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Das Grundgesetz wird ,mal wieder geändert.

© Stephanie Pilick/dpa

Das Grundgesetz wird schon wieder geändert: Verfassungspolitischer Murks

Bund, Länder, Kommunen: Ist es wirklich "wurscht", wer wofür zuständig ist? Nein, denn Verantwortung muss klar und sichtbar sein. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Albert Funk

Vor einigen Tagen, in Frankfurt am Main. Die Bundeskanzlerin trifft die Fraktionschefs der Union in den Landtagen. Mit dabei der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier. Es gibt auch ein Pressestatement. Angela Merkel gibt ihr kooperatives Verfassungsverständnis zu erkennen: „Ich bin gerne gekommen, denn wir sind ein Land des Föderalismus. Da können wir nur Hand in Hand arbeiten.“ Es geht um den sozialen Wohnungsbau, den der Bund jetzt wieder mitfinanzieren will oder soll, obwohl man das vor einigen Jahren mit guten Gründen beendet hatte. Bouffier sagt zur wiederbelebten Kooperation: „Bei vielen Aufgaben ist es dem Bürger letztlich wurscht, ob der Bund, das Land, die Kommune, wer auch immer, im Einzelnen zuständig ist.“ So ähnlich redet auch Merkel gern, so ähnlich reden viele in der politischen Klasse.

Doch ist es eben nicht „wurscht“, wer zuständig ist. Und die Bürger, die Bouffier für seine etwas merkwürdige Ansicht vereinnahmt, sollten sich das auch nicht einreden lassen. Nur bei einigermaßen klaren Zuständigkeiten ist es möglich, auch einigermaßen klar die Verantwortung zuzuordnen. Das aber, was in der Politik und auch in der Wissenschaft gern beschönigend als „kooperativer Föderalismus“ bezeichnet wird, ist eben nicht nur ein „Arbeiten Hand in Hand“, sondern dient auch der Verschleierung von Verantwortung. Es ist ein Zuständigkeitsgemauschel – intransparent, ineffizient und auch undemokratisch, weil es letztlich die parlamentarische Kontrolle und damit die Aufsicht durch die Bürger erschwert.

Groko kippt die eigene Reform

Doch leider gibt es in den Ministerien von Bund und Ländern und im Bundestag wie in den Landtagen jede Menge Minister, Beamte und Abgeordnete, die dieses System dulden oder aktiv betreiben. Es ist zwar richtig, dass sich die Politikfelder nicht völlig trennen lassen, so dass Koordination und Kooperation immer wieder geboten sind. Aber im System des beständigen kooperativen Mitfinanzierens und Mitmischens und Mitbestimmens, das nun wiederbelebt werden soll, wird das Durcheinander zum Programm. Da verhandeln Landespolitiker die Koalitionsverträge im Bund mit, da untergraben Bundespolitiker die Autonomie der Länder und die Selbstverwaltung der Kommunen mit Kontrollvorgaben und Steuerungsansprüchen.

Mit mehreren Grundgesetzänderungen will Merkels dritte große Koalition die Föderalismusreform von 2006, die Merkels erste große Koalition als ihr zentrales Vorhaben auf den Weg brachte, wieder zurückdrehen. Um überschüssiges Geld im Bundeshaushalt wählerwirksam und in großer Breite in die Schulen lotsen zu können, bei denen der Bund nicht zuständig ist, aber mittun will, wird der Passus, der bisher nur subsidiäre Infrastrukturhilfen des Bundes für finanzschwache Kommunen erlaubte, auf alle Kommunen ausgedehnt und sogar auf die Gesamtheit der Länder. Was zuerst als gezielte Unterstützung einzelner Kommunen durch den Bund durchgehen konnte, wird nun zum offenen Tor für eine breite Mitfinanzierung. Gerechtfertigt wird das mit dem Mega-Projekt der Digitalisierung der Schulen, aus Bundessicht eine einmalige Chance für kooperatives Einmischen. Bisher hat der ins Auge gefasste Digitalpakt allerdings nur bewirkt, dass in den Ländern die nötigen Investitionen gestoppt wurden, weil man abwartet, was der Bund macht. Dass parallel dazu ein kooperativer Nationaler Bildungsrat gegründet wird, passt ins Bild: Mit ihm will der Bund bis hinein in die Unterrichtsgestaltung Einfluss nehmen.

Steuerverteilung statt Einmischung

Ähnlich ist es beim sozialen Wohnungsbau, der 2006 komplett an die Länder gegeben wurde und für den sie noch 2017 einen höheren Umsatzsteueranteil zugesprochen bekamen. Ein Jahr später wird nun die Rückkehr zur Mitfinanzierung und Lenkung durch den Bund dauerhaft im Grundgesetz verankert. Die Begründung: Mangel an bezahlbarem Wohnraum, Wohnungsnot in Ballungsräumen. Beim Auftritt von Merkel und Bouffier in Frankfurt merkte der hessische CDU-Landtagsfraktionschef Michael Boddenberg aber an, das Geld sei nicht das Problem, sondern der Mangel an erschlossenem Bauland in den Kommunen. Warum dann die Verfassungsänderung?

Widerstand ist kaum zu vernehmen. Der Landkreistag immerhin hat massive Bedenken angemeldet, dessen Geschäftsführer Hans-Günter Henneke, ein versierter Verfassungsjurist, nennt die Pläne der Koalition „strukturell völlig verfehlt“. Seiner kritischen Argumentation kann man folgen. Henneke schreibt: „Das Grundgesetz legitimiert den Bund nicht, Ländern und Kommunen für ihre Aufgabenerfüllung notwendige Steueranteile vorzuenthalten, um sodann eine eigene Mitfinanzierungskompetenz mit der Begründung zu behaupten, dass die gebotenen Handlungsbedarfe von Ländern und Kommunen finanziell allein nicht zu bewältigen wären.“ Henneke plädiert für eine zuständigkeitskonforme Steuerverteilung, wie sie in der Verfassung eindeutig verlangt wird. Und wenn man allenthalben der Meinung ist, Bildung und sozialer Wohnungsbau seien unterfinanziert, dann ist eben ein höherer Anteil am Steuerkuchen für Länder und Kommunen die Lösung und nicht das Wischi-Waschi der organisierten Kooperation. Aber Politiker, denen Zuständigkeiten „wurscht“ sind, nehmen auch das Grundgesetz nicht so ernst.

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