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Anti-Brexit-Demonstranten protestieren vor dem Cabinet Office in Westminster gegen die Parlamentsschließung.

© Alastair Grant/AP/dpa

Update

Brexit-Chaos in London: Konservative Abgeordnete planen „Wochenend-Putsch“ gegen Johnson

Oppositionspolitiker erwägen, Johnson über ein Misstrauensvotum zu stürzen. Der Premier drückt derweil beim Brexit aufs Tempo.

Die Brexit-Gegner formieren Wiederstand gegen die Parlaments-Zwangspause von Premierminister Boris Johnson. Oppositionspolitiker erwägen, Johnson über ein Misstrauensvotum zu stürzen oder einen Brexit ohne Vertrag per Gesetz zu stoppen. Ab Dienstag wollen sie im Londoner Parlament das weitere Vorgehen beraten. Die „Times“ berichtet, die Tory-Rebellen und Labour-Abgeordneten wollen notfalls am Wochenende durcharbeiten.

Johnson hatte dem britischen Parlament zwei Monate vor dem geplanten Brexit eine fast fünfwöchige Zwangspause verordnet. Die Sonderschichten am Wochenende gelten dem Bericht zufolge nicht nur für das Unterhaus, sondern ebenso für das House Of Lords, das Gesetzgebungsverfahren prüfen muss und bei Bedenken verzögern kann. Das Parlament tritt nur in Notfällen an Wochenenden zusammen. Seit dem Zweiten Weltkrieg tagten die Abgeordneten erst vier Mal an einem Samstag.

Johnson warnt Abgeordnete vor Blockade

Johnson warnte die Abgeordneten eindringlich vor einer Brexit-Blockade. Wenn Großbritannien auf Betreiben des Parlaments nicht wie vorgesehen am 31. Oktober aus der EU austrete, „wird das dem Vertrauen des Volkes in die Politik dauerhaft Schaden zufügen“, sagte Johnson am Freitag im Fernsehsender Sky News. Die Abgeordneten hätten nach dem Brexit-Referendum 2016 „versprochen“, das Ergebnis umzusetzen. „Und ich hoffe, dass sie das machen werden“, fügte Johnson hinzu.

„Ich fürchte, je mehr unsere Freunde und Partner glauben, (...) dass der Brexit gestoppt werden kann, dass das Vereinigte Königreich durch das Parlament in der Gemeinschaft gehalten werden kann, umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie uns den Vertrag geben, den wir brauchen“, sagte er.

Günther Oettinger kritisiert Johnson

EU-Kommissar Günther Oettinger hat die Entscheidung von Premierminister Boris Johnson, das Parlament stillzulegen, kritisiert. Die Wahrscheinlichkeit für einen No-Deal-Brexit sei dadurch noch einmal deutlich gewachsen, sagte er in einem Interview mit Spiegel Online.

Oettinger sagte weiter: „Es kann gut sein, dass es zu einem demokratischen Aufstand gegen Johnsons Vorgehen kommt. Die Zeit ist allerdings knapp, um im Unterhaus eine Mehrheit auf die Beine zu stellen, die sich die parlamentarischen Rechte zurückholt.“

Das von Michel Barnier mit den Briten verhandelte Austrittsabkommen sei klug, weil es eine Reihe von Fragen löse, sagte Oettinger weiter, darunter der Irland-Backstop. „Boris Johnson hat für diese Fragen bisher überhaupt keine eigenen Ideen“, kritisierte der EU-Haushaltskommissar.

EU-Kommissar Günther Oettinger.
EU-Kommissar Günther Oettinger.

© Wiktor Dabkowski/ZUMA Wire/dpa

Gericht lehnt Eilantrag gegen Zwangspause ab

Ein schottisches Gericht hat indes am Freitag den Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen die vorübergehende Schließung des britischen Parlaments abgelehnt. Das berichtete die britische Nachrichtenagentur PA aus dem Gerichtssaal in Edinburgh.

Eingereicht hatte den Antrag eine Gruppe von Oppositionsabgeordneten. Sie sehen in der von Premierminister Johnson erwirkten Zwangspause des Unterhauses eine unzulässige Einschränkung des Parlaments und wollen die Maßnahme gerichtlich unterbinden. Für den 6. September ist dazu eine Anhörung vorgesehen.

Ähnliche Klagen wurden auch vor den High Courts in Belfast und London eingereicht. Der ehemalige konservative Premierminister John Major teilte am Freitag mit, er wolle sich einer der Klagen anschließen.

Johnson hatte am Mittwoch bei Queen Elizabeth II. erfolgreich beantragt, das Parlament in London von Mitte September bis Mitte Oktober zu suspendieren, um in einer neuen Sitzungsphase sein Regierungsprogramm vorzulegen. Der Schritt ist so kurz vor dem EU-Austrittsdatum am 31. Oktober höchst umstritten. Die Zeit, in der die Abgeordneten einen ungeregelten Brexit per Gesetzgebungsverfahren noch verhindern könnten, ist dadurch stark verkürzt.

Ein Demonstrant mit einer Maske des britischen Premierminister Johnson protestiert im Clownskostüm vor dem Haus 10 Downing Street in London.
Ein Demonstrant mit einer Maske des britischen Premierminister Johnson protestiert im Clownskostüm vor dem Haus 10 Downing Street in London.

© Frank Augstein/AP/dpa

Johnson kündigt Ausweitung der Brexit-Gespräche an

Derweil dringt Premier Johnson auf eine Intensivierung der Gespräche. „Es ist jetzt für beide Seiten Zeit, das Tempo zu erhöhen“, sagte Johnson am Donnerstag.

Seinen Worten zufolge wird sich das britische Team unter Leitung von Verhandlungsführer David Frost während des ganzen Septembers zweimal pro Woche mit den Vertretern der Europäischen Union (EU) treffen. „Die Ausweitung der Treffen und Beratungen ist notwendig, wenn wir eine Chance haben wollen, eine Vereinbarung zu schließen für die Zeit, wenn wir am 31. Oktober austreten", unterstrich Johnson.

Von diesem Austrittsdatum will der Premierminister in keinem Fall abrücken – selbst wenn es keine Einigung mit der EU geben sollte.

Das von seiner Amtsvorgängerin Theresa May ausgehandelte Abkommen mit der Union lehnt Johnson ab. Hauptstreitpunkt ist die dort getroffene Notfallregelung zur Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland.

Dieser sogenannte Backstop soll verhindern, dass es zu einer harten Grenze mit Kontrollen kommt. Johnson ist gegen diese Regelung und fordert Gespräche über mögliche Alternativen, etwa technische Lösungen. Seinen Worten zufolge besteht hier durchaus noch Spielraum. Seine jüngsten Treffen mit Staats- und Regierungschefs der EU hätten ihm Mut gemacht.

Irland fordert von Johnson "glaubwürdige" Vorschläge

Die irische Regierung forderte Johnson auf, belastbare Vorschläge für Verhandlungen über den Brexit vorzulegen. „Wir wollen alle eine Vereinbarung, aber bisher ist nichts Glaubwürdiges von der britischen Regierung gekommen“, sagte Irlands Außenminister Simon Coveney am Freitag in Helsinki.

Er bezog sich dabei auf mögliche Alternativen zur umstrittenen Auffanglösung, um Grenzkontrollen zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland zu verhindern.

Er hoffe, dass aus London vor dem geplanten Austritt aus der EU Ende Oktober noch etwas kommen werde, sagte Coveney beim Treffen der EU-Außenminister. „Aber es muss glaubwürdig sein.“ Großbritannien könne nicht einfach an der Position festhalten, die Auffanglösung aus dem Austrittsabkommen mit der EU zu streichen. „Das wird nicht durchgehen.“

Maas fordert „so schnell wie möglich“ Vorschläge

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat die britische Regierung aufgefordert, „so schnell wie möglich“ Vorschläge vorzulegen, um einen chaotischen Brexit zu verhindern. Ein EU-Austritt ohne Abkommen am 31. Oktober sei „für alle Beteiligten negativ“, sagte Maas beim Treffen der EU-Außenminister am Freitag in Helsinki.

Bisher habe Großbritannien aber noch keine Vorschläge insbesondere zur Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland auf den Tisch gelegt. „Wir warten auf die Vorschläge.“

Frankreich probt den Brexit-Ernstfall in Calais

Frankreich probt derweil den Brexit-Ernstfall: Im nordfranzösischen Calais beginnt am Freitagnachmittag eine einmonatige Übung für den Transit von Gütern ins Vereinigte Königreich nach dessen Austritt aus der EU. „Während eines Monats werden wir so tun, als habe der Brexit stattgefunden. Für einen Großteil der Unternehmen werden wir eine Art Generalprobe ansetzen, um Ende Oktober rundum vorbereitet zu sein“, sagte der französische Haushaltsminister Gérald Darmanin am Freitag dem Radiosender RTL. (Tsp,AFP, dpa, rtr)

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