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Eine Panzerhaubitze 2000 vom deutschen Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann. Foto von 2013.

© Peter Endig/dpa

Training mit westlichen Armeen: Das können Nato und Bundeswehr von ukrainischen Soldaten lernen

Der Ukraine-Krieg ist zweifellos der intensivste konventionelle Konflikt der vergangenen Jahrzehnte. Der Westen sollte ihn genau auswerten. Ein Gastbeitrag.

Heiko Borchert ist Co-Direktor des Defense AI Observatory (DAIO) der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg. Torben Schütz, M.A., ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter. Das DAIO wird durch dtec.bw – Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr gefördert.

Die Bundeswehr zur fähigsten Armee Europas zu machen, erfordert nicht nur Geld in Form des Sondervermögens. Ebenso wichtig sind Innovationsbereitschaft, neue Konzepte, gute Ausbildung und moderne Ausrüstung.

Trotz des Schocks, den Russlands Invasion der Ukraine ausgelöst hat, bietet der Krieg Deutschland die seltene Gelegenheit, diese vier Faktoren zu verbessern, indem die Einsatzerfahrung der ukrainischen Armee systematisch aufgenommen und in Bundeswehr und Rüstungsindustrie umsetzt wird.

Der hochintensive Charakter dieses konventionellen Krieges zwischen zwei großen staatlichen Armeen ist den meisten westlichen Streitkräften seit dem zweiten Golfkrieg 1991 fremd. Direktlieferungen westlicher Waffensysteme wie der Panzerhaubitze 2000 an die Ukraine ändern an diesem Erfahrungsdefizit ebenso wenig wie der Ringtausch mit Alliierten wie Tschechien. Demgegenüber schafft der Krieg auf der ukrainischen Seite die für westliche Armeen wertvolle strategische Währung der Einsatzerfahrung.

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Erste Auswertungen des Krieges in der Ukraine durch internationale Verteidigungsexperten und -analysten zeigen, dass der ukrainische Widerstand unterschätzt und die russische Überlegenheit im Vorfeld überschätzt wurden.

EU- und Nato-Streitkräfte sowie auch die Armeen strategischer Wettbewerber analysieren traditionell Konflikte und Kriege, um für künftige Auseinandersetzungen zu lernen. Dabei werden Erwartungen beispielsweise zum Nutzen neuer Konzepte und den Chancen von Technologien oder Annahmen zum Verhalten des Gegners kritisch überprüft. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Ausbildung mit Partnern.

Der Austausch mit der ukrainischen Armee sollte weitergeführt werden

Westliche Ausbilder standen in den vergangenen Jahren bereits im steten Austausch mit ukrainischen Soldaten, viele davon mit Fronterfahrung im Donbass. Gemeinsame Übungen zwischen Nato-Truppen und der ukrainischen Armee haben dazu beigetragen, Wissen zu transferieren. Für die Bundeswehr und ihre Alliierten ist es entscheidend, diesen Austausch weiterzuführen, denn der aktuelle Krieg ist wegen seines Charakters, des eingesetzten Materials und erkannter Neuerungen eine wichtige Informationsquelle.

Der von zwei staatlichen Armeen geführte Ukrainekrieg ist zweifellos der intensivste konventionelle Konflikt der vergangenen Jahrzehnte. Die Beteiligung Russlands, Hauptgegner der Nato, macht ihn für das Bündnis auch unmittelbar relevant im Hinblick auf eigene Risiken. Dazu zählen beispielsweise die Verwundbarkeit des eigenen Hinterlandes, die Fähigkeit, eigene Truppen unter Feuer des Gegners mobil und einsatzfähig zu halten, sowie die Notwendigkeit, Nachschub und industrielle Produktion bei hohem Verbrauch zu gewährleisten.

In diesem Krieg wird modernes russisches, ukrainisches und jetzt auch westliches Kriegsmaterial eingesetzt, das vielfach genau für solche Kriege konzipiert, aber bisher - und glücklicherweise - nur selten oder nie eingesetzt wurde. Im Krieg treten Leistungsunterschiede zwischen den Systemen und ihrer Nutzung schonungslos zu Tage; diese gilt es zu erkennen und zu bewerten.

Je mehr Gerät aus dem Westen zuläuft, desto anspruchsvoller wird die Integration

Wie jeder Konflikt bringt auch der Ukrainekrieg militärische Innovationen hervor. Bislang scheinen die ukrainischen Streitkräfte besser als die russische Armee darin, die digitale Integration zur Vernetzung verschiedener Einheiten für sich zu nutzen.

Je mehr Gerät aber aus dem Westen zuläuft, desto anspruchsvoller werden Ausbildung, Wartung und Integration. Der Flickenteppich unterschiedlicher Systeme, der in der Ukraine zu erkennen ist, bildet auch die Realität der Bundeswehr ab, beispielsweise wenn diese Nato-Kampftruppen in Litauen führt.

Traditionell versteht sich die Bundeswehr als Anker in der multinationalen Militärkooperation. Dieser setzt darauf, Partner zur Zusammenarbeit zu befähigen und zu integrieren. Ukrainische Lehren rund um die Frage, wie Interoperabilität sichergestellt werden kann, sind deshalb für die Bundeswehr und auch die deutsche Rüstungsindustrie von zentraler Bedeutung. Drei Punkte sind wichtig:

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Erstens sollten Bundesregierung und Bundeswehr einen strukturierten Erfahrungsaustausch mit ukrainischen Einheiten aufsetzen. Dieser könnte auf Basis der Kontakte entstehen, die jetzt durch die Ausbildung der Ukrainer an der Panzerhaubitze 2000 und den Gepard-Flugabwehrpanzern geknüpft werden.

Dieser Austausch sollte auch die deutsche Rüstungsindustrie einbinden, damit diese versteht, wie sich ihre Systeme im Ukraineeinsatz verhalten. Daraus können mögliche Lehren für Anpassungen und Weiterentwicklungen abgeleitet werden.

Zweitens sollten ukrainische Verbände spätestens nach Kriegsende gemeinsam mit der Bundeswehr üben. Ziel muss es sein, ukrainische Erfahrung in der Rolle der Verbände als "intelligenter Gegner" in die Weiterentwicklung der Bundeswehr zu integrieren. Das erfordert nicht nur politisch-militärische Abstimmung, sondern auch die Beauftragung der Industrie, um Übungsausrüstung auf Gerätetypen zu integrieren, die jetzt von den ukrainischen Streitkräften genutzt werden.

Kern könnte das I. Deutsch-Niederländische Corps werden

Aufbauend darauf sollte sich Deutschland, drittens, in der Nato dafür einsetzen, ukrainische Erfahrung zu nutzen. Dazu kann das I. Deutsch-Niederländische Corps zu einer Dacheinheit für multinationale militärische Tests und Experimente weiterentwickelt werden.

Diese Einheit spielt bereits heute eine wichtige Rolle, um militärische Konzepte länderübergreifend weiterzuentwickeln bzw. umzusetzen und auf diese Weise die militärische Kooperation zu vertiefen. Sie könnte zum Nukleus eines umfassenden Netzwerks der Landstreitkräfte werden, dass es Partnererstreitkräften und der Industrie ermöglicht, konsequent von den ukrainischen Erfahrungen zu lernen.

Ungeachtet des großen menschlichen Leids ist die Kriegserfahrung der Ukraine eine wertvolle strategische Währung. An dieser Währung können Deutschland und die Alliierten partizipieren, die die Ukraine militärisch unterstützten. Diese Partizipation ist umso wichtiger, je stärker sich die Nato darauf ausrichtet, künftige auch wieder militärische Auseinandersetzungen gegen systemische Wettbewerber zu führen.

Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren darauf fokussiert, Partner zu ertüchtigen. Nun gilt es, diese Ertüchtigung "rückwärts zu denken". Um von der Ukraine zu lernen, sollte Deutschland den militärischen Erfahrungsaustausch institutionalisieren.

Dabei gewonnene Erkenntnisse können in die Ausbildung einfließen. Gleichzeitig kann die deutsche Rüstungsindustrie davon profitieren, um eigene Produkte weiterzuentwickeln. Dieser Vorschlag macht Deutschland zu einer klugen Rahmennation, die Expertise der Partner nutzt, Konzeptentwicklung auf innovative Weise antreibt, praktische Erfahrungen durch Übungen verstetigt und damit industrielle Kooperation unterstützt.

Heiko Borchert, Torben Schütz

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