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Michael Müller (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin, hat knapp 14.000 Follower bei Twitter.

© Fabian Sommer/dpa

Bürgermeister und Behörden bei Twitter: Abschalten, bis keiner sich mehr schämen muss

Trotz massiver Datenschutzverstöße hängt der Staat in den sozialen Netzwerken fest. Es gibt eine Lösung, aber niemand traut sich. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

"Danke für die gelungene Fortsetzung des Runden Tisches“, so entließ der Regierende Bürgermeister am Freitag seine knapp 14.000 Twitter-Follower ins Wochenende. Es ging um Gründer und Startups, doch die Worte könnten auch auf das Netzwerk selbst bezogen sein. Twitter ist ein großer Runder Tisch, an dem vorwiegend Leute Platz nehmen, die ihrerseits Netzwerke besitzen: Politikerinnen, Journalisten, Aktivisten, Lobbyistinnen. Multiplikatorinnen und Kommunikatoren. Ideal für alle, die etwas zu verbreiten haben. Ideal etwa für die Senatskanzlei.

Da wirkt es wie Spielverderberei, wenn Berlins Datenschutzbeauftragte den Regierenden und mit ihm alle Berliner Behörden auffordert, vom Tisch aufzustehen. Dabei ist der Abschied alternativlos. Eigentlich. Twitter, Facebook und Co verstoßen vielfach gegen Datenschutzvorschriften. Abstellen kann man das nicht, einem hoheitlichen Zugriff sind die ausländischen Konzerne entzogen.

Wer sich beteiligt, ist mitschuldig

Anders ist es mit den deutschen Nutzerinnen und Nutzern. Sie haften mit, wie das Bundesverwaltungsgericht erst im November im langjährigen Rechtsstreit um Facebook-Fanpages bestätigt hat (BVerwG 6 C 15.18). Man kann ihnen die Nutzung untersagen, wenn eine datenschutzkonforme Situation anders nicht hergestellt werden kann. Behörden sind an Gesetz und Recht gebunden, heißt es im Grundgesetzartikel 20. Ihr Verbleib in den Netzwerken ist damit unvereinbar. Mehr noch: Jeder amtliche Tweet, jeder Facebook-Post ist ein neuer Verstoß. Im Prinzip gilt dasselbe auch für Private. Wer sich beteiligt, ist mitschuldig.

Dass trotzdem keine Konsequenzen gezogen werden, liegt an der Dialektik zwischen Staat und Bürgerinnen. Wenn der Staat sich nicht an Regeln hält, entsteht der Eindruck, die Bürger müssten es ebenfalls nicht. Und wenn die Bürger in den Netzwerken bleiben, muss der Staat sie dort auch erreichen können, sonst verfehlt er seine Informationsfunktion. Der Datenschutz fällt damit unter den großen Runden Tisch, wo ihn alle gemeinsam mit den Füßen treten.

Politik ist selten einfach, hier ist sie es

Diese Haltung ist es, die die Konzerne so stark gemacht hat und Monopole entstehen ließ: Viele Konsumenten und niemand, der Regeln wichtig findet. Die digitale Dynamik war schneller als das Recht. Für einen gewissen Zeitraum ist das mit Überforderung entschuldbar. Nun muss jemand handeln. Entweder die Konzerne, indem sie nachbessern. Oder der Staat, indem er seine Accounts löscht.

Verluste wären im letzten Fall kaum zu beklagen. Nur ein möglicher Nutzerschwund. Der wiederum würde Unternehmen unter Druck setzen, ihren Service einwandfrei zu gestalten. Politik ist selten einfach, hier ist sie es: Abschalten. Sich eine Pause gönnen. Und nur wieder auf Sendung gehen, wenn man sich dafür nicht mehr schämen muss.

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