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Warteschlange vor einem Testzentrum in Windhuk: Namibia steuert auf eine Corona-Katastrophe zu, warnen Experten.

© imago images/Xinhua

Update

Corona-Notstand in Namibia: Das Virus und der Völkermord

Namibia verzeichnet die vierthöchste Corona-Inzidenz weltweit. Das hat auch Folgen für den andauernden Völkermord-Streit mit Deutschland.

Die Sorge ist groß, dass die dritte Welle nicht mehr zu stoppen ist. Bei knapp 470 liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Namibia – der vierthöchste Wert weltweit, Tendenz steigend. „Es wird schlimmer werden, bevor es besser wird“, sagt Namibias Präsident Hage Geingob. In dem Land im Südwesten Afrikas fehlt es an allem: von Impfstoffen bis zu medizinischem Gerät. „Die Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet, teilweise liegen die Menschen auf den Gängen, weil es nicht genug Betten gibt“, sagt Israel Kaunatjike, ein Aktivist aus Namibia, der in Berlin lebt. Gegen Covid-19 geimpft ist nur ein Prozent der 2,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, pro Tag werden Dutzende Todesfälle gemeldet.

Angesichts der Notlage werden in Deutschland die Forderungen nach Corona-Soforthilfen lauter. „Wir müssen deutlich mehr tun, um dem Land zu helfen, sonst kommt es dort zu einer humanitären Katastrophe“, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Ottmar von Holtz. „Ich appelliere an die Impfstoffhersteller, Dosen zur Verfügung zu stellen.“ Auch müsse die Bundesrepublik selbst Impfstoffe spenden, dazu Sauerstoffgeräte und Schutzausrüstung.

Die Abgeordnete der Linken Helin Sommer sagt, Deutschland könne „seinen absehbaren Impfstoffüberschuss Namibia und anderen stark von der Pandemie betroffenen Ländern des Südens zur Verfügung stellen“. Am Mittwoch teilte die namibische Regierung mit, sie habe über ihre Botschaft in Belgien Hilfe von der EU erbeten. Eine Lieferung an medizinischen Gütern soll dem namibischen Ministerium für internationale Beziehungen und Zusammenarbeit zufolge an diesem Donnerstag in Windhuk eintreffen. Es handle sich dabei um „die erste von drei Sendungen, die von Deutschland gespendet werden“, heißt es in der Mitteilung.

Zu arm zum Impfen, zu reich für Spenden

Namibia ist zu arm, um selbst flächendeckend zu impfen, gilt aber als zu reich, um von Spenden der internationalen Impfinitiative Covax zu profitieren. Wegen der wohlhabenden Weißen im Land, den Nachfahren deutscher Kolonialisten, wird Namibia als Staat mit „mittlerem Einkommen“ eingestuft.

Vor allem die Armen trifft die Krise hart – und sie hat Folgen für die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland. Im Mai hatten sich beide Staaten darauf verständigt, dass Deutschland Wiedergutmachung für den Völkermord an 100000 Herero und Nama in der einstigen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ leistet – mit 1,1 Miliarden Euro. Doch das sehen viele in Namibia als „Beleidigung“. Schon vor dem Corona-Ausbruch war fraglich, ob der Vertrag wie geplant in diesem Jahr abgeschlossen werden kann. Jetzt scheint es nahezu unmöglich.

„Das Abkommen mit Namibia auf Eis legen“

„Ich rechne nicht damit, dass die Einigung noch vor der Bundestagswahl unterzeichnet wird“, sagt von Holtz. Im Auswärtigen Amt heißt es dazu: „Wann die Gespräche in Namibia zur gemeinsamen politischen Erklärung mit Deutschland fortgesetzt werden, entscheiden die namibischen Stellen, wenn dies die Lage vor Ort zulässt.“ Im Juni habe Deutschland mehr als 460.000 OP-Masken nach Windhuk geschickt. Die Lieferung von 50 Beatmungsgeräten werde derzeit geprüft.

Laut einem Beschluss des Bundeskabinetts vom Mittwoch will Deutschland bis Jahresende 30 Millionen Impfdosen „unentgeltlich an Drittstaaten, insbesondere Entwicklungsländer, abgeben“. Der Großteil soll über Covax, 20 Prozent bilateral verteilt werden – darunter auch an Namibia.

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Der Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmerer von der Uni Hamburg begrüßt das, gibt aber zu bedenken, dass Namibia umgehend Hilfe brauche. „Wenn Deutschland wirklich Verantwortung für den Genozid übernehmen will, muss es daraus einen besonderen Schutz der Opfergruppen ableiten“, sagt er. Das gelte für Herero und Nama und die „übrigen Opfer des ,Rassenstaats’“ in der Ex-Kolonie. Deutschland müsse „das Abkommen mit Namibia auf Eis legen“ und den „Betroffenen Zeit geben, sich zu sortieren“.

Seit dem Corona-Ausbruch stehen Teile der Herero-Community unter Schock. Im Juni starb der einflussreiche Chief Vekuii Rukoro an Covid-19, einer der schärfsten Kritiker des Abkommens. Wenige Tage danach erlag der namibische Diplomat Zed Ngavirue, der den Vertrag ausgehandelt hatte, der Krankheit. Damit sind zwei der prominentesten Akteure im Völkermord-Streit tot. Wer jetzt zwischen Befürwortern und Gegnern im Land vermitteln soll, wie der Vertrag gerettet werden kann – unklar.

Er war einer der schärfsten Kritiker Deutschlands: Der Herero-Politiker Vekuii Rukoro ist im Juni an Covid-19 gestorben.
Er war einer der schärfsten Kritiker Deutschlands: Der Herero-Politiker Vekuii Rukoro ist im Juni an Covid-19 gestorben.

© AFP/DON EMMERT

Volkmar Klein, entwicklungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sieht die namibische Regierung in der Pflicht. „Sie muss die erheblichen innenpolitischen Probleme im Land lösen.“ Zimmerer warnt davor, dass Abkommen einfach durchzuboxen. Der Reputationsverlust für Deutschland in Namibia wäre „ungeheuer, nachhaltige Versöhnung ins Gegenteil verkehrt“.

Von Holtz plädiert vor allem für schnelle, direkte Hilfe für Namibia – „um im Geiste des Versöhnungsprozesses glaubwürdig zu bleiben“. In der Groko will man sich dem nicht anschließen. „Wir haben uns in der Pandemiebekämpfung auf einen multilateralen Ansatz geeinigt“, sagt CDU-Mann Klein. „Davon sollten wir nicht abrücken.“ Die SPD-Entwicklungspolitikerin Gabi Weber ist ebenfalls zurückhaltend. „Deutschland hat eine besondere historische Verantwortung für Namibia“, sagt sie. „Aber die Versorgung mit Impfstoffen damit zu verknüpfen, davon halte ich wenig.“

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