außer Kontrolle.

Das extremste Beispiel für menschliches Versagen war die Reaktorkatastrophe im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl vor 30 Jahren. Bevor die Decke in Block Nummer vier explodierte und eine große radioaktive Wolke über halb Europa zog, hatten Beschäftigte gleich eine ganze Reihe von Vorschriften grob missachtet. „Fehler, Fahrlässigkeiten oder gar Vorsatz sind nie völlig auszuschließen, wo Menschen tätig sind“, sagte der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) zum 25. Jahrestag. „Der Faktor Mensch ist Bestandteil des Restrisikos und muss daher ebenso in die gegenwärtige Neubewertung der Sicherheitsmaßnahmen einbezogen werden wie etwa Erdbeben, Hochwasser, Stromausfall oder Flugzeugabstürze.“

Eine ganz neue Bewertung des Risikofaktors Mensch ergibt sich durch zunehmende Indizien, dass Terroristen Anschläge auf oder in Atomanlagen planen könnten. Zwar gibt es solche Warnungen schon lange, sie blieben aber abstrakt und flossen in die Sicherheitsbewertungen meist nicht ein. Erstmals konstatierte 2013 das Oberverwaltungsgericht Schleswig, bei der Genehmigung des Atommüllzwischenlagers Brunsbüttel sei die Gefahr terroristischer Angriffe nicht ausreichend berücksichtigt worden. Inzwischen gibt es mehr Hinweise, dass es fanatische Islamisten auf Nuklearmaterial für schmutzige Bomben abgesehen haben könnten oder dass sie sogar in Atomkraftwerken Attentate verüben wollen.

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