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Zur Stressbewältigung greifen viele Menschen in der Coronakrise zu Bier, Wein und Schnaps.

© picture alliance / dpa /Alexander Heinl

Exklusiv

Suchtexperten schlagen Alarm: Coronakrise treibt immer mehr Menschen zum Alkohol

Seit Beginn der Pandemie kämpfen viele Menschen mit Drogenproblemen. In einer aktuellen Studie warnen Experten vor den psychischen Folgen des Lockdowns.

15 Jahre habe ihr Patient durchgehalten, der Versuchung widerstanden und keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Dann kam die Coronakrise und der Mann wurde rückfällig. Er griff „wieder zur Flasche und ist nun erneut bei mir in Therapie“, sagt Sabine Köhler, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Jena.

Überall in Deutschland stellen Suchtexperten in der Pandemie eine teils dramatische Zunahme des Alkohol- und Drogenmissbrauchs fest. Die zweite Infektionswelle droht die Probleme zu verschärfen. Das geht aus einer aktuellen Studie der Krankenkasse Pronova hervor, für die rund 150 Psychiaterinnen und Psychotherapeuten online befragt wurden.

Sechs von zehn Fachärzten verzeichnen demnach einen erhöhten Alkoholkonsum ihrer Patientinnen und Patienten, jeder Dritte stellt eine Zunahme des Missbrauchs von Medikamenten und illegalen Drogen wie Cannabis oder Kokain fest.

Die Selbsthilfegruppen fehlen

Menschen, die schon vor Corona ein Suchtproblem hatten, sind doppelt gefährdet. „Patienten mit Alkoholabhängigkeit haben in der Krise häufig ihr in der Abstinenz geschaffenes soziales Netz eingebüßt“, sagt Köhler. „Wegen der Kontaktbeschränkungen haben sich zum Beispiel Selbsthilfegruppen nicht mehr regelmäßig getroffen.“

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Doch auch für bislang unbelastete Personen erhöht sich in der Krise das Risiko, in die Sucht abzurutschen. Im Schnitt behandeln die Fachärzte seit Beginn der Pandemie rund 30 Prozent mehr Menschen als zuvor. Jeder zweite Therapeut diagnostiziert bei den Neupatienten erhöhten Alkoholkonsum.

Ein dritter Lockdown hätte schwere Folgen

Die häufigsten Gründe, warum sich Menschen in der Krise in psychologische Behandlung begeben, sind Depressionen, Angststörungen und Überforderung, vor allem bei Frauen und in Familien mit Kindern. Alle drei Diagnosen haben 2020 im Schnitt um rund 80 Prozent zugenommen. Viele Betroffene flüchteten sich in den Alkohol, sagt Köhler.

Die Medizinerin und Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther drogenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, fordert von der Bundesregierung eine wirksame Strategie gegen den Alkoholismus. „Der niederschwellige, schnelle Zugang zu einer Psychotherapie ist notwendig, ebenso bleiben Selbsthilfegruppen, derzeit digital, wichtig“, sagt sie. „Die Pandemie sorgt für Unsicherheiten, Einsamkeit und Jobverlust und ist damit ein Treiber für alle Abhängigkeitserkrankungen.“

Das sehen auch viele in den Arztpraxen und Fachkliniken so. 73 Prozent der Expertinnen und Experten rechnen mit einer weiteren Zunahme des Alkohol- und Drogenkonsums, drei Viertel erwarten in den kommenden zwölf Monaten eine neue „Welle psychischer Erkrankungen“. 90 Prozent stimmen der Aussage zu: „Ein dritter Lockdown würde auf jeden Fall noch stärker als bisher zu psychischen Beschwerden in der Bevölkerung führen.“ Paul Starzmann

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