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Eine Pflegekraft unterstützt eine Seniorin beim Gehen.

© dpa/Sebastian Gollnow

Bundestag stimmt über Pflegereform ab: „Für viele bedeutet die Pflege einen Abstieg in die Armut“

Der Bundestag soll Freitag die umstrittene Pflegereform der Ampel-Koalition beschließen. Die Präsidentin des Deutschen Pflegerates fordert mehr Hilfe für pflegende Angehörige.

Frau Vogler, diesen Freitag wird im Bundestag über die Pflegereform der Bundesregierung abgestimmt. Verbessert sich die Situation von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen dadurch?
Eine Reform kann man das, was da kommt, eigentlich nicht nennen. Offiziell heißt das Gesetz „Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz“. Dabei ist es für Pflegende weder eine Unterstützung noch eine Entlastung. Es ist eher eine Anpassung, die zu spät kommt und zu wenig beinhaltet.

Welche Anpassung ist das?
Die Leistungen der ambulanten Pflege werden zum ersten Mal seit 2017 erhöht. Für 2021 war schon mal eine Erhöhung angekündigt, die dann aber ausblieb. Der Schritt ist längst überfällig. Die Erhöhung beträgt aber nur 4,5 Prozent. Konkret heißt das: Pflegebedürftige mit dem höchsten Pflegegrad – und ihre Angehörigen – bekommen 40 Euro mehr Pflegegeld im Monat. Mit diesem Geld können sie unter anderem Pflegedienste und Sachleistungen wie Windeln bezahlen. Für den niedrigsten Pflegegrad gibt es gerade mal 14 Euro mehr. Und das auch erst ab Januar 2024.

Welche Erhöhung hätte es gebraucht?
Mindestens das Doppelte. Und außerdem eine künftig dynamische Anpassung an die Inflation, wie das bei Tarifverträgen öfter geschieht. Sonst warten wir wieder sieben Jahre darauf, dass es zehn bis 40 Euro mehr im Monat gibt.

Zusätzlich zu der Erhöhung des Pflegegeldes soll es ab 2025 für alle ein flexibles Entlastungsbudget geben. Etwa 3500 Euro, die den Pflegebedürftigen unbürokratisch zur Verfügung stehen sollen.
Ja. Mit diesem Geld können sich pflegende Angehörige zum Beispiel eine Auszeit nehmen und eine sogenannte Verhinderungspflege als Vertretung einstellen. Oder den Pflegebedürftigen in einer stationären Kurzzeitpflege versorgen lassen. Diese Möglichkeiten gab es auch vorher schon, allerdings war das Budget sehr viel geringer. Die Beantragung war und ist leider immer noch sehr bürokratisch. Und auch hier: Auf den Monat runtergerechnet sind das keine 300 Euro. Und es löst das eigentliche Problem nicht, vor dem pflegende Angehörige stehen.

Welches Problem ist das?
Bereits jetzt fehlen uns in Deutschland 100.000 Pflegekräfte, Tendenz steigend. Denn in den kommenden Jahren wird es immer mehr Menschen geben, die auf Pflege angewiesen sind. Gleichzeitig werden voraussichtlich mehr Pflegekräfte in Rente gehen, als neue ausgebildet werden. Schon jetzt fällt die Hauptlast der Pflege auf die Angehörigen zurück.

Wie viele Menschen betrifft das?
In Deutschland gibt es knapp fünf Millionen Pflegebedürftige, und die Zahl steigt. Wie viele Angehörige sich um die Pflege dieser Menschen kümmern, wissen wir nicht genau. Aber wir gehen davon aus, dass etwa 80 Prozent der Pflegebedürftigen zuhause versorgt werden.

In vielen Fällen konsumiert die Pflege so viel Zeit, dass die pflegenden Angehörigen weniger Erwerbsarbeit leisten – oder ganz damit aufhören. Meistens betrifft das Frauen.

Christine Vogler

Laut einer aktuellen Studie des Sozialverbandes VdK haben davon 93 Prozent keinen Zugang zur Tagespflege und 62 Prozent noch nicht einmal einen Pflegedienst.
Genau. Viele Menschen pflegen ihre Angehörigen so lange alleine, bis es gar nicht mehr geht. Manchmal hat das persönliche Gründe, weil der zu pflegende Vater oder Partner das vielleicht nicht anders will. Oft finden die Angehörigen aber auch keinen Pflegedienst, oder ihnen fehlt das Geld, um ihn zu bezahlen.

Welche Auswirkungen hat das für die Angehörigen?
In vielen Fällen konsumiert die Pflege so viel Zeit, dass die pflegenden Angehörigen weniger Erwerbsarbeit leisten – oder ganz damit aufhören. Meistens betrifft das Frauen. Für viele bedeutet die Pflege einen Abstieg in die Armut. Vor allem dann, wenn die pflegebedürftige Person noch nicht im Rentenalter ist und von Sozialhilfe lebt. Die ist oft geringer als die Rente. Damit verändert die Pflege von Angehörigen ganze Lebensentwürfe. Ganz abgesehen von der psychischen Belastung, die auf Menschen zukommt, wenn sie die Verantwortung für die Pflege einer anderen Person tragen müssen.

Was wünschen Sie sich anstelle der Pflegereform, die jetzt kommt?
Es braucht mehr Geld von der Politik, ganz klar. Aber auch Perspektiven, wie es mit der Pflegesituation langfristig weitergeht. Wir können uns da viel von anderen Ländern abschauen. Einzelne Regionen Österreichs diskutieren zum Beispiel über die Möglichkeit, pflegende Angehörige offiziell bei der Kommune anzustellen. Statt Sozialleistung bekommen sie dann eine Art Gehalt.

Solche Modelle – oder zumindest Überlegungen dazu – brauchen wir auch in Deutschland. Ich habe das Gefühl, der Wille vieler Politiker ist da, aber das Ergebnis spiegelt das nicht wider. Dass es nur ein paar Euro mehr für einzelne Leistungen gibt, macht mich ehrlich gesagt ratlos.

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