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Polizeischutz für den Kohlebagger.

© action press/Christoph Hardt

Braunkohledorf Lützerath vor der Räumung: Ein Drahtseilakt für die Grünen

Kohleausstieg 2030 gegen Lützerath – diesen Deal machte Wirtschaftsminister Robert Habeck mit RWE. Doch in seiner eigenen Partei wollen das viele nicht akzeptieren.

Die Aktivisten sind vorbereitet. Vorräte mit haltbaren Lebensmittel haben sie eingelagert, Gräben ausgehoben, Baumhäuser gebaut, Stolperfallen gespannt, selbst von Tunnelanlagen ist die Rede. Der kleine und verlassene Weiler Lützerath an der Abbruchkante zum Tagebau Garzweiler ist zur Festung geworden. Und der Kampf der Klimaaktivisten steht kurz bevor.

Seit Tagen fressen sich die gewaltigen Bagger des Energiekonzerns RWE im Tagebau bereits vorwärts, um auch an die Millionen von Tonnen Braunkohle unter Lützerath heranzukommen. Die Polizei bereitet einen Großeinsatz vor, weil in wenigen Tagen die Genehmigung für das Protestcamp endet. Vieles erinnert an die Proteste um den Hambacher Forst, bei denen es Klimaschutzaktivisten 2018 nach wochenlangem Protest gelang, die Rodung für den Braunkohleabbau doch noch gerichtlich zu stoppen.

Doch gerade für die Grünen ist in Lützerath vieles anders als im Hambacher Forst. Denn dieses Mal müssen sie die Entscheidung als Verantwortliche rechtfertigen. Gemeinsam mit RWE haben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, den Deal vereinbart. Lützerath darf abgebaggert werden, dafür wird der Kohleausstieg im Rheinischen Revier um acht Jahre nach vorne, auf 2030, gelegt. 280 Millionen Tonnen Kohle würden unter der Erde bleiben, argumentiert Habeck.

Ich werde mich im Zweifel auch wegtragen lassen.

Der Sprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus, will an den Protesten in Lützerath teilnehmen.

Doch damit überzeugt er nicht einmal alle in seiner Partei. „Der Deal zwischen RWE, Bundes- und Landesregierung bleibt falsch“, sagt Timon Dzienus. Der Sprecher der Grünen Jugend bezweifelt die Zahlen, mit denen Habeck argumentiert. Die einflussreiche Jugendorganisation hat deshalb zum Protest in Lützerath aufgerufen, auch Bundestagsabgeordnete wie Kathrin Henneberger sind gekommen. Dzienus selbst will vor Ort demonstrieren. „Ich werde mich im Zweifel auch wegtragen lassen“, kündigt er an.

Lützerath spaltet die Partei. Auf dem Parteitag der Grünen in Bonn im Oktober hatte die Grüne Jugend einen Antrag gegen den Deal eingebracht. Stundenlang wurde emotional diskutiert, die Parteispitze schickte ihre besten Redner ans Pult, übte im Hintergrund Druck aus. Am Ende fehlten Dzienus und seinen Mitstreitern nur 19 Stimmen – bei mehr als 600 Delegierten.

Geschlagen gibt sich der 26-Jährige noch nicht. Er hoffe weiterhin, dass es zu einem Moratorium komme, bis unabhängige Zahlen vorliegen. „Es geht um die Glaubwürdigkeit der Grünen, aber auch der Politik insgesamt. Wenn wir ehrlich sind, hat bislang niemand einen konkreten Plan, wie wir auf den 1,5-Grad-Pfad kommen.“

Der Protest gewinnt an Kraft

Für die Klimaschutzbewegung ist Lützerath längst zum Symbol einer verfehlten Politik geworden. Greta Thunberg war an der Abbruchkante, der Satiriker Jan Böhmermann kritisierte die Pläne via Twitter heftig, in Lützerath selbst wollen Popstars Solidaritäts-Konzerte geben. Der Protest zieht sich tief ins Grünenklientel und gewinnt an Kraft. Fridays for Future, die letzte Generation und andere Organisationen mobilisieren bundesweite Proteste.

Die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer und Greta Thunberg im Tagebaudorf Lützerath

© dpa/Henning Kaiser

Für die Parteispitze ist die Räumung deshalb ein heikler Drahtseilakt. Sie werden die Räumung wohl aus der Ferne beobachten, drücken aber ihr Mitgefühl aus.

Das Schicksal von Lützerath schmerze sie persönlich, sagte Grünen-Chefin Ricarda Lang vor einigen Wochen dem Tagesspiegel. Gleichzeitig machte sie klar, dass der Deal richtig sei, um 2030 in ganz Deutschland aus der Kohle auszusteigen. „Wir machen Klimaschutz nicht für Symbole“, sagte Lang.

2030
soll der Braunkohleausstieg in NRW erfolgen.

Der vorzeitige Ausstieg aus der Kohle im Rheinischen Revier soll zur Schablone für die Abbaugebiete in der Lausitz werden, wo die Braunkohleverstromung eigentlich erst 2038 enden soll. Bilder von Schlachten zwischen Aktivisten und Polizei oder gar Todesfälle, wie es im Hambacher Forst geschehen war, soll es deshalb nicht geben, hoffen die Grünen.

Doch an der Rechtmäßigkeit der Räumung lassen die Grünen keinen Zweifel. „RWE hat das ausgeurteilte Recht, die Kohle unter Lützerath zu nutzen, und in einem Rechtsstaat müssen wir das akzeptieren“, sagt der NRW-Landesvorsitzende Tim Achtermeyer. Er betont, dass die RWE-Zahlen vom Wirtschaftsministerium in Düsseldorf und von externen Prüfern kontrolliert wurden. „Es ist eine gute Vereinbarung, weil wir damit das letzte Kapitel der Kohle in NRW schließen“, sagt er.

Doch auch Achtermeyer blickt mit gemischten Gefühlen nach Lützerath. Das kleine Dorf, in dem ein Teil seiner Familie lebte, ist ebenfalls dem Tagebau Garzweiler zum Opfer gefallen. Der Ort, mit dem er Kindheitserinnerungen verbindet, existiert nicht mehr. „Es ist gut, dass wir diesen Wahnsinn beenden“, sagt Achtermeyer.

Im Ziel sind sich Grüne und Klimaschutzbewegung einig, bei der Geschwindigkeit und Radikalität nicht. Der Kampf um Lützerath treibt einen Keil zwischen beide Lager.

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