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Die neue Präsidentin des Europäischen Parlaments (EP), Roberta Metsola - in der Mitte mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem tschechischen Regierungschef Petr Fiala als neuem Ratspräsidenten der EU - stößt auf Widerstand bei ihrem Plan, ihren Mitarbeiter Alessandro Ciochetti zum neuen Generalsekretär des EP zu befördern.

© PATRICK HERTZOG/AFP

Mehr Lohn für EU-Bedienstete: Brüssel riskiert den Rückhalt bei den Bürgern

Trotz Krise gönnt sich die EU mehr Spitzenposten und höhere Gehälter. Das passt nicht mit der Finanznot vieler Bürger zusammen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Man muss die EU-Oberen nicht gleich mit Stasi-Chef Erich Mielke vergleichen, nur weil das Europäische Parlament (EP) jetzt eine wundersame Vermehrung hochdotierter Posten plant und die EU eine Gehaltserhöhung für ihre Bediensteten um 8,5 Prozent Inflationsausgleich als Selbstverständlichkeit ausgibt. Auf eine vergleichbare finanzielle Hilfe dürfen Millionen EU-Bürger in der Krise wohl kaum hoffen.

Da darf man schon fragen: Wäre da nicht mehr Bescheidenheit und Augenmaß angebracht? Denn wie passt das in eine Zeit, in der sehr viele Menschen empfindliche Einbußen an ihrem Lebensstandard hinnehmen müssen? Beim Unmut über die finanziellen Folgen des Klimapakets „Fit for 55“ war das EP zu einer Korrektur fähig.

Deshalb darf man vielleicht doch an Mielkes grotesken Auftritt in der DDR-Volkskammer am 13. November 1989 erinnern. Er verdeutlich die Kluft zwischen dem Selbstbild hoher Entscheidungsträger, ob in Ost-Berlin oder Brüssel, und ihrer Wahrnehmung durch die Bürger, damals in der DDR und heute in Europa.

Mielke stand 42 Jahre an der Spitze des DDR-Geheimdienstes. Er befehligte 91.000 hauptamtliche Spitzel und rund 174.000 IMs (inoffizielle Mitarbeiter), die vielen Bürgern das Leben zur Hölle machten, Familien und Biografien zerstörten.

Was Stasi-Chef Mielke mit der EU verbindet - und was sie trennt

Mielke hingegen sah sich und seine Stasi-Spitzel als „Kundschafter“ im Dienste des Friedens, als Vertreter des Guten. Vier Tage nach dem Mauerfall sprach er zum ersten und einzigen Mal in der Volkskammer, um sein Tun zu rechtfertigen. Er erntete zornige Zwischenrufe und höhnisches Gelächter. Und reagierte konsterniert mit dem gestammelten Satz: „Ich liebe, ich liebe doch alle, alle Menschen.“

Der ehemalige Stasi-Chef Erich Mielkebei seiner berühmten Rede in der DDR-Volkskammer am 13.11.1989: "Ich liebe, ich liebe doch alle Menschen".

© Tsp/Promo

Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass die EU ihren Bürgern das Lebens zur Hölle macht. Aber auch ihr Anspruch, alles Tun diene in erster Linie dem Wohl der 447 Millionen Einwohner und speise sich aus Liebe zu ihnen, beißt sich bisweilen mit der Wirklichkeit. EU-Verantwortliche sind auch nur Menschen, lieben sich selbst und ihre Karrieren und wollen von anderen geliebt werden.

Der Unterschied zur DDR: Die EU ist eine offene Gesellschaft, keine Diktatur. Wenn fragwürdige Dinge hinter verschlossenen Türen entschieden werden, kommt es über kurz oder lang heraus.

Deal hinter verschlossenen Türen

Zwei Affären erregen die Gemüter in Brüssel und lösen beträchtliche politische Opposition aus. Die eine betrifft die Besetzung des einflussreichen und hoch dotierten Postens des Generalsekretärs des Parlaments.

Der Deutsche Klaus Welle (CDU) tritt nach 13 Jahren ab. Er hatte das Verwaltungsamt zu einem Machtzentrum gemacht und bei allen wichtigen Fragen von der Tagesordnung bis zu Beförderungen mitbestimmt.

Die Europäische Volkspartei (EVP), die größte Fraktion, möchte den Posten erneut besetzen, braucht dafür aber die Zustimmung anderer Fraktionen. Der Deal hinter verschlossenen Türen im so genannten „Bureau“ des EP, in dem sich die Parteien absprechen: Alessandro Chiocchetti, ein enger Weggefährte der neuen Parlamentspräsidentin Roberta Metsola aus Malta, bekommt ihn.

Andere Fraktionen erhalten andere Posten. Für die Linke wird eine neue Generaldirektion - im EU-Sprech: „DG“ - im Parlament geschaffen.

Den Kuchen vergrößern, um mehr verteilen zu können

„Den Kuchen vergrößern, damit man mehr verteilen kann“, sei seit Jahren die Devise in Brüssel und Straßburg, um Konflikte zu befrieden, sagt ein Insider. Das EP kostet jährlich zwei Milliarden Euro, doppelt so viel wie der Bundestag, der als das teuerste nationale Parlament der Erde gilt. Das EP hat 14 Vizepräsidenten. Der Bundestag fünf.

In der Bundestagsverwaltung gibt es sechs Abteilungen. Die Zahl der „DGs“ im EP soll auf 13 wachsen, die sich in der Zuständigkeit zum Teil überschneiden.

Zu den zwölf vorhandenen zählen neben der DG für Logistik und Konferenzdolmetschen eine DG für Übersetzung und eine DG für Infrastruktur und Logistik. Die neue DG soll für Partnerschaften mit Demokratischen Parlamenten zuständig sein, obwohl bereits eine DG für externe Politikbereiche existiert.

Doch manchen Abgeordneten dämmert nun, welche Aufschrei es auslösen kann, wenn Bürger und Medien sich wegen des aktuellen Falls die Aufblähung hoch bezahlter Posten im EP ansehen. Sie kritisieren die Absprache und äußern Zweifel, dass Ciochetti über die nötigen Qualifikationen verfüge, um Welle als Generalsekretär zu ersetzen.

Süffisanter Austausch über offene Briefe

Darunter sind auch Abgeordnete, die an der internen Sitzung des „Bureau“ teilgenommen hatten, wie die grüne Vizepräsidentin Heidi Hautala.

EP-Präsidentin Metsola entgegnet Hautala süffisant: „Ich bin erstaunt, dass Sie keine dieser Einwände in unseren Sitzungen erhoben haben und es nun vorziehen, dies in einem Offenen Brief zu tun.“

Die linke Fraktion, die als Nutznießerin des Deals in der Kritik steht, geht einen Mittelweg. Sie nennt die Medienberichte „irreführend“. Und fordert nun, mehr Kandidaten neben Ciochetti für das Amt des Generalsekretärs zu benennen.

In der Gehaltsaffäre liegen die Probleme etwas anders

Die andere Affäre um die üppige Gehaltserhöhung der EU-Bediensteten durch einen Inflationsausgleich von 8,5 Prozent hat zwar ein ähnlich hohes Potenzial für Neid und Empörung über eine Selbstbedienungsmentalität. Politisch ist sie aber weniger heikel.

Denn hier wird nichts Neues beschlossen, sondern eine Vertragsklausel, die schon lange besteht, ausgeführt. Demnach passen sich die EU-Gehälter um die für Belgien und Luxemburg errechneten Inflationsraten an.

Dennoch sind beide Entwicklungen hoch gefährlich für den Ruf und die Akzeptanz der EU bei ihren Bürgern. Sie vergrößern die Kluft. Wenn die Krise die EU-Bürger zwingt, den Gürtel enger zu schnallen, sollten ihre Repräsentanten in Brüssel das auch tun.

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