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Harare, Simbabwe: Eine Krankenschwester verabreicht einem jungen Mann eine Corona-Impfung.

© Imago

Zur Münchner Sicherheitskonferenz: Der gefährliche Egoismus der reichen Staaten

Globale Ungleichheit wird als Sicherheitsrisiko noch immer unterschätzt - ob bei der Covid-Impfkampagne oder beim Klimaschutz. Ein Gastbeitrag.

Offiziell verkünden Entscheidungsträger aus aller Welt das Credo der Weltgesundheitsorganisation: Niemand sei vor der Pandemie sicher, bis nicht alle Menschen vor ihr sicher sind. Solidarität mit anderen Nationen sei deshalb im ureigenen Interesse eines jeden Landes. Ihre Bevölkerungen aber scheinen das mitunter anders zu sehen.

In den Gesellschaften einiger einflussreicher Staaten, darunter den USA, China, Indien und Frankreich, ist man nämlich mehrheitlich davon überzeugt, das Coronavirus auch dann im eigenen Land erfolgreich eindämmen zu können, wenn es anderen Ländern an Impfstoffen mangelt. Das ergab eine von der Münchner Sicherheitskonferenz beauftragte Umfrage, deren Ergebnisse am 14. Februar im Rahmen des jährlichen Munich Security Report veröffentlicht wurden. Demnach bejahten in der Hälfte der zwölf G7- und BRICS-Staaten mehr Menschen die Frage, ob es möglich sei, Covid-19 im eigenen Land zu kontrollieren, ohne dass alle Länder mit Impfstoffen versorgt werden, als diese Frage verneinten.

[Dr. Sophie Eisentraut ist Head of Research & Publications bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Beitrag beruht auf einem Kapitel des Munich Security Report 2022.]

Die Auffassung, Ungleichheit in der weltweiten Impfstoffversorgung sei für die eigene Sicherheit kein größeres Problem, ist besorgniserregend, weil sie nicht nur den Umgang mit der Pandemie, sondern auch mit anderen globalen Sicherheitsrisiken prägt – zum Beispiel dem Klimawandel. Wohlstandsunterschiede und ungleicher Zugang zu wichtigen Ressourcen, so zumindest suggeriert politisches Handeln vielerorts, sind hauptsächlich für die Betroffenen ein Problem.

Es geht auch um andere Politikfelder

Das aber ist falsch. Studien zeigen, dass das Risiko neuer Virusvarianten an solchen Orten, die eine geringe Impfquote aufweisen, deutlich höher ist als dort, wo ein hoher Prozentanteil der Bevölkerung bereits geimpft ist. Und mit der Zunahme von Virusvarianten wiederum steigt das Risiko, dass existierende Impfstoffe an Wirksamkeit verlieren. Solange einige Länder und Regionen mit Vakzinen unterversorgt bleiben, sind also die Impffortschritte überall in Gefahr. Gleiches gilt für die wirtschaftliche Erholung. Denn schon Spekulationen über eine neue Mutante erschüttern die Finanzmärkte.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus - Deutsche für mehr Impfsolidarität: "Einige befürworten noch deutlich mehr"]

Dennoch herrscht massive Impfungleichheit. Laut dem Goalkeepers Report der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung wurde in der ersten Jahreshälfte 2021 auf dem afrikanischen Kontinent nicht mehr Impfstoff verabreicht als in Kalifornien. Reiche Länder haben nicht einmal genügend Impfstoff abgegeben, damit die Impfallianz COVAX ihr Ziel erreichen konnte, bis Ende 2021 zumindest 40 Prozent der Bevölkerung in jedem Land der Welt zu immunisieren.

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Aber auch in anderen Politikfeldern werden die globalen Risiken grassierender Ungleichheit nicht ausreichend erkannt. Klimapolitik ist hierfür ein Beispiel. Obwohl damit gerechnet wird, dass bis 2040 etwa 70 Prozent des globalen Energiebedarfs von Ländern außerhalb der OECD-Welt bestritten wird, tun reiche Staaten deutlich zu wenig, um weniger wohlhabende Länder mit jenen Ressourcen auszustatten, die sie für die Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft benötigen – zum Beispiel grüne Technologien.

Und obgleich der Präsident Ugandas, Yoweri Museveni, kürzlich vorgerechnet hat, dass Afrikas Energieverbrauch bis 2050 vermutlich das Niveau der EU überschreiten wird, bleiben Finanztransfers für Klimamaßnahmen in weniger wohlhabenden Ländern weit hinter dem Notwendigen zurück. Nicht einmal das 100-Milliarden-US-Dollar-Ziel scheinen Industrieländer erreicht zu haben, mit dem sie Entwicklungsländern zugesichert hatten, diesen ab 2020 jedes Jahr 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz zur Verfügung zu stellen.

Bei Ungleichheit innerhalb von Staaten scheint das Risikobewusstsein zu wachsen

UN-Generalsekretär António Guterres hat Covid-19 zu Recht als Ungleichheitspandemie bezeichnet. Schon jetzt hat die Pandemie viele Fortschritte zunichte gemacht. Das erste Mal seit 1990 ist die Zahl von Menschen, die in Armut leben, weltweit wohl wieder gewachsen. Gleichzeitig ist die Zahl derjenigen Menschen, die unter mittlerer oder schwerer Ernährungsunsicherheit leiden, um geschätzte 320 Millionen gestiegen.

[Lesen Sie mehr bei Tagesspiegel Plus - IPCC-Autoren über neuen Weltklimabericht: "Das Zeitfenster für eine klimaresiliente Welt schließt sich"]

Nicht überall aber mangelt es an einer Problemwahrnehmung von Ungleichheit. Denn zumindest, wenn es um Ungleichheit innerhalb von Staaten geht, scheint das Risikobewusstsein vielerorts zu wachsen. Viele Länder haben in den vergangenen Jahren soziale Unruhen erlebt, die im Zusammenhang mit wachsender innerstaatlicher Ungleichheit standen. Selbst die beiden Großmachtkonkurrenten, die USA und China, die derzeit kaum einen gemeinsamen Nenner finden, sind in einer Sorge geeint: der um wachsende Ungleichheit im eigenen Lande.

Nicht aber nur innerhalb vieler Länder besteht die dringende Notwendigkeit, den Einsatz für inklusives Wachstum, für größere Chancengleichheit, und für mehr Zusammenhalt und Solidarität zu verstärken. Zwischen Staaten besteht der gleiche Bedarf. Weil sich die Menschheit von der Lösung einiger ihrer größten Herausforderungen sonst immer weiter entfernt. Zum Schaden aller. Die Münchner Sicherheitskonferenz, die vom 18. bis 20. Februar stattfindet, wird diese Themen deshalb auf ihrer Agenda haben.

Sophie Eisentraut

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