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Zur Fahndung ausgeschrieben: In Bonn wird die Bevölkerung von der Polizei um "sachdienliche Hinweise" zum Bombenfund gebeten.

© dpa

Bonner Bombenalarm: Bonns Militante

Wollten Islamisten auf dem Bahnhof eine Bombe zünden? Ermittler halten das für denkbar und gehen derzeit von zwei Haupttätern aus.

Von Frank Jansen

Der Verdacht wird stärker: Die Bombe, die am Montag auf dem Bonner Hauptbahnhof in einer Reisetasche lag, könnten militante Islamisten gebaut haben. Sicherheitsexperten sprechen von einer „Arbeitsthese“ und betonen, dass weiter in alle Richtungen ermittelt werde. Die Behörden wollen sich angesichts der Versäumnisse im Fall der rechtsextremen Terrorzelle NSU nicht noch einmal vorwerfen lassen, voreilig irgendeinen Verdacht vernachlässigt zu haben. Doch die Ermittlungen richten sich vor allem auf die einschlägig bekannte Salafistenszene in Bonn. Die Sicherheitsbehörden wurden allerdings vom Fund der Tasche überrascht. Hätten sie etwas ahnen oder vielleicht sogar wissen können?

Dass ein islamistischer Hintergrund wahrscheinlich ist, hat indirekt am Donnerstag auch das Bundesinnenministerium geäußert. Mit Bezug auf Bonn teilte das Ministerium mit, „Deutschland steht vor allem im Fadenkreuz des dschihadistischen Terrorismus“. Die Täter zielten darauf ab, „die Gesellschaft empfindlich zu treffen“ – unabhängig davon, ob die Islamisten „Strukturen oder Kleingruppen“ angehörten oder radikalisierte Einzelgänger seien. Die Behörden leisteten eine „exzellente Arbeit“, um die Sicherheit im Lande zu gewährleisten, sagte das Ministerium – deutete aber auch an, dass ein Anschlag in Bonn nicht von Polizei und Nachrichtendiensten verhindert wurde. Am Bonner Hauptbahnhof habe sich gezeigt, wie wichtig die Wachsamkeit „von uns allen“ sei, heißt es in der Mitteilung.

Aber um welche „Strukturen“ könnte es sich in Bonn handeln? Ermittler vermuten, zwei Männer hätten auf dem Bonner Bahnhof mit der Bombe hantiert. Einer ist auf einem Überwachungsvideo zu sehen, ein eher hellhäutiger, kräftiger Mann mit Bart und dunkler Wollmütze, womöglich ein Konvertit, der im Bahnhofsimbiss von McDonald’s mit einer blauen Tasche herumläuft. Sie ist der blauen Nylonsporttasche, in der die Bombe lag, sehr ähnlich. Abgelegt haben soll sie auf Bahnsteig 1, wie ein jugendlicher Zeuge aussagte, ein dunkelhäutiger Mann, 30 bis 35 Jahre alt, schlank, etwa 1,90 Meter groß. Sicherheitsexperten halten es für wahrscheinlich, dass der Hellhäutige die Tasche dem Dunkelhäutigen gab. Warum, bleibt unklar. Sollte der Dunkelhäutige die Tasche am Bahnhof oder in einem Zug gezielt platzieren? Oder sie mitnehmen und den – bislang nicht entdeckten – Zünder einbauen? Oder hat der Dunkelhäutige die Tasche gestohlen und sie, beim Blick auf den Inhalt, in Panik dem Jugendlichen vor die Füße gestellt?

Wie auch immer – die Ermittler gehen dem Verdacht nach, es hätten mindestens zwei Männer gemeinsam agiert. Das könnte auf eine Kleinstgruppe hinweisen, nach dem Muster der beiden libanesischen Kofferbomber, die im Juli 2006 am Hauptbahnhof Köln in zwei Regionalzügen je einen Trolley mit Sprengsatz deponierten. Zwei Männer mit der blauen Tasche am Bonner Bahnhof könnten aber auch, sagt ein Fachmann, bedeuten: „Wir haben es mit einem Netzwerk zu tun.“

Daher blicken die Behörden weiterhin auch auf Omar D., den am Dienstag von der Polizei in Gewahrsam genommenen und abends freigelassenen Deutsch-Somalier. Der jugendliche Zeuge will ihn als den Dunkelhäutigen erkannt haben. Sicherheitsexperten rechnen D. dem Bonner Salafistenmilieu zu. Im September 2008 holte die Polizei ihn und den Somalier Abdirazak B. am Flughafen Köln/Bonn aus einer Maschine, die in Richtung Amsterdam abheben sollte. Die zwei Männer standen im Verdacht, in die pakistanische Terrorhochburg Wasiristan reisen zu wollen, mit Zwischenstopp im ugandischen Entebbe. Angeblich hatten sie Abschiedsbriefe hinterlassen. Doch die Beweise waren zu dünn, Omar D. und Abdirazak B. kamen wieder frei.

Abdirazak B. halte sich jetzt, so heißt es, in Somalia auf. Er werde bei der islamistischen Schabbab-Miliz vermutet. Sie ist mit Al Qaida verbündet und einer der grausamsten Akteure im somalischen Bürgerkrieg. Sicherheitskreise vermuten, Abdirazak B. habe weiter Kontakt zu Omar D. Dieser wird einem Zirkel von etwa zehn Salafisten zugeordnet, die den harten Kern der Bonner Szene bilden.

Ausgerechnet Bonn, die beschauliche Stadt am Rhein, ist eines der Zentren der salafistischen Szene. Im Mai kam es hier zu Krawallen, als die Strenggläubigen gegen einen Aufzug der islamfeindlichen Gruppierung „Pro NRW“ protestierten. Ein junger Fanatiker griff mit einem Messer drei Polizisten an, zwei erlitten schwere Verletzungen. Eine Woche zuvor hatten Salafisten in Solingen bei einer Kundgebung von Pro NRW randaliert. Die Bonner Szene, etwa 25 Leute, gilt als die härteste im Spektrum der bundesweit 4000 Salafisten. Mit Ausstrahlung nach Somalia und Wasiristan.

Von Wasiristan aus agitieren zwei Brüder, die 2007 Bonn verließen und in den „Heiligen Krieg“ zogen. Yassin und Mounir Chouka schlossen sich in Wasiristan der Terrorgruppe „Islamische Bewegung Usbekistans (IBU)“ an. Nach den Ausschreitungen in Solingen und Bonn rief Yassin Chouka in einer Audiobotschaft, verbreitet im Internet, seine Glaubensbrüder auf, Islamfeinde und Journalisten zu ermorden. „Ihr sollt die Mitglieder von Pro NRW alle töten“, deklamierte der Terrorist. Könnte die Hetze Salafisten in Bonn animiert haben, mit einem Sprengsatz am Bahnhof „Ungläubige“ zu töten?

Experten verweisen auch auf eine weitere gefährliche „connection“. Die Bonner Salafistenszene war mit der Gruppierung „Millatu Ibrahim“ verbunden, die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Juni verbot. Ein Ex-Anführer von Millatu Ibrahim, der Berliner Denis Cuspert, früher als Gangsta-Rapper „Deso Dogg“ unterwegs, hat im September, vermutlich von Ägypten aus, in einem Video Deutschland als „Kriegsgebiet“ bezeichnet.

Die Behörden wollen Panik vermeiden. Das Innenministerium hat laut eigenen Angaben keine Hinweise auf eine „Gefährdung konkreter Ziele“. Das gelte auch für Weihnachtsmärkte. „Daher sollten wir, bei aller Wachsamkeit, unser alltägliches Leben nicht beeinträchtigen lassen.“ Auch Berlins Polizei will Weihnachtsmärkte derzeit nicht zusätzlich schützen.

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