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09.11.2020, Bayern, München: Markus Söder (CSU), Parteivorsitzender und Ministerpräsident von Bayern, gibt vor Beginn der CSU-Vorstandssitzung in der Parteizentrale ein Pressestatement.

© Sven Hoppe/dpa

Markus Söder passt sich an: Der erfrischende Opportunismus der CSU

Umwelt, Frauenquote, Beruf und Familie: Der unverhüllte Opportunismus des Markus Söder, dem Konservativen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Einer muss es ja tun, gegen den Strom schwimmen. Oder? Was vor Jahrzehnten einmal ein Wahlkampfrenner für die FDP war, mit dazugehörigem Plakat, das passt gegenwärtig auch auf die CSU. Könnte man denken. Was die so alles beschließt, und was ihr Vormann, Markus Söder, alles so sagt. Jüngst erst die Sache mit den Corona-Leugnern, die behandelt werden sollten wie Reichsbürger. Also hart, unnachsichtig. Der traut sich was. Oder?

Man kann aber auch das Gegenteil denken. Und zwar: Opportunismus, unverhüllt. Diese Anpassung an die neue Zeit (die so neu ja nun auch nicht mehr ist, aber was soll’s). Es ist, als sei Franz Josef Strauß selig, DIE CSU-Ikone überhaupt, aus dem Grabe wieder auferstanden. Der seinen Nachfahren einbläut, was er seinerzeit vormachte: Der Konservative marschiert an der Spitze des Fortschritts – um seine Richtung zu bestimmen. Das richtige Tempo kommt dann von alleine.

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Erfrischend ist es trotzdem: Digitalisierung, Mitgliederbeteiligung – ein Blick ins Parteiprogramm, und die anderen Parteien müssten blass werden. Die CSU ist ganz vorne. Umwelt, Naturschutz, nachhaltiges Wirtschaften, Versöhnung von Ökologie und Ökonomie: Wer hat‘s erfunden? Im Zweifel die CSU.

Der macht da keiner mehr was vor. Und keine Kröte ist mehr sicher davor, vom großen Vorsitzenden Söder gerettet zu werden. Wie passend, dass er auch noch Regierungschef in Bayern ist. Dem schönen Bayern, von dem die CSU sowieso überzeugt ist, es überhaupt erst erfunden zu haben. Das schrieb vormals ihr großer Chronist Herbert Riehl-Heyse so schön. Damals ironisch natürlich.

Kein CDU-Kandidat kommt an Söders-Werte heran

Aber der CSU ironisch zu kommen, wird schwierig. Sie überholt gerade links, auch den linken Flügel der CDU, und das will etwas heißen: nämlich, dass die CSU im Unionsduo das Sagen haben will. Offen nach allen Seiten, anschlussfähig an viele Milieus, in der Gesellschaft und bei den Parteien. Söder hat doch auch schon gesagt, was einer haben muss, der Kanzler werden will. Er muss Krise können – und Zukunft. Die kann man gewinnen wollen. Das war gewissermaßen ein Vorgriff aufs Wahlprogramm. Sein Wahlprogramm.

Denn Tatsache ist: Nicht nur er traut es sich zu, das Kanzleramt, die Mehrheit der Deutschen tut es außerdem, und in der Union tun sie es erst recht. Kein CDU-Kandidat hat diese Werte, diese Ausstrahlung übers eigene Lager hinaus. Das muss man sich mal vorstellen: ein CSU-Mann als Wegweiser in die Moderne. Von Horst Seehofer hätte das keiner gesagt, selbst nicht in seinen besten Zeiten. In der CSU wird ihnen schon ganz bange, dass Söder wirklich ernst macht mit Berlin.

Oder auch ernst macht mit dem, was im letzten Strategiepapier zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht. Christlich-Soziale Union, aber echt. Sie nimmt entschlossen die Frauen in den Blick. Entwirft Pläne zur Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden, die Forderung, in Börsenunternehmen mindestens eine Drittel-Frauenquote in Vorständen einzuführen, andere, flexibel berechnete Arbeitszeiten für Frauen, besseres Kindergeld, steuerlich geförderte Kinderbetreuung,  der Arbeit im Homeoffice, von Vätermonaten… Mann kommt gar nicht mehr hinterher, also bestimmt in der CSU.

Von Angela Merkel gelernt

Von der Spitze und an der Spitze führen: Söder und an seiner Seite Landesgruppenchef Alexander Dobrindt marschieren voran. Aber nicht, um zu bremsen. Sie denken weiter voraus, auch daran, was zu tun ist, um Mädchen heute und morgen mehr in MINT-Fächer zu bringen, für die Wissenschaften zu begeistern. Von der Kita an. Als hätten sie von Angela Merkel gelernt.

Opportunismus – oder Opportunität? Jedenfalls eine Sache der Gelegenheit. Und eine Angelegenheit, die aus vielen Gründen keinen Aufschub duldet. Die Gesellschaft ändert sich rasant, durch Corona noch einmal rasanter, da muss sich eine Partei wandeln, die Volkspartei sein und bleiben will. Eine muss es ja tun, oder? Kommt sie nicht voran, läuft ihr das Volk weg. Wenn das die Sozialdemokraten wüssten.

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