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Protest in Luzern: Das Covid-Zertifikat steht in der Kritik.

© imago images/Andreas Haas

In der Schweiz steigt der Druck auf Ungeimpfte: „Das Zertifikat erlaubt uns, Schadensbegrenzung zu betreiben“

Die Schweiz befürchtet eine „Epidemie der Ungeimpften“ – und will gegensteuern. Die Regierung plant eine Ausdehnung der Pflicht für das Covid-Zertifikat.

Nach dem Sommerurlaub droht den Schweizern ein ungemütlicher Herbst. Das Coronavirus breitet sich zwischen Bodensee und dem Tessin mit hohem Tempo wieder aus. Politiker und Behörden schlagen Alarm: „Wir müssen die aktuelle Lage als vierte Welle bezeichnen“, warnte Patrick Mathys, Leiter der Sektion Krisenbewältigung beim Bundesamt für Gesundheit BAG.

Mathys stuft die Situation als „ungünstig bis besorgniserregend“ ein. Die Regierung in Bern will nun gegensteuern – Gesundheitsminister Alain Berset plant eine „Ausdehnung der Pflicht für das Covid-Zertifikat“.

Neue Schließungen ganzer Branchen wie den Gaststätten oder gar Lockdowns will Berset seinen Landsleuten nicht zumuten. Bislang vertrauten die Schweizer im Kampf gegen Corona auf einen moderaten Kurs – so öffneten sie im Mai 2020 nach kurzer Covid-Pause ihre Schulen wieder, führten eine Maskenpflicht erst spät ein und gönnten den Skifahrern ihren Pistenspaß.

Jetzt zeigen viele relevanten Corona-Indikatoren bei den Eidgenossen nur in eine Richtung: nach oben. So stieg die Sieben-Tage-Inzidenz im Vergleich zur Vorwoche um zwölf Prozent. Am Freitag meldete das Schweizer BAG 2763 neue laborbestätigte Fälle.

Mehr Menschen im Krankenhaus

In Helvetien füllen sich auch wieder die Krankenhäuser mit Corona-Patienten. „Die Intensivstationen der Schweiz verzeichnen seit einigen Tagen wieder eine sehr starke Zunahme an kritisch kranken Covid-19-Patientinnen und -Patienten“, heißt es beim zuständigen Verband SGI. Zuletzt übersprang die Auslastung der Intensivstationen die Marke von 80 Prozent.

Experten fürchten, dass die Kliniken bald am Anschlag sind. Schon jetzt, so bestätigt Rudolf Hauri, Präsident der Kantonsärzte, komme es wieder vermehrt zu „Verlegungen“ von Patienten zwischen den Krankenhäusern. Ein klarer Indikator einer einsetzenden Überlastung.

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Für das heftige Einsetzen der vierten Welle macht Gesundheitsminister Berset mehrere Faktoren verantwortlich: die aggressive Virusvariante Delta, Reiserückkehrer sowie das Ende von Anti-Corona-Maßnahmen wie der Homeoffice-Pflicht.

Der „Hauptgrund“ für den Anstieg, so heißt es von der Regierung, dürfte aber in der geringen Vakzinierungsrate liegen: „In der Schweiz sind 56 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft, in der Europäischen Union dagegen 63 Prozent.

Fachleute wie Urs Karrer, Vizepräsident der wissenschaftlichen Taskforce der Schweiz, sprechen deshalb von einer „Epidemie der Ungeimpften“. Tatsächlich stellte sich heraus, dass neun von zehn der schwer erkrankten Corona-Patienten „nicht geimpft“ waren, schimpft Karrer.

Druck auf Ungeimpfte steigt

Der Auslastungsgrad in den Krankenhäusern könnte jedoch bald sinken. Denn die Regierung will den Druck auf Ungeimpfte erhöhen – mittels des Corona-Zertifikats. Mit diesem belegt der Inhaber, dass er geimpft, genesen oder getestet ist. Bislang gilt die Zertifikatspflicht etwa in Diskotheken und Tanzlokalen, nach Regierungsplänen soll sie auch in Innenbereichen von Restaurants, Bars, Kultur- und Freizeiteinrichtungen eingeführt werden.

Ebenso sollen Konzerte, Hochzeiten und andere Veranstaltungen in Gebäuden nur noch mit dem Dokument zugänglich sein. „Das Zertifikat ist die Maßnahme, welche uns erlaubt, Schadensbegrenzung zu betreiben“, wirbt Berset. In den nächsten Tagen könnte die Verschärfung beschlossen werden.

Die Regierung hat bereits entschieden, dass ab dem 1. Oktober der Staat nicht mehr die Testkosten für das Covid-Zertifikat übernimmt. Diejenigen Ungeimpften, die sich für ein Zertifikat testen lassen wollen, müssen dies dann selbst bezahlen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ sagt voraus: „Für Ungeimpfte würde es bei einer Ausdehnung der Zertifikatspflicht zunehmend kompliziert. Und teuer.“

Jan Dirk Herbermann

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