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Kapitänin Rackete wird in Porto Empedocle von einem Boot der italienischen Finanzpolizei geführt.

© Guglielmo Mangiapane/Reuters

Update

Das Drama der "Sea-Watch": "Die Angriffe auf Italien sind wohlfeil"

Pro Asyl sieht ganz Europa schuld an der Kriminalisierung von Flüchtlingshelfern. Die Kapitänin der "Sea-Watch" bleibt vorerst in Italien unter Arrest.

Nach dem heftigen Schlagabtausch zwischen Berlin und Rom am Wochenende - sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte die Festnahme der Kapitänin Carola Rackete verurteilt - mahnt die deutsche Seite nun eine europäische Lösung für die Seenotrettung im Mittelmeer an. Es gelte weiter, „dass wir zu einem geregelten und transparenten Verfahren kommen wollen“, sagte die stellvertretene Regierungssprecherin Martina Fietz am Montag in Berlin. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte, man sei nicht zufrieden mit der derzeitigen Situation. Für die schnelle und zuverlässige Ausschiffung Geretteter brauche es aber eine europäische Lösung, betonte auch er und verwies auf die Reform des europäischen Asylsystems.

"Den Deal mit Libyen hat auch Merkel verteidigt"

„Da sind wir alle einer Meinung“, sagt dazu Karl Kopp von Pro Asyl, der Europa-Leiter der Flüchtlingshilfsorganisation. „Aber wir warten darauf schon ewig.“ Die EU-Asylreform steckt seit Jahren fest, seit geraumer Zeit im Europäischen Rat, dem Gremium der nationalen Regierungen. Es sei bekannt, so Kopp, dass eine europäische Lösung keine gesamteuropäische würde, sondern eine der aufnahmebereiten Länder.“ Die müssten sichere Häfen bestimmen und öffnen, die Menschen dort aufnehmen und rasch untereinander verteilen. Europäische Seenotrettung bleibe das Ziel, „aber auch mit diesem Konzept der Überbrückung lässt man sich sehr viel Zeit“, so Kopp. „Wir können nicht warten, bis auch Orbán und Salvini zustimmen.“

Die Angriffe auf Italien nennt Kopp „wohlfeil“. „Wir haben nicht vergessen dass es Mare Nostrum gab, das italienische Seenotrettungsprogramm, und dass Europa es war, das es leerlaufen ließ.“ So sehr ihn freue, wie sich der Bundespräsident jetzt einsetze, „man hätte sich auch gefreut, wenn das gekommen wäre, als andere Kapitäne und Kapitäninnen einfuhren.“ Das Drama auf Lampedusa sei ein europäisches, Europa als Ganzes habe „den blutigsten aller Deals“ gemacht, den mit Libyen, und auch „die Flüchtlingskanzlerin hat ihn vehement verteidigt“. Dagegen müsse sie endlich ein „klares Signal der Humanität“ setzen, „aber auch eins der Solidarität mit dem Süden der EU“, dem man die Flüchtlinge abnehmen müsse.

Rom war am Montag um Abrüstung im Streit mit Deutschland bemüht. „Ich wünsche mir allgemeine Mäßigung im Ton“, sagte Staatspräsident Sergio Mattarella. Nur so könnten alle Fragen „mit größerer Gelassenheit und zielführend“ gelöst werden. Vom Brüsseler EU-Gipfel ließ Ministerpräsident Giuseppe Conte wissen, er habe mit der Kanzlerin geredet, die ihn nach der Kapitänin gefragt habe. „Ich habe ihr gesagt, dass in Italien wie in Deutschland Exekutive und Justiz getrennt sind. Der Ministerpräsident kann Richtern keine Empfehlungen geben. Die Sache ist in den Händen der Staatsanwaltschaft.“

Rackete soll ein Boot der Finanzpolizei gefährdet haben

Über deren Vorgehen gab es am Montag Verwirrung. Am frühen Nachmittag berichteten italienische Medien über die bevorstehende Freilassung der Kommandantin. „Sea Watch: Carola könnte freikommen“ titelte der Corriere della sera auf seiner Website. Das Innenministerium bereite ihre Abschiebung vor. Am Nachmittag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft von Agrigent weiter gegen sie ermitteln will. Rackete, die den Sonntag und Montag im Haus einer 74-jährigen Sea-Watch-Unterstützerin im Hausarrest verbrachte, wurde am Montag befragt. Ein italienischer Ermittlungsrichter vertagte anschließend die Entscheidung über einen möglichen Haftbefehl auf Dienstag.

Das bedeute, dass Rackete mindestens bis Dienstag unter Hausarrest stehen werde, sagte Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Die Vertagung der Entscheidung bestätigte auch Racketes Anwalt Leonardo Marino der dpa.

Staatsanwalt Luigi Patronaggio ermittelt wegen Widerstands gegen ein Kriegsschiff und verbotenes Eindringen in italienische Gewässer. Rackete soll Auskunft über ihre Gründe geben, trotz Verbots den Hafen von Lampedusa anzusteuern und über die Umstände einer Fastkollision mit einem Motorboot der Finanzpolizei. Sie selbst entschuldigte sich am Sonntag dafür, ihre Kolleginnen und Kollegen bei Sea Watch gaben in einer Erklärung der Guardia di Finanza die Schuld. Einer der Beamten habe zugegeben, dass man sich absichtlich zwischen Racketes Schiff und die Anlegestelle gefädelt habe. Tatsächlich hätten die Behörden Gesetze gebrochen, als sie sie in einer Notsituation nicht hätten anlanden lassen.

Der Spendenaufruf von Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf hat unterdessen binnen kurzem viel Geld auf das Konto des Rechtshilfefonds für die Retterinnen und Retter gespült. Bis Montagvormittag gingen über den Aufruf der Fernsehmoderatoren mehr als 735 000 Euro ein, auf einer italienischen Facebook-Seite wurden mehr als 410 000 Euro gesammelt. Es gab mehrere Mahnwachen zur Unterstützung der Leute der Sea-Watch und auch in Italien wieder Solidaritätsaktionen.

"NGOs helfen einander ebenfalls"

Die Kapitänin der Sea-Watch ist allerdings nicht die einzige, die von hohen Geldstrafen bedroht ist und Anwaltskosten zu fürchten hat. Vor Wochen wurde Kapitän Claus-Peter Reisch auf Malta verurteilt, die Crew des Schiffs „Juventa“ der Berliner NGO Jugend rettet bereitet sich seit mehr als einem Jahr auf ihren Prozess vor.

Unklar ist, was aus diesem Prozess wird, die Anklage lässt auf sich warten. Theresa Leisgang, die Sprecherin von „Solidarity at Sea“, der Organisation, die sich seit der Beschlagnahme der "Juventa" um den Prozess und die Crew kümmert und informiert, sagte dem Tagesspiegel auf Anfrage, man habe lange nichts mehr von der Justiz auf Sizilien gehört. Was die Kosten für Strafen und Verteidigung angeht, stünden die einzelnen Hilfsorganisationen und NGOs in engem Kontakt. „Klar, dass wir einander helfen.“ (mit dpa)

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