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Mit der Ruhe vor dem Ansturm. Medizinstudentinnen und -studenten im praktischen Jahr simulieren im Stuttgarter Pädiatrie- und Patientensimulator im Klinikum Stuttgart eine Corona-Impfung an Pflegeschülerinnen.

© dpa / Marijan Murat

Corona-Impfungen: Ein bisschen zu spät ist fast immer viel zu spät

Die Impfungen gegen das Corona-Virus hätten viel früher beginnen müssen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Die Gesundheitssenatorin schien nicht glücklich zu sein. Am vergangenen Freitag verkündete sie in der Abendschau des rbb, dass in Berlin zum erhofften Start der Impfkampagne am 27. Dezember gerade einmal 18000 Dosen zur Verfügung stehen würden. Da erst nach der zweiten Impfung eine Sicherheit gegen die Corona-Infektion gegeben ist, bedeutet das: Gerade einmal 8500 Menschen aus der Risikogruppe der Älteren und besonders Gefährdeten könnten geschützt werden.

Das reicht nicht einmal für die Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeheime, ganz zu schweigen von allen über 70-Jährigen, dem Pflegepersonal, den Ärzten. Dilek Kalayci erhofft sich im ersten Quartal Impfstoff für nicht einmal zehn Prozent der Berlinerinnen und Berliner. Das ist viel zu wenig.

Daran ist die Berliner Landesregierung nicht schuld, die Bundesregierung aber durchaus, und mit ihr die gesamte EU-Entscheidungsebene. In Europa hat die EMA, die zuständige Arzneimittelbehörde, getestet und geprüft, als ginge es um die vorsorgliche Untersuchung eines Impfstoffes, den man in einer noch zu erwartenden Krankheitswelle brauchen würde. Aber die Sachlage ist völlig anders: Die Pandemie ist da. Jeder Tag, an dem neue Impfstoffe – vorausgesetzt sie sind sicher – zur Verwendung kommen, werden Tausende von Menschenleben gerettet.

Sorgfältige Prüfung ist wichtig

Die Zuverlässigkeit gerade des Serums der deutsch-amerikanischen Entwicklung von Biontech/Pfizer ist durch das „New England Journal of Medicine“ dokumentiert worden. Wenn die Wissenschaftsredaktion des Tagesspiegels über die Veröffentlichung berichten konnte, weil der amerikanischen Fachzeitschrift für ihre Analyse die Originalunterlagen der Pharmafirmen zur Verfügung standen, sollte die europäische Arzneimittelbehörde dazu allemal in der Lage gewesen sein.

Natürlich ist die sorgfältige Prüfung eines Impfstoffes unverzichtbar. Aber es ist eine Illusion, zu glauben, man könne durch noch so langwieriges Hin- und Herwenden der Prüfergebnisse auch die Impfgegner und Corona-Leugner überzeugen. Gerade hat eine Umfrage im Auftrag der Adenauerstiftung in Deutschland gezeigt, dass 24 Prozent der AfD-Anhänger sicher sind, bei der Corona-Pandemie handele es sich um eine Verschwörung zur Unterdrückung der Menschen. Weitere 41 Prozent aus dieser Gruppe halten das zumindest für wahrscheinlich.

Die Briten waren die ersten

Hier geht es um Menschenleben. Daher war es gut, dass in den letzten Tagen die Bundeskanzlerin selbst in Brüssel darauf gedrungen hat, die Entscheidungs- und Freigabeprozesse zu beschleunigen. In Deutschland gibt es täglich zwischen 25000 und 30000 Neuinfektionen. Innerhalb von 24 Stunden sterben hier im Durchschnitt 900 Menschen, vorwiegend ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger. In Großbritannien wird seit dem 8. Dezember geimpft.

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Wenn in Deutschland am 27. Dezember mit der Impfstoffvergabe begonnen wird, sind seit dem Start der Aktion auf der Insel 19 Tage vergangen. 19 Tage, in denen sich vermutlich mehr als 450000 Menschen neu infiziert haben, in denen – welch entsetzliche Zahl – wahrscheinlich über 15000 Menschen gestorben sein werden.

Keines dieser furchtbaren Ereignisse hätte durch einen früheren Impfbeginn verhindert werden können. Aber die Zahl der nachfolgenden Infektionen und Sterbefälle wäre deutlich gesunken. Hat man dann noch vor Augen, dass die jetzt in Großbritannien aufgetretene Virusmutation noch deutlich infektiöser als die bekannte ist, muss jeder begreifen, wie wichtig eine schnelle und umfassende Impfung in Deutschland gewesen wäre.

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