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Arbeiter kontrollieren eine Solarstrom-Anlage in Dongyang in der Provinz Zhejiang.

© imago/stock&people/xinhua

China will bis 2060 CO2-neutral werden: PR-Nummer oder echte Energiewende?

Präsident Xi Jinping will in seinem Land bis 2060 Klimaneutralität erreichen. Doch die Provinzen setzen weiter auf fossile Brennstoffe.

Es gab begeisterte Reaktionen auf das, was Chinas Präsident Xi Jinping in seiner Rede in der vergangenen Woche bei den Vereinten Nationen verlautbart hatte. „Die größte klimapolitische Ankündigung der vergangenen sechs Jahre“, sagte Niklas Höhne vom New Climate Institute dem Tagesspiegel Background Energie & Klima. Und die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) twitterte, sie sei „überzeugt, dass sich einer von China und der EU ausgehenden Klimaschutz-Dynamik auch andere große Volkswirtschaften nicht entziehen können.“

Tatsächlich klingt es klimapolitisch erst einmal sehr gut, wenn das Land, das für fast 30 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, vor 2060 die CO2-Neutralität erreichen will. Sollte China diese Ankündigung tatsächlich umsetzen, so würden nach Berechnungen von Climate Action Tracker die Prognosen für die globale Erwärmung um etwa 0,2 bis 0,3 Grad sinken. Das ist die größte Einzelreduktion, die von dem Monitoring Tool jemals veranschlagt wurde. Xi Jinping hatte zudem verkündet, dass der Höhepunkt des CO2-Ausstoßes in China noch vor 2030 erreicht werden solle. China und die EU, die nach dem Willen der EU-Kommission bis 2050 klimaneutral werden will – also nicht nur CO2, sondern auch alle anderen Klimagase auf Nettonull setzen will –, gehen weltweit in Sachen Klimaschutz voran. So scheint es zumindest. Auch die Bundesregierung begrüßte das Vorhaben Chinas. Die Grünen im Bundestag sprachen zwar von einem „wichtigen Ziel“, äußerten sich aber – nicht ohne Grund – einschränkend. „Verkündungen stellen noch kein Handeln dar“, teilten sie mit. „Am Ende zählen nur Taten.“

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Doch bei den Taten planen Chinas Provinzen im Moment genau das Gegenteil. Eine Analyse der britischen Webseite „CarbonBrief“ kommt zu dem Schluss, dass beim chinesischen Coronavirus-Konjunkturpaket die acht Provinzen mit dem größten Energiekonsum mehr als drei Mal so viel Geld in Projekte mit fossilen Brennstoffen (270 Milliarden Euro) stecken wollen als in grüne Projekte (67 Milliarden Euro). Ein weiterer Anstieg des CO2-Ausstoßes wäre die Folge.

Chinas Konjunkturpaket nach der Finanzkrise von 2008 hatte bereits einen immensen Boom der Schwerindustrie und Bauindustrie nach sich gezogen und hatte den größten Anstieg von CO2-Emissionen eines Landes innerhalb von drei Jahren in der Geschichte der Menschheit zur Folge.

Das aktuelle Konjunkturpaket fällt jedoch kleiner aus. Die Autoren haben die Listen der wichtigsten Konjunktur-Projekte der Provinzen Guangdong, Hebei, Henan, Innere Mongolei, Jiangsu, Shaanxii, Shandong und Shanxi ausgewertet. Es ist im Interesse dieser Provinzen, dass die Vorhaben in den Fünfjahresplan der Volksrepublik China aufgenommen werden, der zurzeit ausgearbeitet wird. Die Umsetzung aller Pläne ist dabei nicht garantiert. Aber die einzelnen Punkte zeigen deutlich, wo die Entscheidungsträger in den Provinzen und der dortigen staatseigenen Unternehmen ihre Prioritäten setzen.

Der kommende Fünfjahresplan wird die Richtung weisen

„Die fortgesetzten Ausgaben für Infrastruktur mit fossilen Brennstoffen passt nur schlecht zur Ankündigung des Landes, den Höhepunkt des CO2-Ausstoßes so bald wie möglich zu erreichen“, schlussfolgern die Autoren der Analyse. „Es stellen sich auch Fragen bezüglich der überraschenden Zusicherung Xi Jinpings in dieser Woche, noch vor 2060 die Klimaneutralität zu erreichen.“

Nach Xis Rede ist weiterhin unklar, was genau China unter Klimaneutralität versteht und wie sie umgesetzt werden soll. „Es wurde kein Strategieplan bekannt gegeben, wie das erreicht werden soll“, sagt der Energie-Experte Gavin Thompson der „South China Morning Post“. Thompson glaubt, dass Xis Ankündigung vom Höhepunkt des CO2-Ausstoßes vor 2030 dafür spreche, dass das Land im kommenden Fünfjahresplan sein Investment in saubere Energie, zu denen in China auch die Atomenergie gehört, beschleunigen werde. „Der kommende 14. Fünfjahresplan Chinas hat das Potenzial, das wichtigste Dokument in der Geschichte des globalen Energiemarktes zu werden“, glaubt Thompson.

Zweifellos kommt dem Fünfjahresplan, der im Frühjahr bekannt gegeben wird und der die wirtschaftlichen Weichen Chinas für die Jahre 2021 bis 2026 stellt, große Bedeutung zu. Im vergangenen Jahr bestand Chinas Energiemix noch zu 85 Prozent aus fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas und Kohle. Das soll sich ändern. Die Frage ist, wie schnell.

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Wenn China das ehrgeizige Ziel der CO2-Neutralität erreichen wolle, müsse es seine Anstrengungen für saubere Energien verdoppeln, sagt Kevin Tu, Energie-Experte am Zentrum für Globale Energiepolitik, der „South China Morning Post“. „Die entscheidende Frage ist, wie ehrgeizig die Regierung sein wird“, sagt Tu, „das Potenzial des Landes, erneuerbare Energien hinzuzufügen, ist groß, aber wegen unterschiedlicher Interessensgruppen im Land gibt es großen Widerstand gegen die Entwicklung von erneuerbaren Energien.“ Die acht Provinzen, die auf einen Konjunkturschub durch fossile Brennstoffe setzen, dürften zu jenen Bremsern gehören.

Der Asien-Energie-Experte Lauri Myllyvirta hält Xis Ankündigung dennoch für mehr als eine PR-Nummer. Vielmehr habe sein Bekenntnis vor den Staatschefs dieser Welt das Potenzial, die chinesische Gesellschaft auf neue Ziele einzuschwören, schreibt er in einem Beitrag für das „Zentrum für Forschung zu Energie und sauberer Luft.“ „Wenn es bei den Bürokraten signalisiert, dass diese Vision etwas ist, was ab jetzt umgesetzt werden muss, kann das Chinas Energiewende auf Vollgas stellen.“ Der kommende Fünfjahresplan wird es zeigen.

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