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Esther Gordon bat schon 2016 das "Electoral College" sich an der Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu orientieren.

© AFP/Mark Makela

Wo bleibt die Revolution von unten?: Das ungerechte US-Wahlsystem muss auf den Prüfstand

Um US-Präsident zu werden, braucht es nicht die Mehrheit der Stimmen. Das stört inzwischen auch moderate Republikaner. Und es ließe sich ändern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Es wird Zeit, das in den USA grassierende Misstrauen gegen staatliche Institutionen und die Unzufriedenheit mit der Demokratie in den Blick zu nehmen. Und vielleicht entwickelt sich ja jetzt, nach dieser Wahlschlacht, eine Graswurzelbewegung, die sich im Sinne von Millionen das Wahlsystem vornimmt und verändert.

Ist es nicht auch ungerecht, dass einer oder eine zwar die Mehrheit der Bürger auf seiner, ihrer Seite haben kann, nicht aber die Mehrheit der Wahlmänner-Stimmen - und damit nicht Präsident*in wird? Diese Frage kann man stellen.

Die Antwort: Ja, Umfragen besagen, dass eine Mehrheit der Amerikaner die Direktwahl des Präsidenten befürwortet. Aber seit 2000, seit der Niederlage von Al Gore gegen George W. Bush, und seit der Wahl von Donald Trump 2016 durch das Wahlmännergremium, obwohl die Mehrheit der Wähler für Hillary Clinton gestimmt hatte, wächst Missmut darüber im Land.

Zunächst logischerweise bei den unterlegenen Demokraten, inzwischen aber auch bei moderaten Republikanern. Bisher ist es so: Wer die einfache Wählermehrheit in einem Staat erreicht, bekommt alle Wahlmänner zugesprochen. Bis zu 49,9 Prozent der Stimmen können so unwirksam werden. Soll es wirklich so bleiben? Nein, besser nicht. Das „Winner-takes-all"Modell, das in - fast - Bundesstaaten gilt, müsste noch einmal auf den Prüfstand.

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Warum? Laut Umfragen ist die Unzufriedenheit mit der Demokratie seit Mitte der 1990er-Jahre um ein Drittel gestiegen und heute bei der Hälfte der Bevölkerung angelangt. Als Problem benennen Demokratie-Experten wie die des Thinktanks „Freedom House“ auch das Wahlsystem. Dazu ist das Ansehen der USA in Sachen Demokratie insgesamt dramatisch gesunken. Im Magazin "Economist" liegen sie als "unvollständige Demokratie" auf dem 25. Platz. (Deutschland als "volle Demokratie" steht an 13. Stelle.)

Jetzt kommt es für Änderungen am Wahlsystem auf die Einzelstaaten an - und den Willen der Einzelnen. Maine und Nebraska haben das System geändert und verteilen ihre Wahlmänner proportional. Das können mehr Staaten tun.

Einige plus Washington D.C. haben im „National Popular Vote Interstate Compact“ bereits vereinbart, dass sie ihre Wahlmännerstimmen dem Kandidaten zuschreiben wollen, der in allen neun Regionen die Mehrheit der Bürger hinter sich weiß – einerlei, wie das Ergebnis in den einzelnen Staaten ausfällt. So muss es werden, wenigstens. Vielleicht lassen sich damit auch die vielen Millionen bewegen, die sich gar nicht erst zur Wahl registrieren lassen.

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