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Infiziert in die Disco. Ab Mai dürfen sich Menschen trotz eines positiven Covidtests maskenlos ins Getümmel stürzen.

© picture alliance/dpa

„Das werden nicht viele einhalten“: Mehr Freiheit – auch für das Virus

Ab Mai soll die Verpflichtung zur Isolation für Corona-Infizierte enden. Fachleute sehen die neue Freiwilligkeits-Regelung teils sehr kritisch.

Eins der wichtigsten Ziele in der Pandemie war es bisher, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Zu diesem gehören auch die Gesundheitsämter. Für sie dürfte ab Anfang Mai die Belastung tatsächlich spürbar abnehmen. Denn sie müssen dann für die allermeisten, die sich nachweislich mit dem Coronavirus infiziert haben, keine Isolation mehr anordnen.

Deren unmittelbare Kontaktpersonen müssen auch nicht mehr verpflichtend in Quarantäne. Die Gesundheitsministerinnen und -minister von Bund und Ländern haben dies auf Vorschlag des Robert-Koch-Institutes und des von Karl Lauterbach geleiteten Ressorts in Berlin am Montag so beschlossen. Dennoch befürchten Fachleute, dass dem Gesundheitssystem aufgrund dieser und anderer Lockerungen wie dem Wegfall der Maskenpflicht mittelfristig doch wieder eine grenzwertige Belastung droht.

"Frei" ab Mai

Konkret wird Infizierten ab dem 1. Mai nur noch „dringend empfohlen“, sich zu isolieren und Kontakte, vor allem mit besonders gefährdeten, also für schwere Verläufe anfälligen Personen, zu vermeiden. Auch das, was zuvor „Freitesten“ hieß, wird dann offiziell per selbst durchgeführtem, de facto von Dritten nicht kontrollierbarem Antigen-Schnelltest ab dem fünften Tag möglich sein.

Leidtragende der neuen Regelung, sagt der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, seien vor allem jene wegen Vorerkrankungen, laufender Spezialtherapien oder hohen Alters besonders Anfälligen. „Für die Hochrisikogruppe wird es immer gefährlicher, diese Menschen leben mitten unter uns“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. De facto werde „gleich den Corona-Leugnern die Infektion verharmlost“.

Ähnlich äußerte sich der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. Mit dem Wegfall der Isolations- und Quarantänepflicht werde das Coronavirus jetzt wie eine Erkältungskrankheit behandelt. „Wir haben bei Corona aber eine besondere Situation mit schweren Verläufen und hohen Todesfallzahlen.“ Gerade bei der Omikron-Variante bestehe die Gefahr einer sehr schnellen Übertragung des Virus. Eine Isolationspflicht von fünf Tagen sollte daher unbedingt eingehalten werden.

Bislang keine Modellrechnungen

Es ist insgesamt unklar, wie sich die Regeländerung konkret auswirken wird. Das Team des Pandemie-Modellierers Kai Nagel an der TU Berlin teilte auf Anfrage mit, ein Szenario mit wegfallender Isolationspflicht habe man bislang nicht berechnet. Man werde dies im nächsten Bericht, der am 14. April erscheinen soll, aber voraussichtlich einfließen lassen, sagt Ricardo Ewert, wissenschaftlicher Mitarbeiter in Nagels Gruppe.

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Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, der Anwalt Tino Sorge (CDU), begrüßte dagegen die neue Regelung. Nur wer sich krank fühle, solle zu Hause bleiben, sagte er im ZDF-Morgenmagazin. Als gesichert gilt aber, dass auch positiv getestete Personen, die keinerlei Symptome verspüren, sehr oft als Überträger infrage kommen. Eine kürzlich im Fachmagazin „Nature Medicine“ erschienene Studie belegt dies eindrucksvoll.

Ohne Symptome, mit Viren

Demnach haben Viruslast im Nase-Rachenraum und Symptome nichts miteinander zu tun. Auch wer sich komplett gesund fühlt, kann demzufolge im normalen Kontakt große Virenmengen übertragen. Darauf wies kürzlich unter anderem die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek, bekannt unter anderem durch den mittlerweile beendeten „Corona-Update“-Podcast beim Norddeutschen Rundfunk, bei Twitter hin. Damit erscheint die Kombination von fehlender Maske und nicht mehr eingehaltener Isolation als besonders problematisch.

Befürworter der neuen Regeln verweisen auch darauf, dass die bisherigen ohnehin zum Teil nicht kontrollierbar gewesen seien. Die Bereitschaft, sich verantwortlich zu verhalten, sei entscheidend. Sie werde dadurch, dass es nur noch eine „dringende Empfehlung“ gebe, nicht geschmälert, so die Argumentation.

Die Psychologin Katrin Schmelz, die an der Universität Konstanz fast seit Beginn der Pandemie deren verhaltensökonomische Aspekte untersucht, bezweifelt dies. Eine freiwillige Isolation „werden nicht mehr viele einhalten“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Hohe "Kosten", die man ungern freiwillig auf sich nimmt

Die Regelung sei auch „ein Signal, dass das nicht mehr notwendig ist“. Auch bei Arbeitgebern würden Erwartungen erzeugt. In der Praxis sei „Quarantäne insgesamt mit hohen Kosten verbunden“, etwa dadurch, dass man andere bitten müsse, Einkäufe zu erledigen. „Ich bin zurzeit selbst in Quarantäne, ich weiß, wie man sich da immer wieder selbst disziplinieren muss“, sagt Schmelz.

Eines der meistgenannten Argumente für das Wegfallen von Isolations- und Quarantänepflicht sind die Arbeitsausfälle derzeit, vor allem in kritischen Bereichen der Wirtschaft und Versorgung. Besonders betroffen ist hier unter anderem das Gesundheitswesen selbst. Wer mit Patientenkontakt arbeitet, ist aber auch nach den neuen Regeln eine Ausnahme und muss sich weiterhin mindestens fünf Tage lang isolieren. Und Freitestung ist hier nach wie vor nur per PCR möglich.

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