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Maersk-Alabama Capt. Phillips Rescued

© Getty

Seeräuberprozesse: Das Recht der Piraten

Die Seeräuberprozesse in Kenia beginnen – sie sind selbst ein Fall für den Richter, meinen die Anwälte.

Berlin - Bislang haben deutsche Juristen wenig Interesse für Strafverfahren in Kenia aufbringen können, das wird sich nun ändern. Kommende Woche beginnt dort der Prozess gegen eine Handvoll somalischer Männer, die Anfang März den Frachter „MV Courier“ einer deutschen Reederei überfallen haben sollen. Ende Juni müssen sich sieben somalische Piraten wegen eines Angriffs auf das deutsche Marineschiff „Spessart“ vor Gericht verantworten. Grundlage ist ein eilig zwischen der EU und Kenia geschlossenes Abkommen, das den mutmaßlichen Piraten ein Verfahren nach europäischen Standards zusichert – und das nun, indirekt, nach dem Willen von Anwälten vor ein deutsches Gericht auf den Prüfstand kommen soll.

Nach Auffassung des Frankfurter Juristen Oliver Wallasch, darf es in Kenia gar kein Verfahren geben. Die Richter dort seien nicht zuständig. Zudem würden sich die kenianischen Behörden nicht an die verabredeten Standards halten, begründet er in der „Frankfurter Rundschau“ seine Klage vor dem Berliner Landgericht, mit der er feststellen lassen will, dass die zuständigen Ministerien mit der Überlassung der Piraten „rechtswidrig“ gehandelt hätten.

Ob der Vorstoß Erfolg hat oder nicht, er wirft ein Schlaglicht auf die juristischen Fallstricke der Anti-Piraten-Mission. Dass man sich mit fast allen Mitteln der Piratenangriffe erwehren kann, steht völkerrechtlich außer Frage. Nichts anderes ist gemeint, wenn Politiker wie der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold sagen: „Das Mandat erlaubt mehr als nur Schüsse vor den Bug.“ Um die Seeräuberei auszutrocknen, müssten die Mutterschiffe der Piraten auf See und deren Stützpunkte und Häfen in Somalia zerstört werden, meint gar der CDU-Militärpolitiker Ernst-Reinhard Beck.

Je nach Angriffsintensität, würden die Übergänge zwischen militärischen Nothilfehandlungen und einem Kleinkrieg dann aber fließend. Und so leicht es sich fordern lässt, die Bordkanonen auszurichten – wenn die somalischen Familien um getötete „Fischer“ trauern und den Tod Unschuldiger beklagen, würde auch diese Strategie infrage gestellt.

Nicht anders ergeht es derzeit der proklamiert „rechtsstaatlichen“ Piratenabwehr. Nach Abschluss des Abkommens ist die Bundesrepublik de facto in der Situation, für die Rechtstreue des afrikanischen Verfahrens bürgen zu müssen. Nimmt man die Europäische Menschenrechtskonvention zum Maßstab, darf niemand gefoltert oder „erniedrigend behandelt“ werden, die Unschuldsvermutung ist zu achten, Angeklagte haben ein Recht auf ein „faires Verfahren“ mit einem unentgeltlich gestellten Verteidiger an ihrer Seite und nötigenfalls auch mit einem Dolmetscher, sie dürfen Entlastungszeugen benennen, die auch gehört werden müssen.

Vor deutschen Gerichten sind diese Rechte gewahrt, wie es in Kenia aussieht, wird sich zeigen. Anwalt Wallasch, der am 22. April einen der Verdächtigen in Kenia vertritt, hat seinen Mandanten bislang nicht zu Gesicht bekommen. Die Untersuchungshaft nennt er „unmenschlich“, die hygienischen Bedingungen seien katastrophal. „Die Bundesrepublik hat geglaubt, das Problem nach Kenia abschieben zu können“, sagt er. Nach den Buchstaben der Paragrafen könnte der in der deutschen Verfassung geforderte „gesetzliche Richter“ in Hamburg sitzen. Für Straftaten „im Bereich der Meere“ außerhalb der Geltung des deutschen Strafgesetzbuchs bestimmt die Prozessordnung die Hansestadt als Gerichtsstand – bislang noch totes Recht. Dort, angesiedelt beim Internationalen Seegerichtshof, könnte dereinst auch ein Piratengerichtshof entstehen, wie ihn derzeit viele Politiker zur Lösung der Probleme favorisieren. Rechtsexperten sehen das skeptisch. Für Massenkriminalität wie Piraterie brauche es keine eigenen Gerichtshöfe, meinen viele.

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