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Arbeiter in Ägypten entladen Weizen in einem Getreidesilo in Banha

© dpa/Xinhua/wst

Debatte um die Sanktionen gegen Russland: Bezahlen die Armen für die Politik des Westens?

Schwellen- und Entwicklungsländer fürchten, dass Sanktionen gegen Russland Hunger verursachen und ihre Wirtschaft ruinieren. Die Bundesregierung hält dagegen.

Von Hans Monath

Am Sonntag ist Olaf Scholz zu seiner ersten Afrika-Reise als Kanzler aufgebrochen. Im Senegal, in Niger und Südafrika dürfte der SPD-Politiker auch mit dem Vorwurf konfrontiert werden, dass die Reaktion des Westens auf Russlands Krieg seinen Gastländern schadet. Mehr als 40 Millionen Menschen werden in diesem Jahr wegen steigender Nahrungsmittelpreise zusätzlich von extremer Armut betroffen sein, schätzt das Center für Global Development. „Die Armen bezahlen für die Sanktionen des Westens“, warnte Amrita Narlikar, Präsidentin des German Institute for Global and Area Studies (GIGA) kürzlich im Tagesspiegel.

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Dass Schwellenländer die Sanktionen kritisch sehen, weiß auch Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD). Es sei ihm „sehr wichtig, dass wir über den Westen, die G7 hinausschauen", meinte er kürzlich vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Ein Frontstellung der Schwellenländer gegen den Norden müsse unbedingt vermieden werden. Doch schaden die eigenen Sanktionen den armen Ländern? Eine Übersicht.

Sanktionen gegen Güter

Die Bundesregierung weist diesen Vorwurf zurück. Die EU-Sanktionen seien „bewusst so gestaltet, dass humanitär wichtige Bereiche davon ausgenommen beziehungsweise nicht betroffen sind“, sagt eine Sprecherin des von Svenja Schulze (SPD) geführten Entwicklungsministeriums. Auslöser für die Ernährungskrise sei allein der „Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine“. 

Schwellen- und Entwicklungsländer bezogen bisher nicht nur Weizen, sondern auch in großem Maßstab Dünger und Pestizide aus Russland. Sanktionen sollten Nahrung, Dünger und Pestizide „ausnehmen oder es sollten für sie alternative Zahlungswege gefunden werden“, fordert deshalb Michael Büntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE).

Der Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen (VENRO) urteilt vorsichtig. „Sanktionen sind immer ein zweischneidiges Schwert“, meint Vorstandsvorsitzende Martina Schaub.

Hilfen für die armen Länder

Schulze, Außenministerin Annalena Baerbock und Ernährungsminister Cem Özdemir (beide Grüne) bemühen sich seit Wochen um Hilfe, damit das ukrainische Getreide trotz der Angriffe und der Blockade Russlands doch noch den Weltmarkt erreicht. Mit ihren Partnern im Rahmen der G7 haben sie dazu Initiativen angeschoben. Das Ernährungsministerium koordiniert nun eine „Task Force Ernährungskrise“, in der die drei Ministerien Vorschläge für den G7-Gipfel in Elmau Ende Juni erarbeiten.

[Lesen Sie auch: Der globale Süden und Russlands Krieg – „Die Armen bezahlen für die Sanktionen des Westens“ (T+)]

Kanzleramtsminister Schmidt verweist darauf, dass Deutschland 430 Millionen Euro zur für die globale Ernährungssicherheit zur Verfügung stellt, um die G7-Partner zu mehr Hilfen zu ermutigen. Die Regierung müsse „deutlich mehr Mittel bereitstellen, um die globalen Auswirkungen des Krieges zu bewältigen und vor allem auch um die Ernährungssysteme insgesamt krisenfester zu machen", mahnt dagegen VENRO-Chefin Schaub. Trotz des höheren Bedarfs infolge des Krieges sei „leider keine entsprechende Ausstattung des Budgets des Entwicklungsministeriums feststellen“.

Der Weizenexport aus der Ukraine ist zum Erliegen gekommen. Russland zerschießt Getreidesilos und blockiert das Schwarze Meer.
Der Weizenexport aus der Ukraine ist zum Erliegen gekommen. Russland zerschießt Getreidesilos und blockiert das Schwarze Meer.

© Kirill KUDRYAVTSEV/AFP

Zwar sei eine Kürzung im Haushalt 2022 verhindert worden, argumentiert die VENRO-Chefin. Doch sehe die mittelfristige Finanzplanung nach wie vor „ein deutliches Absinken der Mittel vor“. Ihr Resümee: „Damit rücken wichtige internationale Zielmarken zur Beseitigung von Armut, Krankheit und Hunger in weite Ferne.“

Abkoppelung von russischer Energie

Thorsten Benner vom Thinktank Global Public Policy Institute (GPPI) sagt: „Die Embargos gegen russisches Öl und Gas sind ein beträchtlicher Teil des Problems und sorgen mit dafür, dass die Preise weltweit steigen". Deshalb sollten viele deutsche Aktivisten „den moralischen Rigorismus überdenken, mit dem sie für globales Öl- und Gasembargo gegen Russland argumentieren". Der Thinktank-Gründer weiter: „Es ist einfach eine sehr, sehr schlechte Idee, den weltweit zweitgrößten Energielieferanten vom Markt ausschließen zu wollen."

Auch ein rein europäisches Ölembargo hätte den Effekt, die Preise weiter steigen zu lassen, worüber sich vor allem Putin freuen werde, der das Öl dann an andere Länder verkaufe. Benner empfiehlt, in einem breiten Abnehmerkartell gegenüber Russland einen Höchstpreis für das von dort stammende Öl festzulegen. Es könne dazu führen, „dass die Preise global stabilisiert und die Einnahmen des Kremls gekappt werden“.

Internationaler Zahlungsverkehr

Die westlichen Sanktionen schließen wichtige russische Banken vom internationalen Zahlungssystem Swift aus. Das trifft auch Kunden russischer Waren oder Dienstleistungen in armen Ländern. „Tendenziell gefährdet der Ausschluss aus Swift natürlich auch diese Zahlungen und den Finanzaustausch mit Schwellenländern", sagt dazu Sanktionsexperte Christian von Soest vom GIGA-Institut in Hamburg.

Zwar bemühe sich Russland mit China um den Aufbau alternativer Austauschsysteme, aber die funktionierten noch nicht umfassend. Auch gebe es noch russische Finanzinstitute wie die Gazprom-Bank, die weiter Zahlungen abwickelten. Schwerer zu beurteilen sei, ob unter bestimmten Umständen auch direkte Zahlungen für russische Produkte weiter möglich seien. 

Investitionen und Kredite

Josef Braml, USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Denkfabrik „Trilaterale Kommission“, sieht durchaus Kollateralschäden für arme Länder. US-Finanzministerin Janet Yellen rate „vor allem auch aus Eigeninteresse“ den Europäern mittlerweile davon ab, russischer Öllieferungen vollständig zu boykottieren. „Denn die damit verursachten höheren Ölpreise befeuern die Inflation, die die US-Notenbank zu einer restriktiveren Geldpolitik nötigt, die wiederum zu weiteren Einbrüchen an den US-Aktienmärkten und der US-Wirtschaft führen dürfte“, sagt Braml. 

In Odessa, dem letzten von der Ukraine kontrollierten Hafen am Schwarzen Meer, sind Schiffe festgesetzt, die sonst für Getreideexporte genutzt werden.
In Odessa, dem letzten von der Ukraine kontrollierten Hafen am Schwarzen Meer, sind Schiffe festgesetzt, die sonst für Getreideexporte genutzt werden.

© Valentyn Ogirenko/REUTERS

Weit stärker als westliche Volkswirtschaften seien aber Entwicklungsländer betroffen: „Im Zuge der restriktiveren Geldpolitiken westlicher Notenbanken müssen sie mit dem Abfluss internationaler Investitionen rechnen.“ Insbesondere jene Länder, die sich in der amerikanischen Währung verschuldet haben, würden wegen des steigenden Dollar-Kurses in größere Zahlungsschwierigkeiten kommen. „Ohnehin ist die Gefahr gleichzeitiger Wachstums-, Energie-, Nahrungsmittel- und Schuldenkrisen bereits für viele Entwicklungsländer besorgniserregend“, warnt Braml.

Fazit

Auslöser der neuen Krise ist der Krieg Russlands und der Versuch, Hunger als Waffe einzusetzen, damit Flüchtlingsströme Europa destabilisieren. Aber viel spricht dafür, dass auch die Reaktion des Westens arme Länder schädigt. Sanktionsexperte von Soest vom Giga-Forschungsinstitut sagt dazu: „Umfassende Sanktionen haben eine umfassende Wirkung, daran kommt man nicht vorbei.“

Was Entwicklungspolitiker im Bundestag sagen

Den Vorwurf, die EU-Sanktionen begünstigten Hunger, weist auch die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Deborah Düring, zurück. „Der Export von Energie und Nahrungsmitteln aus Russland ist explizit nicht von den Sanktionen betroffen“, sagt sie. Vielmehr benutze Russland „Hunger als Waffe“. Zudem gelte: „Dass zum Beispiel der Weizenpreis gerade auf astronomische Höhen klettert, hat vor allem mit den Spekulationen auf den Nahrungsmittelmärkten zu tun.“

Nicht einmal die oppositionelle Union sieht Fehler der Ampelkoalition bei den Sanktionen. „Der Ampel kann und will ich in diesem Fall keinen Vorwurf machen“, sagt ihr Entwicklungsexperte Volkmar Klein (CDU): „Russland blockiert die Exporte, um international Druck aufzubauen.“ Im Bundestag lehnen nur AfD und Linkspartei die Sanktionen ab.

Ali Al-Dailami, Entwicklungspolitiker der Linksfraktion, kritisiert: „Die Bundesregierung nimmt mit ihrer Sanktionspolitik bewusst in Kauf, dass auch die Zivilbevölkerung getroffen wird und setzt die Sanktionen als politisches Druckmittel gegen unliebsame Machthaber durch.“ Sie unterschätze, „dass es in den Ländern des globalen Südens ein Bewusstsein um die Auswirkungen von Sanktionen gibt, welche extreme Armut verschärft“.

Auch das sei ein Grund, weshalb 35 Staaten, insbesondere Schwellenländer wie Brasilien, Indien oder auch Südafrika, in der UN-Vollversammlung den Angriffskrieg Russlands nicht verurteilt hätten.

Kanzleramtsminister Schmidt will unbedingt vermeiden, dass sich in der neu herausbildenden Weltordnung künftig die Schwellenländer und ihre Verbündeten gegen die in G7-Industriestaaten stellen. Dabei sollen diplomatische Anstrengungen und Hilfen zur Ernährungssicherheit in den armen Länden beitragen. Eine solche Entwicklung, so sagte er bei seinem Auftritt vor der Sicherheitsakademie, fände er „ziemlich blöd“.

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