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Das Khayelitsha Township liegt in Kapstadt und bedeutet übersetzt „Neue Heimat“.

© REUTERS

Brennpunkt Kapstadt: Südafrika will Bandengewalt mit dem Militär bekämpfen

Seit fast zwei Jahrhunderten terrorisieren Banden die Bewohner der Townships von Kapstadt. Jetzt sollen Soldaten das Problem lösen.

Kapstadt - Als wieder einmal die Pistolen knallten, saß die Mutter in der Kirche und betete. Sie reagierte nicht. Schließlich gehören Schüsse in den „Cape Flats“, Kapstadts berüchtigten Township-Bezirken, längst zu den Alltagsgeräuschen. Erst zu Hause stellte die Mutter fest, wem die Kugeln diesmal galten. Ihre Tochter lag in einer Lache aus Blut vor ihr am Boden. Kann die Armee das Töten in den Armenvierteln beenden?

Palmen, Sonne, weißer Sandstrand – längst ist Kapstadt kein Geheimtipp mehr unter Touristen. Die Metropole, womöglich die modernste Afrikas, begrüßt jährlich etwa drei Million internationale Besucher. Doch abseits der pulsierenden Clubs, Restaurants und Shopping Malls herrscht eine andere Realität: Seit fast zwei Jahrhunderten terrorisieren bewaffnete Banden die Einwohner der umliegenden Townships. Sie nennen sich „Hard Livings“, „Clever Kids“ oder „Americans“ und rekrutieren Jugendliche im Alter von zehn Jahren. Ihre Opfer sind meist unschuldige Passanten. Die werden am Weg zur Arbeit oder zum Lebensmittelhändler häufig von den verirrten Kugeln der Gangster getroffen.

Jetzt will Südafrika die Armee in die Bandenviertel senden, um die Mordwelle zu beenden. Im Parlament bestätigte der Polizeiminister des Landes, Bheki Cele, am Donnerstagabend die Entsendung der Soldaten. „Wir sehen uns mit der traurigen Realität konfrontiert, in der es mehr Beerdigungsvorbereitungen auf Friedhöfen als Neugeborene auf der Geburtenstation gibt“, so der Minister vor den Abgeordneten.

Der Anblick Erschossener in den Straßen sei für die Township-Bewohner „unerträglich“ geworden. Cele zufolge habe Präsident Cyril Ramaphosa bereits grünes Licht für die Militäraktion gegeben.

Die Entscheidung folge Cele zufolge einer Welle von brutalen Morden in Kapstadts Armutsbezirken am vergangenen Wochenende. Township Philippi: Bevor das Apartheid-Regime die Region im Süden Kapstadts zur „schwarzen Zone“ erklärt hatte, war hier produktives Farmland.

Die Bauern – Nachfahren deutscher Immigranten. „Wir wuchsen in einer Art Kolonie auf. Obwohl ich der fünften Generation angehörte, hatte Philippi immer noch eine ausgeprägte deutsche Identität“, erinnert sich die südafrikanische Journalistikprofessorin Lizette Rabe. Nach Anbruch der Demokratie 1994 blieb Philippi ein Township – mit ausgeprägtem Bandenproblem. Am vergangenen Wochenende wurden dort binnen 24 Stunden mindestens 13 Menschen getötet. „Ich konnte nur noch weinen, als ihr Körper unter einer Decke verschwand“, sagt Ernes Anderson. Ihre 20-jährige Tochter war eines der Opfer.

Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit, statt Militär

Militäruniform zwischen Wellblechhütten – schon länger wird die Abbestellung von Soldaten in die Townships diskutiert. „Schickt die Armee“, skandierten betroffene Bewohner kürzlich bei Protesten.

Vor der Parlamentswahl im Mai und darüber hinaus wurde das Bandenproblem zum politischen Spielball. Der regierende „Afrikanische Nationalkongress“ (ANC) wirft der stärksten Oppositionspartei vor, Kapstadts Townships zu vernachlässigen und auf diese Weise zum Bandenproblem beizutragen. Die „Demokratische Allianz“ (DA), die Kapstadt mit der umliegenden Provinz Westkap regiert, dementiert. Wenn die Polizei unter ANC-Aufsicht versage, müsse die Armee als „friedenserhaltende Truppe“ nachrücken.

Unter Beobachtern rief die Ankündigung im Parlament gemischte Reaktionen hervor. Skeptisch ist vor allem die lokale Presse. So habe Polizeiminister Cele „keine neuen Ideen oder Lösungen für die andauernde Bandengewalt in den Cape Flats“ präsentiert, schreibt die Tageszeitung „Cape Argus“ am Freitag. Die Politzeitschrift „Daily Maverick“ spricht von einem „verzweifelten Versuch, die Kontrolle zurückzugewinnen“.

Die Bewohner Philippis wachten am Freitagmorgen zu Blaulicht auf – eine Großrazzia der Polizei. Viele äußerten die Hoffnung, dass dies nur ein Vorgeschmack sei auf die Entsendung der Soldaten. Während einige das neue Gefühl von Sicherheit begrüßten, bleiben andere Township-Bewohner skeptisch.

Gareth Newham ist Forscher am Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Pretoria. Ihm zufolge handle es sich um ein Problem von Armut und sozialer Ungerechtigkeit, das vor allem Jugendliche betrifft. Dieses könne nur durch Wandel bekämpft werden. „Der Fokus sollte auf der Unterstützung der Eltern liegen. Um das Problem nachhaltig zu lösen, brauchen die Gangster-Gemeinden endlich eine vollwertige Bildung und sinnvolle Arbeitsplätze.“

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