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"Lügenpresse" - Unwort des Jahres. Demonstration der "Sbh-Gida" in Villingen-Schwenningen am 12. 1. 2015.

© dpa

„Lügenpresse“: Das Reinheitsgebot

Was steckt hinter dem "Unwort des Jahres"? Es war immer ein Propagandabegriff von Diktaturen und Kriegstreibern. Wer ihn heute verwendet, zeigt, dass er Information nur mit der Messlatte eigener Zustimmung akzeptiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Joachim Huber

Ein „Unwort des Jahres“ nimmt man nicht in den Mund. Das ist schmutzig, verursacht schlechten Geruch und diskreditiert den Benutzer. „Lügenpresse“ ist das „Unwort des Jahres 2014“. Das Negativsiegel aber wird die weitere Verwendung nicht aufhalten. Ein Kampfbegriff, der mehr sagt als tausend klug gewählte Worte. Ein Begriff aus kriegerischer, ideologisch aufgeladener Zeit. Als Schlagwort im Ersten Weltkrieg eingesetzt, die Propaganda der Alliierten zu bekämpfen, ein Kampfbegriff von NS-Hetzer Joseph Goebbels, für die SED-Ideologen Waffe gegen den Westen. Der Begriff der „Lügenpresse“, er kommt und geht. Irritierend, provozierend, dass er im demokratischen, friedensliebenden, wohlstandsgesättigten Deutschland im Mund geführt wird. „Pegida“ macht Front damit. Was in den Zeitungen gedruckt, was online geschrieben, was in Radio und TV berichtet wird – eine faustdicke Lüge.

Die Medien in Deutschland gelten gemeinhin neben der Exekutive, der Legislative und der Judikative als vierte Gewalt mit Wächter- und Kontrollfunktion. Eine gewichtige, herausgehobene, demokratisch legitimierte Aufgabe. Zugleich eine, der mit Achtung wie mit Verachtung begegnet wird. Der journalistische Stand rangiert in der Ansehensskala der Berufe weit unten. Diese Befunde sind nicht neu, neu ist, dass die Kernkraft der journalistischen Profession – die Vermittlung von richtiger wie wichtiger Information – zum Ausglühen gebracht werden soll. Meinungskampf war immer, begonnen haben Kampf (und Krampf) um die Wahrnehmung von Wirklichkeit. Im Netz, doch nicht nur dort, treffen die Akteure aufeinander. Zu gerne wird von verschwörungswilligen Ich-Fundis journalistische Leistung geschreddert, während das eigene Weltbild sturmfest geklickt wird.

Journalisten lügen nicht

Zugleich geht die Rechnung, die Journalisten seien nur die Guten, die Bescheidwisser und die Bessermacher, alle anderen dagegen nur doof bis unverschämt, nicht auf. Sachdienliche Äußerungen, von der Korrektur bis zur Kritik, helfen dem Journalismus, seine Aufgabe besser, also wahrheits- und wirklichkeitsgetreu zu erledigen. Die Welt soll abgebildet werden, auf 28 Seiten, in 15 Minuten Fernsehnachrichten. Auswahl, Analyse, ein Angebot. Es bleibt eine grobe Infamie, Journalisten würden die Welt sich so zurechtschreiben, bis sie in ihr Weltbild passt. Wir lügen nicht, wir irren. Nicht aus Lust und zur Irreführung des Publikums, schneller und leichter denn je werden Fehler und Versäumnisse kenntlich gemacht. Zeit-, Kosten- und Veröffentlichungsdruck sind zudem gewachsen.

Umfragen zeigen, dass die „Medienverdrossenheit“, die sehr viel hübschere Schwester des Totschlagsbegriffs von der „Lügenpresse“, zunimmt. Das muss erstaunen. Ist der Journalismus derart in Verfall geraten, dass jedwede Meldung nur falsch, korrumpiert und manipuliert sein kann? Überhaupt nicht. Das Wahrheitsgebot ist und bleibt das Reinheitsgebot des Journalismus. Alle Medien-Nihilisten mögen sich mal fragen, was sich an Bericht, Feature und Reportage beargwöhnen lässt. Meinetwegen Misstrauen, Skepsis, geschenkt, gefährlicher fürs eigene Ego denn für den Journalismus ist: Wenn vermittelte Information nur mit der Messlatte eigener Zustimmung akzeptiert wird. Nicht glauben zu wollen, heißt keinesfalls, es glaubwürdiger zu wissen.

Journalismus ist Zumutung. Da draußen, vor der eigenen Tür und außerhalb des eigenen Kopfes, passiert unendlich viel. Journalismus trägt dieses Viele hinein. Wer da schreit: „Lüge“ – der belügt sich selbst.

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