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Die Angeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe.

© dpa

NSU-Prozess / 228. Tag: Das Alkoholverbot passte ihm nicht

Ein Zeuge schildert im NSU-Prozess, wie sich Mundlos und Böhnhardt als "SA der Neuzeit" aufspielten. Zudem gibt es wieder Streit um den Verfassungsschutz.

Von Frank Jansen

„Rechts“ zu sein kann so anstrengend und freudlos werden wie die Mitgliedschaft in einer Sekte. Der Eindruck drängt sich auf, als am Mittwoch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München ein früherer Nazi-Skinhead aus Jena seine Erlebnisse schildert. Vor allem solche aus den 1990er Jahren mit den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. „Wenn ich mal gekifft habe, konnte ich mir was anhören, wie bei so ’ner Szenepolizei“ sagt der heute 38 Jahre alte Zeuge, ein Stahl- und Betonbauer mit Tattoo im Nacken. Mundlos und Böhnhardt hätten sich „aufgespielt als SA der Neuzeit“. Und Beate Zschäpe „hing mit den beiden rum“. Die Hauptangeklagte hört mit schmalen Augen und verschränkten Armen zu.

Der Zeuge hat mit den Verbrechen des  NSU offenkundig nichts zu tun, doch er skizziert ein, wenn auch lückenhaftes, Bild von der rechten Clique, aus der die Terrorzelle hervorging. Kurzzeitig war er in den 1990er Jahren Mitglied der „Kameradschaft Jena (KSJ)“, der auch Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe sowie mutmaßlich die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und Holger G. angehörten. Eine kleine, elitär angehauchte Truppe, die der Thüringer Verfassungsschutz in seinen Jahresberichten erwähnte.

In der KSJ gab es „Alkoholverbot“ und ein „dickes Regelwerk“, sagt der Zeuge. Das mochte er nicht. „Ich war knapp über 18, das war für mich alles ein bisschen zu heavy.“ Rechtssein hatte er sich anders vorgestellt, „man hat sich eine Bomberjacke geholt, war nicht so die Ernsthaftigkeit.“ Er sei ja nicht „als Rechtsradikaler vom Himmel gefallen“. Mundlos hingegen habe so getan, „als wäre er schon als Nationalsozialist geboren worden“.

Ganz so unbedarft, wie er tut, war der Zeuge nicht

Ganz so unbedarft war der Zeuge in seiner Jugend aber offenbar nicht. Er fuhr zu Rechtsrockkonzerten und nach Bamberg zu einer Demonstration zum Gedenken an Rudolf Heß, die allerdings untersagt wurde. Er meldete eine Demonstration an, die verboten wurde und die Polizei kam in die Wohnung der Eltern, in der er auch lebte. Er sei dann zuhause rausgeflogen, sagt der Zeuge. Mitte der 1990er Jahre trat er zudem als Sänger einer Skinhead-Band mit den Namen „Vergeltung“ auf. An die Texte kann er sich nun angeblich kaum noch erinnern. „Es ging um die Ausländer, das Drogenproblem“, druckst er, „es gab Lieder über Skinheads an sich, den Spaßcharakter“.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl möchte mehr wissen, vor allem über politische Inhalte und den Grad der Radikalisierung. Da tut sich der Zeuge schwer. Immerhin bestätigt er, was er dem Bundeskriminalamt im April 2013 gesagt hatte. „Unser Ziel war die Bekämpfung des Staates“, gab er damals an. Die Kameradschaft Jena habe eine „nationale und sozialistische Gesellschaft“ schaffen wollen. Götzl zitiert zudem aus dem BKA-Protokoll, es sei über die „Bildung militanter Organisationen“ diskutiert worden. Auch dem widerspricht der Zeuge nicht, doch „das ging uns zu weit, das war eine Spur zu hart“. Das sahen allerdings in der Jenaer Clique nicht alle so, wie ein Beamter des BKA schon in der Anfangsphase des Prozesses ausgesagt hat. Im Juli 2013 berichtete der Polizist, der Angeklagte Holger G. habe im Ermittlungsverfahren angegeben, er und Wohlleben hätten immer gegen die Anwendung von Gewalt argumentiert – doch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe  dafür.

Unterdessen schwelt der Streit um Unterlagen des Brandenburger Verfassungsschutzes weiter. Mehr als 30 Anwälte von Nebenklägern haben am Mittwoch die Richter aufgefordert, sich für die Aufhebung einer Sperrerklärung des Potsdamer Innenministeriums zu  einer vom Gericht sichergestellten Akte einzusetzen. Ende Juli hatte der Strafsenat einen Leitz-Ordner an sich genommen, den ein Brandenburger Verfassungsschützer zu seinem Auftritt als Zeuge mitgebracht hatte. Der Beamte, der vermummt auftrat, wurde zu einem ehemaligen V-Mann befragt, der Kenntnis von der Beschaffung von Waffen für den NSU gehabt haben soll.

Der Verfassungsschutz will sich nicht in die Karten schauen lassen

Da der Verfassungsschützer bei seiner Vernehmung nur zögerlich antwortete, drängten Anwälte der Nebenklage auf die Sicherstellung des Ordners, der vor dem Beamten auf dem Tisch lag. Das taten die Richter dann auch, doch die Akte wurde nicht eingesehen und versiegelt. Das Brandenburger Innenministerium verwahrte sich dann im August, wie zu erwarten war, mit einer Sperrerklärung gegen die Sichtung der Unterlagen im NSU-Prozess. Die Behörde fürchtet, die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes würde transparent, vor allem die Methoden zur Anwerbung von V-Leuten. Doch die insgesamt 34 Anwälte von Nebenklägern wollen sich mit dem Potsdamer Veto nicht abfinden.

Die Sperrerklärung sei rechtswidrig, heißt es in dem am Mittwoch gestellten Antrag, mit dem der Strafsenat zur Einflussnahme in Brandenburg aufgefordert wird. Die Wertungen des Ministeriums seien „weder nachvollziehbar noch belegt“. Die kampflustigen Anwälte gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sie fordern auch, der Strafsenat solle auch Akten  beiziehen, die der vermummte Verfassungsschützer sowie ein weiterer Kollegen vor den Auftritten im Prozess zur Vorbereitung ihrer Aussagen mutmaßlich genutzt haben. Welche Akten das genau waren, sollte nach Ansicht der Nebenklage-Anwälte der Generalbundesanwalt ermitteln - im Brandenburger Innenministerium. Und für den Fall, dass die Behörde nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen die Akten oder zumindest Kopien nach München schickt, haben die Anwälte beim Strafsenat beantragt, eine Razzia in den Diensträume des Verfassungsschutzes in Potsdam und die Beschlagnahme der Unterlagen anzuordnen.

Eine Chronik des NSU-Prozesses lesen Sie hier.

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