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Zwei syrische Geflüchtete arbeiten in der Altenpflege.

© Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

Debatte um Spurwechsler: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Punkt.

Wann werden wir es endlich kapieren? Dass es dumm ist, Menschen hier auszubilden, um sie dann wieder aus dem Land zu jagen. Schluss mit einer Lebenslüge. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Ein Gutes brachte der an Selbstzerfleischung grenzende Streit zwischen CSU und CDU über einen Asylkompromiss am Ende offenbar doch. Die SPD hatte ihre Zustimmung zur Einigung nur unter der Bedingung gegeben, dass die Arbeiten an einem Einwanderungsgesetz endlich konkretisiert würden. Horst Seehofer, der in der Sache zuständige Innenminister von der CSU, legte nun Eckpunkte für ein solches Gesetz vor. Die sind mit dem sozialdemokratischen Arbeitsminister Hubertus Heil und Wirtschaftsminister Peter Altmaier abgestimmt. Damit wurden alle drei Regierungsparteien eingebunden. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die vorgeschlagene Lösung nicht sofort wieder im Streit zwischen den verschiedenen involvierten Ministerien demontiert wird, die ihre parteipolitischen Differenzen gerne hinter vorgeschobenen Sachargumenten verstecken.

Damit gibt es, 63 Jahre nach dem ersten Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte, 1955 geschlossen zwischen Italien und der Bundesrepublik, erstmals die Bereitschaft zum Schlussstrich unter eine deutsche Lebenslüge – die Behauptung nämlich, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Diese vor allem von CDU und CSU krampfhaft vertretene Leugnung der Realität, hat zu einem schizophrenen Verhalten geführt. Das Land veränderte sich über Jahrzehnte hinweg durch Zuwanderung vor allem aus Ländern der Europäischen Union, aber auch der Türkei und der Maghrebstaaten. Und dies lange bevor vom Sommer 2015 an Hunderttausende von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten kamen.

Wir brauchen Krankenschwestern, Altenpfleger, Mechaniker ...

Unverdrossen unterstützte die offizielle deutsche Politik dennoch die Fiktion, es handele sich hier nicht um Migration, sondern um – ja, um was eigentlich? Arbeitsbienen? Zeitkräfte, die spätestens mit Eintritt des Pensionsalters wieder die Koffer packen? Und natürlich weder heiraten noch Kinder kriegen? Sich ganz sicher nicht mit der bio-deutschen Bevölkerung vermischen würden?

Die Wahrheit: 24 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund. Jeder zweite dieser 19,3 Millionen Menschen kann bei Reisen ins Ausland einen deutschen Pass vorzeigen. Daran hat uns gerade das Statistische Bundesamt erinnert. Wenige Wochen danach ist die Botschaft auch im Regierungsviertel angekommen. Nun dürfen Arbeitskräfte zuwandern, sich hier nach einem Job umschauen, und es müssen auch nicht mehr nur Akademiker sein, die erwünscht sind. Wir brauchen Krankenschwestern, Altenpfleger, Mechaniker, und, und, und... Damit ist auch klar: Wer wirklich nichts als arbeiten will in Deutschland, muss nicht mehr zweifelhafte Asylgründe vorschützen, um deutschen Boden betreten zu dürfen. Irgendwann werden wir auch kapieren, dass es dumm ist, Menschen hier auszubilden, um sie dann wieder aus dem Land zu jagen. Was jetzt Spurwechsel genannt und von Teilen der Union vehement abgelehnt wird, ist geradezu die Voraussetzung dafür, dass Handwerksmeister überhaupt bereit sind, diese Menschen auszubilden.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ist nun offiziell. Aber da dieses Faktum über Jahrzehnte geleugnet wurde, muss sich eine Willkommenskultur für Neuankömmlinge, wie klassische Migrationsländer sie haben, erst entwickeln. Hoffentlich dauert das dann nicht so lange wie die Einsicht in die Realität.

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