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Gibt es genug Impfstoff? Die Liefer-Verlässlichkeit der Hersteller ist unterschiedlich.

© Rolf Vennenbernd / dpa

Negativ-Meldungen zu AstraZeneca: Bundesregierung sieht keinen Schaden für die Impfkampagne

Das Aussetzen von AstraZeneca-Impfungen hat aus der Sicht der Bundesregierung keinen Impfstau verursacht. Allerdings sei es Auslöser vieler Fake News gewesen.

Haben das zeitweilige Informationswirrwarr um mögliche Nebenwirkungen des Corona-Impfstoffs von AstraZeneca und das dreitägige Aussetzen von Impfungen mit diesem Vakzin Mitte März der Impfkampagne in Deutschland geschadet – und wenn ja, in welchem Ausmaß? Diese etwas retrospektiv wirkende, aber für die weitere Bekämpfung der Pandemie womöglich sehr wichtigen Fragen der FDP-Fraktion hat die Bundesregierung nun schriftlich verneint. Allerdings bleiben die Angaben dazu vage.

Dem Bund seien durch die Aussetzung der AstraZeneca-Impfungen vom 16. bis zum 18. März weder zusätzliche Kosten entstanden noch habe es dadurch Verzögerungen bei den Impfstoff-Auslieferungen an die Länder gegeben, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage, die dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health vorliegt.

Und der kurzzeitige Rückzieher habe auch „keine Auswirkungen auf das Ziel der Bundesregierung, im Sommer allen Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland ein Impfangebot machen zu können“.

Gleichzeitig räumte Gesundheits-Staatssekretärin Sabine Weiss aber ein, dass es unter Bezug auf die zeitweiligen Unklarheiten beim AstraZeneca-Vakzin Versuche gegeben habe und gebe, das Vertrauen in die Impfkampagne durch Fake News zu unterminieren.

„Bewusst gestreute falsche Informationen“

Ein „sehr relevanter Aspekt im Zusammenhang mit der kurzzeitigen Impfaussetzung“ seien „bewusst gestreute falsche Informationen (sog. Fake News), vor allem in den sozialen Netzwerken und Plattformen“, so die Staatssekretärin.

Die Bundesregierung habe jedoch reagiert und „einen Prozess etabliert, um den verbreiteten Desinformationen zeitnah mit aktuellen Fakten und verlässlichen Informationen entgegen zu treten und sie zu widerlegen“. Mit Erfolg, wie Sabine Weiss behauptet.

„Ausgewertete Reaktionen zeigten, dass mit der auf die aktuelle Lage reagierenden Kommunikation und der transparenten Informationsarbeit einem generellen Vertrauensverlust und einem Nachlassen der Impfbereitschaft entgegengewirkt werden konnte.“

Nach Kenntnis der Bundesregierung habe die Aussetzung der Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff insofern „keine Auswirkungen auf die Umsetzung der Impfkampagne“. 

Bei der Frage, ob und inwieweit sich die Aussetzung der AstraZeneca-Impfungen auf die Ausbreitung des Coronavirus, die Zahl der Erkrankungen an Covid-19 und die Zahl der Todesfälle an und mit Covid-19 ausgewirkt habe, muss die Bundesregierung gleichwohl passen.

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Da der Pandemieverlauf und das epidemiologisches Geschehen von vielen Faktoren abhängig seien, lasse sich das durch „singuläre Betrachtung eines Impfstoffs für einen sehr begrenzten Zeitraum von drei Tagen“ nicht sagen, so die Antwort.

Den täglichen Auswertungen des RKI zu den durchgeführten Impfungen in den Ländern zufolge, habe die Aussetzung jedenfalls „zu keinem signifikanten Einbruch der Impfungen in diesem Zeitfenster geführt“. Allerdings gibt es zahlreiche Berichte, wonach Patienten in Hausarztpraxen Impfungen mit AstraZeneca abgelehnt oder zumindest sehr schlecht darüber informiert seien.

Ärger über nicht eingehaltene Lieferzusagen

Interessant ist auch eine in der Antwort befindliche Zwischenbilanz der Bundesregierung zu den bisherigen Impfstoff-Lieferungen. Die Hersteller BioNTech und Moderna hätten „ihre bisherigen Lieferzusagen grundsätzlich eingehalten“, schreibt die Staatssekretärin.

AstraZeneca dagegen bleibe „deutlich hinter der vertraglich vereinbarten Liefermenge zurück“. So seien im ersten Quartal 2021, bis einschließlich 6. April, insgesamt rund 5,6 Millionen Dosen des britischen Herstellers geliefert und an die Länder verteilt worden.

Und der Lieferprognose des Herstellers zufolge sollen es im zweiten Quartal dann 12,4 bis 15,4 Millionen sein. Ursprünglich betrug die AstraZeneca-Lieferprognose für das zweite Quartal allerdings 16,9 Millionen.

Insgesamt stünden Deutschland, dem sogenannten „Advance Purchase Agreement“ zufolge, rund 56 Millionen Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs zu, erinnert die Staatssekretärin.

Die Lieferdaten und -mengen von AstraZeneca und Johnson & Johnson würden „aktuell nur mit sehr kurzer Frist angekündigt, was alle Beteiligten vor logistische Herausforderungen stellt“, heißt es auch in einem Bericht zum Impffortschritt, den das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) heute anlässlich des Impfgipfels von Bund und Ländern vorlegt. Kalenderwochenbezogene Lieferpläne bis Ende Juni lägen bisher nur von BioNtech und Moderna vor, bedauert das BMG darin.

Spahn lobt Zuverlässigkeit von BioNTech

Tatsächlich hatten die Regierenden auch bisher schon deutlich mehr Freude mit BioNTech. Zwar sei es wegen Umbauarbeiten an den Abfüllanlagen im belgischen Puurs Ende Januar auch bei diesem Hersteller kurzfristig zu geringeren Liefermengen gekommen, diese hätten jedoch „innerhalb weniger Wochen wieder ausgeglichen“ werden können.

Durch eine mit der EU-Kommission ausgehandelte Lieferbeschleunigung habe man bis Ende März dann sogar 580.000 Dosen mehr erhalten als ursprünglich geplant. Und auch für das zweite Quartal sei bereits „eine Lieferbeschleunigung zugesagt“. Demnach erhalte Deutschland bis Ende Juni 50,3 Millionen Impfstoff-Dosen. Das seien über zehn Millionen Dosen mehr als eingeplant.

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Auch bei Moderna gab es keine Negativ-Überraschungen. Bis Ende des ersten Quartals seien etwa 1,8 Millionen Impfdosen geliefert worden – was der erwarteten Menge entspreche. Und für das laufende Quartal habe das Unternehmen zugesagt, seine Lieferprognose von 6,4 Millionen Dosen ebenfalls einzuhalten.

Es mache ihn zuversichtlich, „dass unser Hauptlieferant BioNTech sehr zuverlässig liefert“, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag öffentlich bekräftigt. Von rund 80 Millionen Dosen kämen 50 von diesem Hersteller. Die Kritik von Ärztepräsident Klaus Reinhardt, dass angeblich „mehr als fünf Millionen Impfdosen ungenutzt gelagert“ seien, wies der Minister zurück. Bis zur nächsten Lieferung würden zwei von aktuell vier Millionen zurückgehaltenen Dosen verimpft. Die übrigen seien verplant.

Reservehaltung von Impfstoff fast komplett aufgelöst

Fast alle Bundesländer seien der Empfehlung aus einem Schreiben des BMG vom 24. März gefolgt und hätten „die Reserve-Haltung für Zweitimpfungen nahezu vollständig aufgelöst“, heißt es nun auch in dem Bericht an die Teilnehmer des heutigen Impfgipfels.

Dies habe im Falle ausbleibender Lieferungen zwar „ein gewisses Risiko“. Gleichwohl überwiege in dieser Phase der Pandemie das Interesse an einer möglichst zügigen Erstimpfung so vieler Bürger:innen wie möglich. Mit diesem Ziel hätten auch nahezu alle Bundesländer – wie von BMG und Ständiger Impfkommission (Stiko) empfohlen – das zeitliche Intervall zwischen Erst- und Zweitimpfung auf sechs Wochen (bei mRNA-Imfpstoffen) beziehungsweise zwölf (bei AstraZeneca) verlängert.

Das sei „jeweils der längstens mögliche Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung im Rahmen der Zulassung, der Empfehlung der Stiko und der aktuellen Erkenntnislage“.

Die Beendigung einer Vorratshaltung von Impfdosen für die Zweitimpfung sei „ein längst überfälliger Schritt“, sagte der FDP-Abgeordnete Karsten Klein dem Tagesspiegel. Gesundheitsminister Spahn muss dafür Sorge tragen, dass Deutschland beim Impftempo endlich zur Spitzengruppe in Europa aufschließe. Beim Impfen dürfe „nur die Zahl der verfügbaren Impfdosen ein limitierender Faktor sein“.

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Vom zeitweise umstrittenen AstraZeneca-Vakzin seien gerade mal „wenige 100.000 unverimpft“, sagte Spahn am Freitag. Der Zuspruch zu diesem Impfstoff sei zwar etwas gesunken. Doch seiner Einschätzung nach gebe es eine „hinreichend große Zahl“ von Menschen im Land, die ihn schnell annehmen würden, wenn genug davon vorhanden sei. „Ich sehe nicht das Problem, dass wir AstraZeneca nicht verimpft kriegen“, so der Minister.

Seinem Bericht zufolge hat die gemeinsame Impfkampagne von Bund und Ländern seit Beginn des zweiten Quartals „deutlich an Fahrt aufgenommen“: Konnten innerhalb der ersten drei Monate des Jahres gut zehn Prozent der Menschen in Deutschland ihre Erstimpfung erhalten, seien es in  den ersten drei Aprilwochen bereits weitere zehn Prozent gewesen.

Stand 24. April waren damit knapp 19 Millionen Deutsche mindestens einmal geimpft. Das sind 22,8 Prozent. Nach dieser Woche soll bereits jeder vierte mindestens einmal geimpft sein, im Laufe des Monats Mai jeder dritte. Und 5,85 Millionen Bürger haben auch bereits eine Zweitimpfung, was sieben Prozent entspricht. 

Dissonanzen um Sputnik-Impfstoff

Unklar ist bei alledem nach wie vor, ob auch der russische Impfstoff Sputnik V in Deutschland eingesetzt wird. Voraussetzung dafür sei eine Zulassung in der EU, sagte Spahn. Dafür sei man auf die Lieferung zuverlässiger Informationen des Herstellers angewiesen, die bisher nicht erfolgt sei.

Dies müsse zeitlich so rechtzeitig geschehen, dass die Sputnik-Lieferungen für die Impfkampagne „noch einen Unterschied“ machten. Lieferungen im September oder gar erst im November, wenn längst auch genügend anderer Impfstoff verfügbar sei, ergäben keinen Sinn.

Zuvor hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bei einem Moskau-Besuch gesagt, dass Deutschland 30 Millionen Dosen von Sputnik V erwerben wolle. Sollte die Lieferung klappen, könnten im Juni, Juli und August jeweils zehn Millionen Dosen dieses Impfstoffes gekauft werden. Er gehe davon aus, dass der russische Impfstoff in Sachsen „große Zustimmung genießen“ werde.

Tatsächlich gibt es in den ostdeutschen Ländern eine deutlich höhere Bereitschaft, sich mit dem russischen Vakzin impfen zu lassen als im Westen, wie bereits eine Umfrage des Tagesspiegel Background ergab. Spahn ließ jedoch durchblicken, dass er Kretschmers Ankündigung für verfrüht hält. Und Außenminister Heiko Maas übte offen Kritik an der losgetretenen Debatte. Bei einem Besuch in Belgrad sagte der SPD-Politiker, im Moment scheine ihm „die mediale Aufmerksamkeit für die 30 Millionen Impfdosen aus Russland – wenn sie denn kommen – ein bisschen hoch“.

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