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Menschen an einer Bushaltestelle beim Hermannplatz in Neukölln.

© imago images/Jürgen Held

Corona und Migrationshintergrund: Die öffentliche Informationspolitik in Fremdsprachen ist dürftig

"Sprachbarrieren" können ein Grund sein für die vielen Intensiv-Patienten mit Migrationshintergrund. Aber Infomaterial ist auch regelrecht versteckt. Ein Gastbeitrag.

Laura Scholaske ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Sie forscht zu Migration und Gesundheit.

Die „AHA+C+L-Regel“ war zwar noch nie ein besonders eingängiger Slogan, um für den Infektionsschutz zu werben – auch nicht für Muttersprachler*innen. Viele Migrant*innen konsultieren aber nicht nur deutsche Quellen, um zu erfahren, wie sie sich vor Corona schützen können, sondern auch Medien aus ihren Herkunftsländern.

Verblüffend und vielsagend ist aber auch der große Erfolg solcher Angebote im Netz, die sich gezielt an hiesige Migrant*innen richten. Der Politologe Oktan Erdikmen zum Beispiel betreibt auf YouTube eine Art Nachrichtenkanal in türkischer Sprache. Dort erklärt er seinen 215 000 Abonent*innen in rund zehnminütigen Videos nicht nur das Tagesgeschehen in Deutschland, sondern auch neue Corona-Maßnahmen und deren Hintergründe. Sein Beitrag vom 13.12.2020, als der zweite Lockdown angekündigt wurde, erreichte weit über 300.000 Klicks. Er füllt damit eine mediale Lücke.

Auf den Intensivstationen vieler Krankenhäuser sollen dennoch überdurchschnittlich viele Patienten mit Migrationshintergrund liegen – mit dieser Aussage sorgte Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts, kürzlich für Wirbel. Dabei stützte er sich offenbar auf Zahlen aus drei Intensivstationen in drei Großstädten, wie das RKI später einschränkte: diese seien keinesfalls repräsentativ. Wieler hatte auch spekuliert, höhere Ansteckungszahlen könnten auf „sprachliche Barrieren“ zurückzuführen sein.

Armut und beengte Wohnverhältnisse treffen viele Menschen mit MIgrationshintergrund

Daten zu Herkunft, Nationalität oder Religion von Covid-19-Patienten werden hierzulande zwar nicht erfasst. Es spricht jedoch einiges dafür, dass Wieler in diesem Punkt Recht hat und Migrant*innen hierzulande tatsächlich häufiger an Corona erkranken. Das würde zu internationalen Befunden passen. Demnach haben Menschen, die arm sind und in beengten Wohnverhältnissen leben, ein deutlich höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken und schwere Krankheitsverläufe haben, als andere. Das trifft in vielen Industrieländern auf Eingewanderte und deren Nachkommen zu.

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Für Deutschland ist dieser Zusammenhang bisher zwar kaum erforscht. Bekannt ist aber, dass Migrant*innen in Deutschland häufiger in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, in denen es nicht so leicht möglich ist, vom Homeoffice aus zu arbeiten oder sich vor Infektionen zu schützen. Noch liegen keine Zahlen vor, die belegen, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland häufiger an Corona erkranken oder häufiger schwerere Verläufe zeigen. Solche Zahlen wären aber wichtig, um auf systematische Ungleichheiten in unserer Gesellschaft und in unserem Gesundheitssystem hinzuweisen.

Infomaterial in Fremdsprachen ist manchmal regelrecht versteckt

Natürlich können Sprachbarrieren dazu führen, dass nicht alle Menschen ausreichend darüber informiert sind, wie sie sich vor einer Ansteckung schützen können. Viele Bundesländer wie Bremen und Berlin haben darauf jedoch längst reagiert und schon im vergangenen Frühjahr für Behörden und Kitas, Beratungsstellen und Geflüchteten-Einrichtungen mehrsprachige Informationen zu den damals neuen Corona-Regeln produziert.

Auch auf www.infektionsschutz.de wird in einfachen Worten erklärt, wie man sich vor ansteckenden Krankheiten wie Covid 19 schützt. Die Webseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung richtet sich an die Allgemeinheit, denn hier kann man sich ohne medizinische Fachkenntnisse über Infektionskrankheiten informieren. Wer dort Informationen in anderen Sprachen wie beispielsweise Türkisch sucht, muss jedoch Deutsch können.

Über Umwege kann man sich zu „Informationen in anderen Sprachen“ klicken, um zu einem Merkblatt mit dem Titel „Viral enfeksyonlar“ zu gelangen. Dieses Merkblatt eignet sich, um es in Behörden und ähnlichen Einrichtungen im Flur aufzuhängen. Wenn sich jemand, der kein Deutsch kann, jedoch eigenständig auf der Seite informieren will, landet er dort im Nirvana.

Besser ist da die Webseite des Ethnomedizinischen Zentrums in Berlin. Doch warum braucht es für Informationsangebote für Menschen, die kein Deutsch können, solche speziellen Seiten? Warum schaffen wir es im Jahr 2021 immer noch nicht, im digitalen Raum gleich mehrere Zielgruppen ohne Umwege zu erreichen?

Zielgruppen werden oft falsch angesprochen: Beispiel Neukölln

Sprachbarrieren entstehen aber nicht nur durch fehlende Sprachkenntnisse auf der einen Seite. Sie entstehen auch dadurch, dass bestimmte Zielgruppen nicht richtig angesprochen werden. Behörden haben den Auftrag, die gesamte Bevölkerung über das aktuelle Infektionsgeschehen und die notwendigen Maßnahmen aufzuklären. Diese Kommunikation muss aber auf Augenhöhe erfolgen. Wie man es nicht macht, konnte man eindrucksvoll in Berlin-Neukölln erleben, einem „Einwandererbezirk“ schlechthin.

Seit dem vergangenen Herbst wurde dort nach und nach in mehreren größeren Straßen eine Maskenpflicht eingeführt. In manchen deutschen Innenstädten wurden in vergleichbarer Situation dafür Schilder aufgehängt, um auf diese neue Regelung hinzuweisen.

Schilder weisen in Mannheim auf Maskenpflicht hin.
Schilder weisen in Mannheim auf Maskenpflicht hin.

© imago images/Arnulf Hettrich

Nicht so in Neukölln: Dort fuhr an dem Tag, als die Regel in Kraft trat, die Polizei alle zehn Minuten im Streifenwagen die Straße entlang und gab per Lautsprecher durch, dass nun eine Maskenpflicht gelte. Passant*innen, die keine Maske trugen, wurden persönlich angesprochen, im Dialekt: Berliner Schnauze.

Auch auf Türkisch oder Arabisch hätte diese Ansprache kaum weniger herablassend gewirkt. Wenn man möchte, dass Menschen sich allgemein achtsamer verhalten, sollte man auf solche Maßregelungen und Machtdemonstrationen verzichten. Denn eines der wichtigsten Ziele in der Risikokommunikation ist laut WHO die Vertrauensbildung.

Eine Bitte ist keine Vorschrift - die Information ist irreführend

Zwischenzeitlich wurden auf diesen Straßen später Graffiti-Stencils auf dem Gehweg angebracht, mit einen Maskenemblem und dem Spruch „Bitte Maske tragen“ in deutscher, englischer, türkischer und arabischer Sprache. Die vielsprachige Formulierung wirkte zwar freundlicher, war zugleich aber auch irreführend.

Denn Mund und Nase mit einer Maske zu bedecken ist in den genannten Straßen keine freiwillige Geste, der man auf freundliche Bitte nachkommt, sondern eine Vorschrift, gegen die zu verstoßen teuer werden kann. In einem der ärmsten Bezirke der Stadt nicht darauf hinzuweisen, dass ohne Maske ein Bußgeld droht, ist wiederum fahrlässig. Konsequenterweise wurden die Graffiti-Stencils nicht mehr erneuert, nachdem sie vom Regen weggewaschen wurden.

Vieles, was sich über die Schwachstellen der Kommunikation von Gesundheitsbehörden und Polizei während der Corona-Pandemie sagen lässt, gilt vielleicht auch für die Jobcenter, Finanz- oder Jugendämter. Wie haben sie in diesen Monaten der ständigen Unklarheiten mit jenen Menschen kommuniziert, die nicht so gut Deutsch können? Darüber lässt sich nur mutmaßen.

Insgesamt müssen sich die Behörden in Deutschland nicht nur mit Blick auf Migrant*innen stärker um eine zielgruppengerechte Kommunikation bemühen. Bleibt nur zu hoffen, dass der Umgang mit Migrant*innen und ihren Angehörigen auf den Intensivstationen durch mehr Respekt gekennzeichnet ist.

Laura Scholaske

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