zum Hauptinhalt
Ist die EU ein Projekt zur Überwindung der Nationalstaaten? Dieser These widerspricht Michael Bröning in seinem neuen Buch.

© Kay Nietfeld/dpa

Buchveröffentlichung zum Nationalstaat: Ein Appell an die Verächter der Nation

Viele deutsche Linke wollen den Nationalstaat auf den Müllhaufen der Geschichte werfen. Michael Bröning hält das für gefährlich. Eine Buchrezension.

Von Hans Monath

Robert Menasse ist ein vielfach gefeierter Schriftsteller. Die Europäische Union sei "im Kern ein Projekt zu Überwindung der Nationalstaaten", heißt eine seiner zentralen Glaubenssätze, die der Österreicher in Büchern und Reden unter die Leute bringt und für die er mit literarischen Preisen und politischen Auszeichnungen belohnt wurde. Denn der deutsche Kulturbetrieb und auch viele deutsche politische Institutionen links der Mitte sind geradezu vernarrt in die Idee, dass der Nationalstaat schnellstmöglich auf den Müllhaufen der Geschichte gehört.

Seltsamerweise fällt gerade jenen Teilnehmern der Debatte in Deutschland, die sich für aufgeklärt und weltzugewandt halten, nicht auf, dass diese ihre Sichtweise besonders national, nämlich besonders deutsch ist. In den meisten anderen EU-Staaten jedenfalls träumen weder Linke noch Liberale davon, die eigene Nation und ihre Institutionen in einem europäischen Superstaat aufzulösen.

Auf diesen seltsamen Widerspruch weist der Politikwissenschaftler Michael Bröning in seinem gerade erschienenen Buch mit dem programmatischen Titel "Lob der Nation", hin, das den Untertitel trägt: "Warum wir den Nationalstaat nicht den Rechtspopulisten überlassen dürfen". Die klar argumentierende, politisch hochbrisante Streitschrift lässt am Ende nicht viel übrig von den Einwänden gegen die Organisation politischer Macht auf nationaler Ebene.

Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Denn Bröning verfolgt weder einen ethnischen noch kulturellen Begriff der Nation. Vielmehr leiten ihn die zentralen Grundwerte der politischen Linken: Demokratie, Partizipation, lokale und globale Gerechtigkeit, Solidarität, Integration. Keines dieser Ziele, so legt er überzeugend dar, lässt sich ohne Nationalstaat erreichen.

Auf nationaler, europäischer und globaler Ebene diskutiert der Autor die Notwendigkeit des Nationalstaats. Für ihn ist er die "zentrale Plattform sozial gerechter Umverteilung", wer nationale Identitäten überwinden will, fördert in seinen Augen die Entsolidarisierung. Entschieden wendet sich Bröning in diesem Zusammenhang gegen die Forderung nach offenen Grenzen in der Migrationsdebatte. Ungebremste Migration stelle "wichtige Grundvoraussetzung nationaler Solidarität infrage", warnt er. Überhaupt kann der Autor der Sehnsucht der Menschen nach einem "Wir" viel abgewinnen. Den Begriff "Leitkultur" verdammt er nicht, sofern darunter eine "Anpassung an zentrale Werte und Gepflogenheiten", verstanden wird, "die für einen gesellschaftlichen Umgang auf Augenhöhe erforderlich sind".

Ist der Ruf nach mehr Europa im Kern neoliberal?

Auch das politische Mantra der Forderung nach "mehr Europa" unterzieht Bröning einer strengen Untersuchung. Ergebnis: Die linke Mitte verfolgt in der Europafrage gar nicht ihre eigenen Grundwerte, sondern hat die "konservativ-liberale DNA der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stillschweigend als Hypothek für das aus übergeordneten friedenspolitischen Gründen alternativlos erscheinende gemeinsame Haus Europa". Auch in globaler Hinsicht können die Probleme von Nationalstaaten gelöst werden, argumentiert der Autor. Wahrscheinlich ist das die schwächste Stelle des Buches. Für die Notwendigkeit, die EU als globalen Akteur zu ermächtigen, zeigt es wenig Verständnis.

Brönings Leitlinie heißt: "Der starke Staat als progressive Erzählung". Spätestens im letzten Kapitel weitet sich die Rede über den Nationalstaat zu einer Handlungsempfehlung an die SPD. Ihre Schwäche, so glaubt er, hat viel damit zu tun, dass sie Fürsprecher einer ökonomischen und soziokulturellen Globalisierung auf Kosten des Nationalstaats geworden ist. Nicht nur in Deutschland hätten Parteien der linken Mitte statt Stärkung des Nationalstaats Deregulierung, Liberalisierung der Märkte und Freihandel vertreten. Auch die programmatischen Verschiebungen in soziokultureller Hinsicht "zugunsten progressiver und in ihrer Wirkung antinationalstaatlicher Positionen etwa in Fragen der Migrationspolitik" hätten sich als "toxisch" erwiesen.

Das hatte Folgen über die SPD hinaus: "Der doppelte Richtungsschwenk der Linken, ökonomisch und kulturell, und ihre Absage an Staat und Nation haben ein politisches Vakuum hinterlassen, das von der populistischen rechten Revolte mit völkischer Rhetorik und Sozialstaatschauvinismus begierig aufgefüllt wird." Bröning fordert nicht weniger als eine "politische Kurskorrektur" – in ökonomischen Fragen nach links, hin zu einem wirtschaftlich intervenierenden und schützenden Staat. Der müsse sich stets vorbehalten, zu einer tieferen Integration Europas und auch in Bezug auf den Freihandel notfalls Nein zu sagen. Das allerdings scheint ein heikler Ratschlag an den Exportweltmeister Deutschland.

Dennoch: Bröning hat eine kluge Streitschrift vorgelegt, die auf dem Stand der Forschung ist und als Wegweiser im Irrgarten linker Mythen taugt. "In der Konsequenz nährt eine Linke, die aus vermeintlich guten Gründen vor aufgeklärtem Patriotismus zurückschreckt, den antiaufklärerischen Nationalismus der Rechten", warnt er. Der Verlag sollte jeweils einen Karton mit seinem Buch an die Vorstände von SPD, Grünen und Linken schicken – als einen Beitrag zur Stärkung der politischen Urteilskraft in Deutschland.

Michael Bröning: Lob der Nation. Weshalb wir den Nationalstaat nicht den Rechtspopulisten überlassen dürfen. Verlag J. H. W. Dietz Nachf., Bonn 2018. 112 S., 12,90 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false