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Die Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen in Oranienburg.

© Kitty Kleinst-Heinrich

Entschädigung für „Asoziale“: Bundestag will Opfergruppen anerkennen

Bislang wurden Menschen, die von der SS als „Berufsverbrecher“ deklariert wurden, weitestgehend aus der Erinnerungskultur ausgeschlossen. Das soll sich ändern.

Fast 75 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus stehen zehntausende Opfer von Konzentrationslagerhaft noch immer am Rande der deutschen Erinnerungskultur. Zu ihnen zählen Menschen, die von der SS zu „Asozialen“ und „Berufsverbrechern“ erklärt wurden und die im Konzentrationslager ein schwarzes beziehungsweise grünes Stoffdreieck an der Kleidung tragen mussten. Ein großer Teil der unter diesen beiden NS-Kategorien inhaftierten Menschen überlebte Terror, Willkür und Schwerstarbeit nicht.

Die Frage einer formalen Anerkennung dieser beiden bislang ausgeblendeten Opfergruppen als Opfer von NS-Unrecht beschäftigt derzeit den Bundestag. Die Initiative dazu geht zurück auf die Grünen, die im Sommer 2018 zunächst für eine interfraktionelle Einigung geworben hatten. Inzwischen liegen neben einem Antrag der Grünen eigene Anträge der Linken, der FDP und ein Antrag der Großen Koalition vor. Überraschend hatten CDU/CSU und SPD ihren Antrag Ende Oktober ins Parlament eingebracht.

Frank Nonnenmacher ist „positiv überrascht“, dass CDU/CSU nun doch einem gemeinsamen Antrag mit der SPD zugestimmt haben. Der emeritierter Professor für Sozialwissenschaften und Politische Bildung hatte im April 2018 einen schriftlichen Appell an das Präsidium des Bundestags übergeben, „Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ offiziell als NS-Opfer anzuerkennen. Den Appell hatten unter anderem zahlreiche prominente Historiker und Politiker aller Parteien, mit Ausnahme der AfD, unterzeichnet.

Zu den „Asozialen“ zählten die Nazis Wohnungslose, Wanderarbeiter oder Frauen, die als „sexuell verwahrlost“ galten. Der Begriff „asozial“ war nicht genau definiert und konnte bewusst breit ausgelegt werden. Die als „Berufsverbrecher“ in Konzentrationslagern Inhaftierten waren zumeist Kleinkriminelle mit mehreren Vorstrafen. Nach Verbüßen ihrer Haftstrafe wurden sie in ein Konzentrationslager eingeliefert. Ab 1942 wurden Strafgefangene zur „Vernichtung durch Arbeit“ freigegeben.

Konzentrationslagerhaft war egal aus welchem Grund eine Folter

Nach seiner Befreiung 1945 bemühte sich etwa Nonnenmachers Onkel, der selbst inhaftiert war, vergeblich um finanzielle Entschädigung. Die Wiedergutmachungspolitik der Nachkriegsjahre berücksichtigte die zuvor als „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ Klassifizierten nicht. Anspruch auf Entschädigung hatte lediglich, wer aus rassischen, religiösen, politischen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt worden war. Erst seit den 1980erjahren können Menschen, die aus anderen Gründen verfolgt wurden, Ansprüche aus einem Härtefonds geltend machen.

Die Haltung, dass Konzentrationslagerhaft in jedem Falle Unrecht war, findet sich nun wieder im Antrag der Regierungsparteien, mit dem sie sich für eine Anerkennung der beiden bislang im Schatten stehenden Opfergruppen einsetzen. „Ich gehe davon aus, dass man negative Konsequenzen für das Erscheinungsbild der Unionsparteien in der Öffentlichkeit gesehen hat“, vermutet Frank Nonnenmacher. Diese befand sich in einer politischen Klemme: Hätte sie ihre Ablehnung der Anerkennung der beiden Opfergruppen aufrecht erhalten, hätte sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, Konzentrationslagerhaft der sogenannten Berufsverbrecher indirekt als rechtmäßig anzusehen. Zudem hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, dass „weniger beachtete Opfergruppen des Nationalsozialismus“ anerkannt werden sollen.

Am 6. November wird es im Kulturausschuss des Bundestages zum wiederholten Male eine Anhörung zum Thema geben. Da nun alle Fraktionen, von der Union bis zu Linken, in der Sache an einem Strick ziehen, werden die geladenen Experten keine Überzeugungsarbeit mehr leisten müssen. Für Frank Nonnenmacher wäre eine überparteiliche Anerkennung der beiden bislang im Schatten stehenden Opfergruppen eine Genugtuung.

Jutta Herms

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