zum Hauptinhalt
Gut überwacht. Die BND-Zentrale in Berlin-Mitte.

© imago images/Jürgen Ritter

Exklusiv

Geheimdienstinfos zum Ukraine-Krieg: Bundesnachrichtendienst sucht undichte Stellen in den eigenen Reihen

Bei einer „spezifischen Überprüfungsmaßnahme“ stellt der BND 160 Verstöße gegen Geheimschutzvorschriften fest – behauptet aber erst, keine Zahlen zu haben.

Nach der Veröffentlichung geheimer Informationen des Bundesnachrichtendiensts (BND) während der Frühphase des Ukraine-Kriegs hat der BND den Geheimschutz in den eigenen Reihen offenbar umfassend kontrolliert. Die „spezifische Überprüfungsmaßnahme“ sei „zum Zwecke der Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ durchgeführt worden, erklärte die Behörde für Auslandsaufklärung auf eine Anfrage des Tagesspiegels.

Ein Sprecher bestritt allerdings einen Zusammenhang mit dem vermehrten Auftauchen von BND-Informationen in Medienberichten. „Die Überprüfungsmaßnahme hatte mit einem Bekanntwerden von BND-Informationen nichts zu tun.“

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Im Zuge seiner Kontrollen hat der BND im Mai und Juni mehr als 160 Verstöße gegen Geheimschutzvorschriften in seinen Reihen feststellen können. Üblicherweise sind es sonst, wenn überhaupt, nur wenige pro Monat. Für April verzeichnete die Behörde nur einen, für März lediglich zwei Verstöße. Häufungen wie im Frühjahr gab es allerdings auch bei der Aufarbeitung des Spitzelskandals um den US-Geheimdienst NSA vor sechs Jahren. Auch damals waren BND-Dokumente in die Öffentlichkeit gelangt, und die Regierung versprach, den Umgang mit Verschlusssachen im Geheimdienst „optimieren“ zu wollen.

Die Ermittlungsverfahren sind unter dem Aspekt der Pressefreiheit heikel

In diesem April hatten Medien unter anderem über vom BND abgefangene Funksprüche berichtet, die Kriegsverbrechen des russischen Militärs belegen sollen. Weil Kopien der Abhörprotokolle nicht nur an das hoch geheime Parlamentarische Kontrollgremium im Bundestag gegangen sein sollen, sondern auch an den Verteidigungsausschuss sowie den Auswärtigen Ausschuss, wurde das Informationsleck im Bundestag vermutet.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) meldete verschiedene Verdachtsfälle an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die wiederum die Berliner Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung ermächtigte, wie es bei einem mutmaßlichen Geheimnisverrat durch Parlamentarier gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Ermittlungsverfahren sind unter dem Aspekt der Pressefreiheit heikel, da dabei Informanten von Medien ins Visier geraten können – und damit auch Journalisten selbst.

Welchen Anlass es sonst für die Maßnahme gegeben haben soll, verschweigt der BND

Möglicherweise sollten die rund 6000 BND-Mitarbeiter jedoch nicht den Eindruck bekommen, mit den durch sie gewonnenen Informationen würde allzu freihändig umgegangen – daher die konzertierte Aktion. Welchen anderen Anlass es für die „spezifische Überprüfungsmaßnahme“ sonst gegeben haben soll, wollte der BND nicht mitteilen: Der Geheimdienst nehme zu Angelegenheiten, die seine Eigensicherung betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung, hieß es. Allgemein gelte, dass jede Dienststelle, die mit Verschlusssachen umgehe, verpflichtet sei, zu deren Schutz Kontrollen durchzuführen.

Der BND betonte, die im Mai und Juni registrierten Geheimschutzverstöße seien von „durchweg geringer Intensität“. Strafanzeigen seien keine erstattet worden. Man habe im Zuge der Maßnahme auch keine Medienberichte ausgewertet.

FDP-Politikerin Strack-Zimmermann zeigt weitere Verdachtsfälle an

Zweifel daran, ob der BND derartige Presseanfragen stets umfassend beantwortet, sind allerdings gegeben: So hatte der BND Auskünfte auf eine erste Anfrage des Tagesspiegels nach Geheimschutzverstößen vom Mai dieses Jahres noch ausdrücklich verweigert: „Da der BND diesbezüglich keine Listen bzw. Übersichten führt, liegen diese angefragten Zahlen bei uns leider nicht vor“, hieß es zunächst. Auf eine weitere Anfrage zum Thema Ende Juni wiederholte der BND diese Aussage.

Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Richtig daran ist, dass im BND keine gesonderten Listen über Geheimschutzverstöße geführt werden. Falsch ist jedoch, dass in der Behörde dazu keine Zahlen vorliegen. Doch erst nach weiteren Fragen im Juli und August hat die Behörde dann die erbetenen Informationen übermittelt, obwohl der BND nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Az.: 6 VR 2.15) dazu verpflichtet ist. Aus welchen Gründen der Geheimdienst die Recherche bis in den Sommer verzögerte, dazu wollte der BND keine Stellung nehmen.  

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum möglichen Geheimnisverrat im Parlament dauern derweil noch an. Strack-Zimmermann hat nach zwei Anzeigen von Verdachtsfällen im April noch zwei weitere Fälle gemeldet, teilte die Bundestagsverwaltung mit. In einem weiteren Fall stamme die Anzeige direkt vom Geheimschutzreferat des Bundestags, bei dem Parlamentarier besonders sensible Regierungsdokumente einsehen dürfen. Wie die Parlamentsverwaltung weiter mitteilte, seien die Anlässe wiederum Medienberichte zum Krieg in der Ukraine gewesen, zum einen im „Spiegel“, zum anderen in der ZDF-Nachrichtensendung „heute journal“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false