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Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht berät Verfassungsbeschwerden von Psychiatriepatienten nach Fesselung.

© Uli Deck/dpa

Bundesverfassungsgericht: Dürfen Psychiatriepatienten zwangsgefesselt werden?

Tausende Psychiatriepatienten sind jedes Jahr von Fixierungen betroffen. Das Bundesverfassungsgericht will nun klären, ob darüber stets ein Richter entscheiden muss.

Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob Zwangsfesselungen in der Psychiatrie nur noch dann erlaubt werden, wenn sie von einem Richter genehmigt worden sind. Tausende von Patienten sind jedes Jahr von Fixierungen betroffen. Die Verhandlung am Dienstag zeigte, dass es keine einfachen Antworten geben wird. Jede mögliche Lösung wirft neue Probleme auf. So verzichtet etwa England ganz auf Fixierungen, verabreicht dafür aber unter körperlichem Zwang Medikamente. Das Bundesverfassungsgericht wird frühestens in drei Monaten ein Urteil verkünden.

Anlass der auf zwei Tage angesetzten Verhandlung sind zwei Verfassungsbeschwerden. Ein Mann aus Bayern wurde 2009 von der Polizei in die Psychiatrie eingewiesen. Dort wurde er auf ärztliche Anordnung acht Stunden lang an Händen, Beinen, Bauch, Brust und Stirn fixiert. Ein Richter hatte das weder angeordnet noch kontrolliert. Der Betroffene klagte erfolglos auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Dann legte er Verfassungsbeschwerde ein. Der zweite Fall betrifft einen Psychiatriepatienten aus Baden-Württemberg, der 13 Tage einer Fünf-Punkt-Fixierung – an Armen, Beinen und Bauch gefesselt – ausgesetzt war.

Eine Ausnahme ist das nicht. Zwar geht die Zahl der Fixierungen in Psychiatrien zurück. Aber 2016 gab es allein in Baden-Württemberg 17.600 Fesselungen bei 5300 Patienten. In Nordrhein-Westfalen, Berlin und Niedersachsen ist vorgeschrieben, dass Richter die Fixierung genehmigen müssen, andere Bundesländer tun das nicht. Ob es bundesweit einen Richtervorbehalt geben soll, muss nun der Zweite Senat entscheiden.

Wann könnte ein Richter eingesetzt werden?

Für Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) ist eine Richtergenehmigung nicht praxistauglich. „Fixierungen sind im Grunde nicht planbar“, sagte er in Karlsruhe. Das müsse kurzfristig entschieden werden. Wenn ein Mensch in die geschlossene Abteilung einer Psychiatrie eingeliefert werde, habe das bereits ein Richter genehmigt. Die Fesselung sei keine erneute Freiheitsentziehung und müsse deshalb nicht erneut genehmigt werden. Seit 2014 sei eine 1:1-Betreuung fixierter Patienten vorgeschrieben, alle Maßnahmen würden dokumentiert. Jeder Betroffene könne sich nachträglich an Patientenvertreter und Ombudsstellen wenden.

Die Richter befragten fünf Experten aus der Psychiatrie. Wie und wann könnte ein Richter in einer Notsituation überhaupt eingeschaltet werden? „Kann der Richter dann überhaupt eine andere Entscheidung treffen als der Arzt?“, fragte Verfassungsrichterin Monika Hermanns. Arno Deister vom deutschen Fachverband für Psychiatrie plädierte für eine nachträgliche Genehmigung, zumindest wenn eine Fixierung länger dauere oder wiederholt werden solle. Aber dann müsse der Richter prognostizieren, wie sich der Patient entwickle, wandte Verfassungsrichterin Hermanns ein.

Das Bundesverfassungsgericht fragte auch nach Alternativen zur Fixierung, etwa die Unterbringung in einem Isolierraum. Aber auch das ist eine Freiheitsentziehung, die wohl eine richterliche Genehmigung braucht, gab Tilmann Steinert von den Südwürttembergischen Zentren für Psychiatrie zu bedenken. In den Niederlanden werde zwar auf Fesselung verzichtet, Kranke wurden aber sehr lange in Isolierräumen untergebracht. Das führte dann ebenfalls zu einem Aufschrei und man gibt jetzt wieder Medikamente, berichtete Steinert.

Auch die Praxis in England überzeugte nicht alle. Dort wird auf Fixierung verzichtet, aber tobende Patienten werden von Spezialkräften außer Gefecht gesetzt und körperlich festgehalten. Dann erhalten sie unter Zwang Spritzen, unter Umständen mehrfach.

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