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Energisch: Nicola Sturgeon, Ministerpräsidentin von Schottland.

© dpa

Bricht das Vereinigte Königreich auseinander?: Schottland macht Ernst mit der Unabhängigkeit

Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigt neun Monate vor der Regionalwahl einen Entwurf für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum an.

Neun Monate vor der Regionalwahl geht die schottische Nationalistenregierung offen auf Konfrontationskurs mit London: Als Teil ihres mehr als 100-seitigen Programms für den Rest der Legislaturperiode kündigte die Edinburgher Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon einen detaillierten Entwurf für ein neuerliches Unabhängigkeitsreferendum an.

Sie wolle werben „um Unterstützung für Schottlands Recht, über unsere Zukunft selbst zu entscheiden“, sagte die Vorsitzende der alleinregierenden Nationalpartei SNP. Die Maßnahme hat rein demonstrativen Charakter, weil die britische Zentralregierung unter dem Konservativen Boris Johnson einer zweiten Volksabstimmung strikt die rechtlich nötige Zustimmung verweigert.

Schließlich hätten sich die Schotten erst 2014 mit 55:45 Prozent für die seit 1707 bestehende Union entschieden, heißt es zur Begründung offiziell. Eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen die Umfragen: Sie sehen seit Monaten kontinuierlich eine Mehrheit von bis zu 55 Prozent für die Aufkündigung des Vereinigten Königreiches.

Sturgeons Vorstoß lasse sich mit Wahlkampfgetöse nur teilweise erklären, analysiert der Sozialwissenschaftler Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh. „Sie steht viel stärker als früher unter Druck aus der eigenen Partei.“

Den Ungeduldigen unter rund 125000 SNP-Mitgliedern, denen die Unabhängigkeit nicht früh genug kommen kann, geht die Vorsicht der strategisch denkenden Anwältin auf die Nerven. Mit der SNP-Geschlossenheit sei es vorbei, so Eichhorns Beobachtung: „Die Leute lassen nicht mehr nach.“

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Opfer des eigenen Erfolgs

In gewisser Hinsicht ist die Regierungschefin auch Opfer ihres eigenen Erfolgs. Mit ihrem stets vorsichtigen und klar kommunizierten Kurs in der Corona-Pandemie hat Sturgeon ein Kontrastprogramm zu Johnsons unsicherer Schlingerpolitik geboten.

Das nützt nicht nur ihrer eigenen Popularität, sondern fördert auch die Zustimmung zur Unabhängigkeit. Nationalisten können nun den Kompetenz-Trumpf ausspielen, zusätzlich zur schwärenden Wunde des EU-Austritts, den die Schotten 2016 mit 62 Prozent ablehnten. Bis zum vergangenen Jahr hätten sich neue Befürworter des eigenen Weges stets als Pro-Europäer zu erkennen gegeben, weiß Eichhorn: „Jetzt reden erstmals auch Leute aus dem Leave-Lager der Unabhängigkeit das Wort.“

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Die Demoskopen sagen der SNP, allen Streitereien zum Trotz, 55 Prozent voraus. Das dürfte den politischen Druck auf London, ein Referendum zuzulassen, immens erhöhen. Fieberhaft basteln deshalb die Zentralregierung und die schottischen Unionisten an einem Gegen-Konzept.

Eigens machte der Engländer Johnson – bei den Schotten wegen seiner Brexit-Politik zutiefst unbeliebt – im August Urlaub in den Highlands, zudem hat er eine Stabsstelle zur Rettung des Vereinigten Königreiches eingerichtet.

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Das wirkt wie Pfeifen im Walde. Die schottischen Torys liegen in Umfragen bei nur 20 Prozent. Dort hat der ausgewiesene Johnson-Skeptiker Douglas Ross, 37, die Führung übernommen, im Hintergrund lenkt die populäre Ex-Chefin Ruth Davidson.

Beide sind wenigstens in den Medien präsent, anders als der schottische Labour-Chef Richard Leonard, den nach drei Amtsjahren weniger als die Hälfte der Schotten kennt. Schon fordern Parteifeinde Leonards Rücktritt; andernfalls drohe der alten Arbeiterpartei im Mai „eine Katastrophe“, glaubt die Abgeordnete Jenny Marra. Tatsächlich wollten zuletzt gerade noch 14 Prozent bei Labour ihr Kreuz machen.

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