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Bundesaußenministerin Annalena Baerbock auf der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag in New York

© Imago/photothek

Hartes Urteil vom Sicherheitsexperten: „Der Atomwaffenverbotsvertrag ist mausetot“

Bundesaußenministerin Baerbock wirbt für Abrüstung von Atomwaffen, preist aber auch die nukleare Abschreckung der Nato. Experten streiten, ob das zusammenpasst.

Von Hans Monath

Als der russische Präsident Wladimir Putin Anfang des Jahres die Möglichkeit eines Einsatzes von Atomwaffen zur Absicherung seines Angriffs auf die Ukraine andeutete, hat er die Gefahren eines Nuklearkrieges wieder ins Bewusstsein von Politikern und Bürgern im Westen gerufen. Putin drohte damals jedem, der sich Russland entgegenstelle, mit „Konsequenzen, die sie niemals in der Geschichte erlebt haben“.

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Zugleich ließ Putin seine Nuklearstreitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzen. Auch deshalb bemühen sich Nato-Staaten bei ihrer Unterstützung der Ukraine, das Risiko einer atomaren Eskalation des Konfliktes zu begrenzen.

Seit Montag verhandelt Außenministerin Annalena Baerbock über das heikle Thema. Die Grünen-Politikerin nimmt in New York an der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag (NVV) teil, bevor sie nach Kanada reist.

Der Einsatz für nukleare Abrüstung sei „weiterhin extrem wichtig“, sagte sie zum Auftakt der Reise. Auch wenn ein Erfolg in der aktuellen Weltlage noch entfernt scheine, gelte: „Wir dürfen dieses Ziel nie aus den Augen verlieren, müssen hartnäckig dran bleiben, wenn es um seine Umsetzung geht.“

Russland habe wiederholt „rücksichtslose nukleare Rhetorik“ verwendet, mit der es die Bemühungen der letzten 50 Jahre um die Eindämmung von Atomwaffen weltweit aufs Spiel setze, sagte Baerbock auf der Konferenz später außerdem. US-Außenminister Antony Blinken warf Russland „gefährliches nukleares Säbelrasseln“ vor.

Putin beteuert, keinen Atomkrieg beginnen zu wollen

Ganz anders als noch vor ein paar Monaten klangen die Worte Putins, die er in einem Grußwort an die Konferenzteilnehmer richtete, das auf der Website des Kremls veröffentlicht wurde. Darin beteuerte Russlands Präsident, dass er nicht vorhabe, einen Atomkrieg vom Zaun zu brechen: „Wir gehen davon aus, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er niemals begonnen werden darf.“

Baerbocks Bekenntnis zu nuklearer Abrüstung steht in einer gewissen Spannung zu der Forderung der Grünen-Politiker nach Glaubwürdigkeit der atomaren Abschreckung der Nato. Im März bekannte sich die Außenministerin bei einer Grundsatzrede zur künftigen nationalen Sicherheitsstrategie, sie habe lernen müssen: „Wehrhaftigkeit entscheidet unsere Sicherheit.“

Und weiter: Der Krieg habe auch klar gemacht, dass die Atomwaffen der Nato wichtig seien. „Die nukleare Abschreckung der Nato muss glaubhaft bleiben“, forderte sie. Abrüstung sei wünschenswert. Es könne sie aber nur geben, wenn alle Seiten mitzögen. Ein solches Bekenntnis wäre von einer Spitzenpolitikerin einer Partei, die auch aus der Friedensbewegung kommt, vor dem 24. Februar undenkbar gewesen.

Die größten Arsenale von Atomwaffen befinden sich in den USA und in Russland.

© AFP

Die Außenministerin muss versuchen, mit diesen Widersprüchen Politik zu machen. Die Ampelkoalition bekennt sich wie Vorgängerregierungen zum Ziel der atomaren Abrüstung. Auf Druck der Grünen legt der Koalitionsvertrag zwar nicht fest, dass Deutschland dem Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) beitritt. Als Zeichen, dass die Ampelkoalition dessen Ziele teilt, nimmt Deutschland aber als Beobachter an dessen Konferenzen teil.

Der Verbotsvertrag untersagt die Entwicklung, die Lagerung, die Stationierung und den Einsatz von Atomwaffen sowie die Drohung damit. Vorgängerregierungen waren stets auf Distanz gegangen, weil in der Eifel US-Atomwaffen lagern, die Bundeswehr im Ernstfall diese ins Ziel tragen würde und Deutschland unter dem atomaren Schutzschirm der USA steht. Nato-Staaten haben den Vertrag nicht unterzeichnet.

Während Teile der SPD wie Fraktionschef Rolf Mützenich einen Ausstieg Deutschlands aus der nuklearen Teilhabe auch im nationalen Alleingang befürworten, tun die Grünen dies nicht. Dies gilt als realpolitischer Erfolg Baerbocks. Im Wahlprogramm bekennt sich ihre Partei zum Ziel atomarer Abrüstung, will diese aber gemeinsam mit den Verbündeten durchsetzen. Allerdings hat Putins Angriffskrieg in der Nato die Bereitschaft für Schritte zur atomaren Abrüstung nicht gestärkt, ganz im Gegenteil.

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Die Außenministerin und ihre schwedische Kollegin Ann Linde wollen im Rahmen der 2019 gegründeten Stockholm- Initiative für nukleare Abrüstung dazu beitragen, Gegensätze zwischen den 86 Unterzeichnern des Verbotsvertrags und den 191 Staaten zu überwinden, die den Nichtverbreitungsvertrag unterzeichnet haben.

Die Annäherung an den Verbotsvertrag werde „von den Alliierten durchgehend scharf kritisiert, weil Deutschland damit stückweise von der nuklearen Abschreckung abrückt“, urteilt etwa Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Unter Sicherheitsexperten ist umstritten, ob Baerbock Erfolg haben kann. An den Widersprüchen ihrer Ziele stört sich Peter Rudolf von der Stiftung Sicherheit und Politik (SWP) nicht. „Außenpolitik ist einer Vielzahl mitunter widersprechender Anforderungen und Erwartungen ausgesetzt, die schwerlich, zuweilen gar nicht zu erfüllen sind“, sagt er. Problematisch werde das Management von Erwartungen und Dilemmata nur dann „wenn einer konkreten Diskussion der Probleme ausgewichen wir, die mit der nuklearen Abschreckung einhergehen, etwa der Frage, was denn nun glaubwürdige nukleare Abschreckung bedeutet“.

Kritischer sieht der Kieler Krause Baerbocks Ansatz, auch wenn er ihr Bekenntnis zur Glaubwürdigkeit atomarer Abschreckung lobt. Ihre Äußerungen vom März zeigten, „dass es bei den Grünen wohl ein Umdenken gibt“.

Der Atomwaffenverbotsvertrag führe nicht zu nuklearer Abrüstung, warnt der Sicherheitsexperte: „Er schwächt nur die nukleare Abschreckung auf westlicher Seite und begünstigt autoritäre Atomwaffen-Staaten.“ Diese Einsicht wachse nun auch bei Grünen und Sozialdemokraten, hofft Krause. Sein hartes Urteil: „Der Vertrag ist mausetot.“

Dagegen meint Rudolf, Autor eines neuen Buches über Nuklearwaffenstrategie („Welt im Alarmzustand“), es gehe um einen dreistufigen Prozess, zunächst um die Stigmatisierung von Atomwaffen, dann ihre Delegitimierung, schließlich ihre Eliminierung. „Nichts weist darauf hin, dass der Vertrag über die beiden ersten Stufen hinauskommen kann“, urteilt der SWP-Experte. Nutzlos sei er deshalb aber nicht. Seine Bedeutung liege „vor allem darin, den Blick auf die verheerenden humanitären Folgen eines Atomwaffeneinsatzes zu lenken und die Scheu vor solchen Einsätzen zu stärken“. 

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