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Bundesfinanzminister Christian Lindner.

© Imago/photothek

Der Finanzminister und die Langzeitarbeitslosen: Böser Lindner, schlauer Lindner?

Der FDP-Vorsitzende soll drastische Einschnitte bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen planen. Aber ist das wirklich so?

Skandal, Skandälchen - oder nur heiße Luft? Jedenfalls einige Aufregung. Mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Mittelpunkt, ausgerechnet am Tag seiner Hochzeit auf Sylt. Lindner plane drastisch Kürzungen bei Leistungen für Langzeitarbeitslose, berichtete der „Spiegel“ und hatte gleich empörte Stimmen aus der Opposition parat. „Krasse Bankrotterklärung“ sagte die Linke Jessica Tatti, von „Sozialkahlschlag“ sprach der CDU-Mann Kai Whittaker. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel forderte, Lindners „arbeitsmarktpolitische Irrlichterei“ zu stoppen. Als „unanständig“ bezeichnete Maria Loheide vom Sozialverband Diakonie das Vorgehen Lindners.

Dessen Ministerium wies den Bericht zurück und verwies darauf, dass in der Sache Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zuständig sei. Der habe die „Federführung für etwaige Änderungen an Leistungsgesetzen“. Lindner – ein böser Bube, der auch noch die Schuld auf andere schiebt?

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Tatsächlich plant der Finanzminister keine Kürzungen, aber er hat sich mit dem Kabinettskollegen Heil bei den Beratungen für den Etatentwurf für 2023 (vom Kabinett in der vorigen Woche beschlossen) darauf verständigt, einen Titel im Etat des Arbeitsministeriums dem Bedarf anzupassen.

"Eingliederung in Arbeit"

Es geht um die „Leistungen zur Eingliederung in Arbeit“, die im Rahmen der Grundsicherung gewährt werden. Dafür gibt es auch den Begriff „sozialer Arbeitsmarkt“. Darunter fallen mehrere Posten – es geht aber immer darum, Menschen, die schwer vermittelbar sind und schon lange Grundsicherung beziehen, wieder an den normalen Arbeitsmarkt heranzuführen. Gelingen soll das unter anderem über Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber (das können auch Vereine oder öffentliche Einrichtungen sein), die bereit sind, solche Personen zu übernehmen. Manche Jobcenter sind bei der Vermittlung geschickter als andere, aber immerhin 50000 Langzeitarbeitslose sind in diesem Programm, das Teil dieses Haushaltstitels ist, bereits gefördert worden.

Ob die Summe dafür nun verkleinert oder erhöht wurde, ist letztlich Ansichtssache. Im Etat für 2023 sind jetzt 4,2 Milliarden Euro für alle Leistungen zur Eingliederung in Arbeit vorgesehen. Das sind weniger als im laufenden Etat – da hat die Ampel 4,8 Milliarden Euro eingestellt. Offenkundig aber wird das Geld in den Programmen bisher nicht in diesem Umfang abgerufen. 2021 lag das Ist – also der tatsächliche Bedarf – bei etwas mehr als vier Milliarden Euro.

Ein Puffer im Etat

Nach Informationen des Tagesspiegels ist Heil auch nicht ganz so gerupft worden, wie man nun annehmen könnte. Vereinbart ist wohl, dass er sich 600 Millionen Euro aus Ausgaberesten im Gesamtetat holen kann, sollten die 4,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr nicht reichen. Mit diesem Puffer könnte er über 4,8 Milliarden Euro verfügen.

Allerdings steht im Haushaltsentwurf zu diesem sozialen Arbeitsmarkt auch, dass die Mittel für Eingliederung ab 2024 geringer ausfallen könnten. Die Verpflichtungsermächtigungen – das sind sozusagen Merkposten für die Finanzplanung – sinken dann von 2,5 Milliarden Euro auf eine Milliarde im Jahr 2026, weiter plant das Finanzministerium nicht konkret. Solche Verpflichtungen sind allerdings keine bindenden Festlegungen, sie lassen sich mit jedem Haushaltsgesetz ändern. Im Fall des sozialen Arbeitsmarkts kommt hinzu, dass die SPD diese Leistungen in das von ihr geforderte Bürgergeld einbringen wollen. Da das noch nicht Gesetz ist, kann dazu auch nichts im Etat stehen.

Am Ende entscheidet der Bundestag

Heil ließ mitteilen, dass der von ihm 2019 eingeführte soziale Arbeitsmarkt „ein hocherfolgreiches Instrument“ sei. Für einen weiteren Ausbau sei eine angemessene Ausstattung der entsprechenden Eingliederungsmittel für die Jobcenter notwendig. Die für 2023 vorgesehenen Mittel bewegten sich nun auf dem Niveau von 2019. „Über die endgültige Ausstattung des Eingliederungstitels entscheidet der Deutsche Bundestag.“

Dass in den parlamentarischen Verhandlungen wieder etwas mehr herauszuholen ist, hofft auch SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt. „Der soziale Arbeitsmarkt ist ein Weg, vorhandene Potenziale zu heben und neue Chancen und Perspektiven zu ermöglichen.“ Die Frage des tatsächlichen Bedarfs wird jedoch weiter eine Rolle spielen. Intern heißt es aber von allen Seiten der Koalition, Leistungskürzungen für Berechtigte habe es nicht gegeben und werde es nicht geben.

[Lesen Sie dazu bei Tagesspiegel Plus: Ein Problemberg, dessen Dimension noch niemand kennt]

Was Lindner gelungen ist: Er hat Heil offenkundig dazu bewogen, durch das Zurückgehen auf 4,2 Milliarden Euro den Ausgleich des Etats zu erleichtern. Das Plan-Minus in dem Eingliederungs-Titel in Höhe von 600 Millionen Euro gegenüber 2022 hat ihm geholfen, die Ausgabenseite zu drücken. Unter anderem durch solche Operationen hat der Finanzminister es geschafft, zumindest vorerst die im Koalitionsvertrag verankerte FDP-Forderung aufrechtzuerhalten, 2023 die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Aus Sicht von Heil muss der „Verzicht“ gar nicht schlecht sein. Sollte die Koalition im Spätherbst den Etat einer schwächeren Konjunktur anpassen müssen, dann könnte er auf das Entgegenkommen im Sommer verweisen.

Anmerkung: In einer früheren Fassung hieß es irrtümlich, dass ein individueller gesetzlicher Anspruch auf Eingliederungsleistungen bestehe. Das ist nicht richtig.

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