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Mutter muss es richten. Homeschooling in Coronazeiten.

© Oliu Scarff / AFP

Bildung in Zeiten des Homeschooling: Schule braucht Herz, Hände und Hardware

Zwischen meiner eigenen Schulzeit und der meiner Teenager-Tochter liegen Welten. Es wäre gut, sie zu versöhnen. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

In diesem Jahr verbringe ich die Sommerferien in meiner Heimatstadt. Nein, nicht in der Türkei, sondern bei meiner Familie in Duisburg. Hier bin ich in den 80er Jahren zur Schule gegangen, habe die Hauptschule mit der Mittleren Reife abgeschlossen.

Noch nicht stigmatisiert als „Resteschule“, machte ich anschließend eine Berufsausbildung und später auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur. Es war in Deutschland die Zeit des Bildungsaufbruchs. Davor war die Hauptschule für die, die körperlich arbeiten werden, Realschule für jene, die im Unterricht aufpassten, und das Gymnasium für die Kinder der Chefs.

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All das empfanden viele nicht mehr als zeitgemäß, und es entsprach nicht der sozialdemokratischen Überzeugung vom Bildungsaufstieg für alle. Überall erweiterten Universitäten ihre Kapazitäten, Fachhochschulen wurden aufgebaut, und der zweite Bildungsweg öffnete für mich, ein Kind aus einfachen Verhältnissen, das Tor in eine bessere Zukunft.

Von A wie Arbeitsblatt zu Z wie Zoom-Konferenz

Ich erzähle das so ausführlich, weil ich die letzten drei Monate im Homeschooling mit meiner Teenager-Tochter alle Formen des Lernens durchlebt habe. Vom analogen Arbeitsblatt bis zur Zoom-Konferenz war alles dabei. Jede Lehrerin, jeder Lehrer entwickelte eine sehr eigene, individuelle Art, Lernstoff zu vermitteln.

In Biologie haben wir ein lebendes Ökosystem im Glas angelegt, Geschichte per Online-Konferenz durchgenommen und in Deutsch elementare Passagen aus „Krabat“ nachgestellt, digital festgehalten und als Interpretations-Foto an die Lehrerin verschickt. Die Coronakrise hat wie unter einem Brennglas gezeigt, dass Deutschland in Sachen Bildung zwar eine Menge nachholen muss, aber auch, dass vieles – wenngleich holprig – funktioniert, wenn Lösungen gefunden werden müssen.

Nun war das für eine Mittelschichtfamilie wie die unsere keine große Herausforderung, die Angebote alle wahrzunehmen. Der Nationale Bildungsbericht, der aktuell Bildung in einer digitalisierten Welt untersucht hat, hat herausgefunden, dass aber weniger das digitale Lernen das Problem ist als vielmehr der Zugang.

Die Mathelösungen schnell mal bei Amazon bestellen?

Dass also Familien sich aufgrund der Einkommensverhältnisse keinen Internetanschluss leisten können. Was also nützt die „Software“, wenn nicht mal die „Hardware“ vorhanden ist, die aber benötigt wird, um überhaupt zum Inhalt zu kommen? Eine Bildungsoffensive ist erst dann erfolgreich, wenn sie jeden erreicht, so wie zu meiner Schulzeit in Duisburg.

Ein wenig Probleme hatte ich dennoch mit dem digitalen Lernen. Schnell mal für die Chemie-Aufgabe bei Wikipedia nachgucken, was eine Redoxreaktion ist, fix recherchieren, was andere schon mal als Inhaltsangabe im Fach Deutsch verfasst haben und nachdenken, ob man die Mathe-Lösungen nicht schnell bei Amazon bestellt.

Das alles machte mich ein wenig wehmütig. Wir haben Gedichte auswendig gelernt, die ich heute noch kann. Während ich früher als Schülerin nach Antworten suchen musste und ich auf Inhalte stieß, nach denen ich nicht gesucht hatte, passt sich das jetzige Lernverhalten dem Fortschritt an. Zu jeder Frage gibt es gleich die App, CD oder DVD.

Ich will nicht altmodisch klingen, aber ich mag eine gute Mischung aus analogem und digitalem Lernen. Meine Lehrerinnen und Lehrer waren mehr als Lernbegleiter oder Wissensvermittler. Sie haben meinen Charakter geprägt, mich ermutigt, Fragen zu stellen, mich bestärkt, meinen eigenen Weg zu gehen und mit Werten ausgestattet, die ich heute an meine Tochter weitergebe.

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