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Bundeskanzler Olaf Scholz steuert in Stockholm einen Elektro-Truck.

© REUTERS

Scholz in Skandinavien: Der Kanzler sucht frische Energie und kommt ans Limit

Der Kanzler setzt auf Norwegen als wichtigsten Gaslieferanten. In Oslo merkt er, dass das nicht so einfach wird. Dafür entdeckt er eine neue Aufgabe für sich.

Ist der Kanzler schon amtsmüde? Olaf Scholz sitzt am Steuer eines batteriebetriebenen LKW. Und grinst. Das sei wohl der beste Moment für ihn in dieser Woche, sagt er. Er hat mal Spaß in Zeiten der Dauerkrise und des Dauerdrucks. Der Kanzler scheucht mit einer Handbewegung oben auf dem Fahrersitz des 7,5-Tonners Fotografen weg.

Ein deutscher Bodyguard fragt den anderen: „Fährst Du mit?“ Antwort: „Nö, ist mir zu unsicher.“ Der Kanzler hat zwar einen Führerschein. Aber sein Auto hat er schon vor einiger Zeit verkauft. Die Bodyguards fahren lieber in der Kanzlerlimousine hinterher.

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Scholz gibt behutsam Gas und surrt davon. Drei Kilometer geht es unfallfrei über die Teststrecke auf dem Scania-Gelände bei Stockholm. Dann klettert Scholz aus dem Führerhaus und sagt auf Englisch: „Ich möchte LKW-Fahrer werden.“

Scholz betont, es gehe hier um die Sicherung von Arbeitsplätzen für Trucker und neue Arbeitsplätze für den klimaneutralen Transport, etwa auch durch neue Batteriefabriken. Im anderen Truck ist Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson gefahren – für ein Bild setzen sich auch nochmal gemeinsam in einen LKW mit Andersson am Steuer.

„Wir beide werden jetzt Trucker, und dann ist unsere Zukunft auch gesichert“, meint Scholz Er gibt hier auch etwas Wahlkampfhilfe für die Sozialdemokratin, am 11. September sind Reichstagswahlen in Schweden.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schaut sich im Munch-Museum eine Version von Edvard Munchs „Der Schrei“ an.

© dpa/Kay Nietfeld

Den „Schrei“ hat Olaf Scholz zuvor eher regungslos zur Kenntnis genommen. Beim Rundgang durch das Munch-Museum ist ein Kanzler zu sehen, der nachdenklich die Szenerie betrachtet. Das Gemälde passt irgendwie zu den Zeitläufen des Jahres 2022. Schließlich verarbeitete Edvard Munch in seinem berühmtesten Werk eine Angstattacke.

Scholz' wichtigste Aufgabe ist es gerade, den Bürgern Ängste zu nehmen, vor hohen Kosten und einer durch Krieg und Klimawandel in Frage stehenden Zukunft. Diese Aufgabe verfolgt ihn auch in Oslo und anschließend am Dienstag in Stockholm.

Vier Regierungschefinnen, zwei Regierungschefs

Zunächst gab es im Osloer Munch Museum, dessen 13 Stockwerke sich spektakulär Richtung Bucht beugen, ein Treffen mit den nordischen Regierungschefs, vier Frauen – Katrín Jakobsdóttir (Island), Mette Frederiksen (Dänemark), Magdalena Andersson (Schweden) und Sanna Marin (Finnland) – und ein Mann, Jonas Gahr Store (Norwegen). Scholz, der sich gern als Feminist bezeichnet, preist die nordischen Länder als „Role Model“. Es ist auch ein sozialdemokratisches Familientreffen, die Isländerin Jakobsdottir merkt an, sie als Links-Grüne falle hier ja fast etwas aus dem Rahmen.

Die Regierungschefinnen sind in der Überzahl beim nordisch-deutschen Treffen.

© dpa/Kay Nietfeld

Ist es wirklich nur „Putins Krieg“? – Dissens über Visa-Bann für Russen

Ein Dissens zeigte sich hier aber bei der Frage, ob es für Russen einen Einreisebann in die EU geben soll, um den inneren Druck auf Wladimir Putin zu steigern. Die Finnin Marin machte am Wochenende erneut mit einem lässigen Outfit für den Besuch bei einem Festival Schlagzeilen, sie ist diejenige, die am deutlichsten eine Meinungsverschiedenheit mit Scholz zeigt.

Jede und jeder auf dem Podium soll bei der Pressekonferenz mal seine Haltung sagen zur Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj nach einem Einreisebann für Russen, um den inneren Druck auf Wladimir Putin zu steigern. Die Finnin Marin sagt: „Ich finde es nicht richtig, dass russische Bürger als Touristen in die EU und in den Schengen-Raum einreisen und Sightseeing machen können, während Russland Menschen in der Ukraine tötet.“

Scholz dagegen bekräftigt seine umstrittene These: „Das ist Putins Krieg, nicht der Krieg der Russen.“ Man dürfe oppositionellen Russen, die nach Europa wollten und von denen sich schon etliche in EU-Staaten aufhielten, nicht noch eine Flucht erschweren, meint Scholz. Aber im Land unterstützen eben auch viele Menschen den Krieg, die einseitige Propaganda verfängt, die es jeden Tag rauf und runter im TV zu sehen gibt.  

Daher sagt auch die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, dass man über ein Visums-Verbot sprechen müsse. Treiber eines Visum-Verbots sind Finnland, Estland und Litauen, weil sie als Grenzländer weiterhin viele Besucher aus Russland haben, die sich dort mit Waren eindecken, die unter die EU-Sanktionen fallen.

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Nach dem nordisch-deutschen Treffen fährt der Kanzler mit dem norwegischen Ministerpräsidenten Gahr Store per Boot – natürlich elektrisch betrieben – rüber zum Gästehaus der Regierung. Es weht beide fast weg, heftiger Regen hat eingesetzt. „Das Wetter fand ich großartig“, sagt der Hanseat Scholz danach. „Wir sind ja nicht aus Zucker.“ Es passt irgendwie zur Lage rund um den Stoiker Scholz.

Deutschlands zum Bittsteller geschrumpfte Rolle

Der norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Store von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei und die Schwedin Andersson loben Deutschland nach den bilateralen Treffen als wichtigsten Partner in Europa. Es habe eine enorme Bedeutung, dass Deutschland nun so stark in seine Verteidigung investiert. Scholz habe auch eine Zeitenwende in der Energiepolitik eingeleitet, sagt Gahr Store. „Du bist bei Freunden, Olaf.“

Aber ganz so ungetrübt ist der Schein dann doch nicht.

Dieser Skandinavien-Trip zeigt Deutschlands neue Rolle, die des Bittstellers und die des von der Solidarität anderer Abhängigen, weil man zu sehr auf die Russland-Karte gesetzt hat. Mit Katar hat es bisher nicht mit neuen Lieferverträgen geklappt, da das Land langfristige Verträge will, die Ampel-Koalition Gas aber nur als Brücke sieht, bis es genug erneuerbare Energien und marktreife Wasserstofftechnologien gibt.

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Dafür klingeln in Norwegen seit Kriegsbeginn die Kassen, das Land ersetzt in Deutschland Stück für Stück Russland als wichtigsten Lieferanten, die Offshore-Förderung in der Nordsee wurde ausgeweitet. Von Januar bis April diesen Jahres exportierte Norwegen fast 15 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland, fast doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum in 2021.

Norwegen ist Krisengewinner

Drei von sieben norwegischen Export-Pipelines führen nach Deutschland, zudem kommt viel Erdgas per Tanker. Auch der Flüssiggas-Transport soll ausgeweitet werden: Für die Einfuhr will Deutschland von Norwegen zwei schwimmende Flüssiggasterminals mieten. Gahr Store betont, man habe die Produktion nach dem russischen Angriff auf die Ukraine um fast zehn Prozent erhöht.

Eine schlechte Nachricht für Scholz

Der Nettogewinn des Energiekonzerns Equinor hat sich verdreifacht. Für das zweite Quartal meldete der Konzern einen Gewinn von mehr als 6,6 Milliarden Euro. Doch dann sagt der Ministerpräsident einen für Scholz ernüchternden Satz: „Norwegen liefert maximal das, was wir liefern können.“ Mehr geht nicht, das Erschließen neuer Quellen dauert.

Stürmische Zeiten: Der Kanzler setzt bei der Suche nach neuen Gasquellen vor allem auf Norwegens Ministerpräsidenten Jonas Gahr Store.

© Imago/NTB/Hakon Mosvold Larsen

Damit zerschlägt sich nach Katar bei einem weiteren Land die Hoffnung, schnell zusätzliche Mengen Gas beziehen zu können – und bald die Preise wieder in den Griff zu bekommen. Denn jeder Mangel bedeutet, dass diese weiter steigen können. Vor allem Russland profitiert davon und füllt trotz geringerer Lieferungen weiter die eigene Kriegskasse.

„You'll never walk alone“ – aber wie wird das finanziert?

Scholz schaltet sich von Skandinavien aus auch zum heimischen Streitthema Gas-Umlage ein; man arbeite intensiv an einem weiteren Milliardenpaket. Aber die entscheidende Frage bleibt offen: Wie soll das finanziert werden? Wo doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) das Geld zusammenhalten und im kommenden Jahr auf Biegen und Brechen die Schuldenbremse wieder einhalten will. Über einen Nachtragshaushalt? Wird es weitere Energiepreispauschalen geben neben den 300 Euro im September?

Zur Methode Scholz gehört, sich so lange nicht festzulegen, bis das Ergebnis feststeht – dann kann man auch nicht als Verlierer dastehen. Er macht in der Regel keine Versprechen, aber sein „You’ll never walk alone“ weckt große Erwartungen, daran wird er nun gemessen werden.

Vor allem braucht Scholz mehr Gas, damit Deutschland überhaupt ohne größere Verwerfungen über den Winter kommt, Die Gas-Umlage ist als Notinstrument zur Stützung der Gashändler eingeführt worden, da sie enorme Zusatzausgaben haben, weil sie Gas aus anderen Quellen beziehen müssen, seit immer weniger billiges russisches Gas geschickt wird.

Scholz betont, dass die ganze Infrastruktur nun so umgebaut werde, dass man nie wieder von einem Land so abhängig wird wie von Russland. Vier Flüssiggas-Terminals in Lubmin, Stade, Brunsbüttel und Wilhelmshaven sollen möglichst rasch ans Netz gehen. „Ich bin sehr froh, dass wir mit Norwegen einen sicheren, demokratischen und verlässlichen Partner haben. Auf Norwegen kann man sich verlassen“, sagt der Kanzler.

Das nächste Geschäftsfeld: die CO2-Verpressung in der Nordsee

In Deutschland bereitet die Regierung die Bürger auf Wohlstandsverluste vor, in Norwegen wächst der Wohlstand, gerade auch wegen des Themas Energie. Gahr Store hat noch ein Geschäftsfeld im Blick. Die Abscheidung und unterirdische Verpressung von CO2 unter der Nordsee (CCS), um die europäischen Klimaziele zu erreichen.

Auch aus Deutschland könnte so CO2 hierhin kommen, die Energieriesen Equinor, Shell und Total planen Pipelines in der Nordsee, um jedes Jahr Millionen Tonnen CO2 im Untergrund zu verpressen. Scholz fand schon die Pilotprojekte in Deutschland spannend, etwa von Vattenfall in der Lausitz bei Braunkohlekraftwerken. Aber dann rebellierten Bürger gegen die Gefahren von „CO2-Endlagern“, vor allem in Schleswig-Holstein, wo es geeignete Lagergebiete gibt – und die Pläne waren tot.

„Wir kennen Eure Ängste“, sagt Gahr Store. „Wir können eine andere Geschichte erzählen.“ Man habe hier 30 Jahre lang Erfahrungen gesammelt, das CO2 werde 3000 Meter unter dem Meeresgrund verpresst. „Das ist ein sicherer Lagerort.“

Schweden würde mehr Strom liefern – aber es fehlt an Leitungen

In Stockholm werden der Kanzler und die schwedische Ministerpräsidentin am Dienstag gefragt, ob auch die Schweden nun verstärkt Energie sparen müssen, damit Deutschland es über den Winter schafft. Beide antworten diplomatisch, verweisen auf den EU-Plan, durch weniger Beleuchtung, Heizen und Klimatisieren oder kürzeres Duschen 15 Prozent Energie einzusparen.

So sollen gedrosselte Gaslieferungen aus Russland kompensiert werden. Aber Andersson sagt zugleich, dass zum Beispiel auch eine Steigerung der Stromlieferungen limitiert sei. „Wir haben uns das heute Morgen nochmal angeschaut. Die Leitung war voll.“ Auch mangelnde Transportkapazitäten sind so ein Hindernis.

Scholz hat im Grand Hotel Stockholm genächtigt, in dem die Nobelpreisträger vor ihrer Ehrung übernachten. Besondere Lösungen, um aus der Defensive in Sachen Energie und Klimawandel herauszubekommen, braucht der Kanzler gerade irgendwie auch.

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