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Demonstrative Verbundenheit. Obwohl es zwischen Recep Tayyip Erdogan (links) und Wladimir Putin oft Differenzen gibt, finden sie doch meist zusammen.

© Pavel Golovkin/AFP

Putin und Erdogan: Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Sie empfinden ihre Kooperation als Gegengewicht zum Westen. Doch die merkwürdige Allianz zwischen dem russischen und dem türkischen Präsidenten bekommt Risse.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan und sein russischer Kollege Wladimir Putin pflegen eine Partnerschaft, die vom Westen argwöhnisch beäugt wird. Die Zusammenarbeit sei so eng, dass sie einigen schon unheimlich werde, sagte Erdogan vor zwei Jahren stolz. Putin lobte an Erdogan, dass dieser eine „unabhängige Außenpolitik“ betreibe. Da hatte die Türkei zum Entsetzen der Nato gerade russische S-400 Luftabwehrraketen gekauft.

Inzwischen hat sich das Verhältnis zwischen Ankara und Moskau allerdings abgekühlt. Im Krieg um die Kaukasusregion Berg-Karabach versagte kürzlich beinahe das erprobte Rezept von Erdogan und Putin, Interessengegensätze auszublenden. Neben der gemeinsamen Verachtung für die westlichen Demokratien gibt es immer wieder große Meinungsverschiedenheiten. Partner, Konkurrenten, Widersacher – das Verhältnis zwischen Erdogan und Putin ist komplex.

ZIELE DER ZUSAMMENARBEIT:

Putin war 2004 der erste russische Präsident, der die Türkei besuchte, um Vereinbarungen über die Kooperation in den Bereichen Rüstung und Energie zu treffen. Russland war für die Türkei lange der Hauptlieferant von Erdgas und baut das erste türkische Atomkraftwerk. Für den Kreml hat die Türkei energiepolitisch strategische Bedeutung durch das Projekt Turk Stream, das praktisch die südliche Entsprechung für das Nord-Stream-Projekt durch die Ostsee ist. Die Pipeline ging kürzlich in Betrieb. Für Erdogan bietet die Kooperation mit Putin die Möglichkeit, seine Vorstellungen von einer unabhängigen Außenpolitik durchzusetzen. Er kann Einwände der traditionellen Partner in Europa und Amerika ignorieren, weil er in Putin einen mächtigen nichtwestlichen Verbündeten gefunden hat.

In den Wirtschaftsbeziehungen sitzt Russland am längeren Hebel. Moskau exportierte im vergangenen Jahr Güter für rund 21 Milliarden Dollar in die Türkei, doch die Importe aus der Türkei lagen nur bei drei Milliarden. Auch im Tourismus ist die Türkei stark von Russland abhängig: Im vergangenen Jahr besuchten sieben Millionen russischer Urlauber die türkischen Strände und waren damit bei Weitem die stärkste nationale Gruppe vor den Deutschen mit fünf Millionen Besuchern.

SYRIEN:

Als Russland im September 2015 in den syrischen Krieg eintrat, fanden sich Putin und Erdogan auf verschiedenen Seiten der Front. Moskaus Ziel war es, den syrischen Diktator Baschar al Assad an der Macht zu halten. Ankara dagegen wollte den Erdogan-Erzfeind Assad stürzen. Rasch kam es zur Konfrontation: Die türkische Luftwaffe schoss im November ein russisches Kampfflugzeug ab. Danach brauchte es geraume Zeit, bis sich Erdogan und Putin arrangierten. Erdogan ging es dabei um sein zweites wichtiges Ziel: die kurdische Autonomiezone entlang der türkischen Südgrenze zu zerschlagen. Putin sah die Chance, die USA aus Syrien zu verdrängen. Mit dem Einverständnis des Kremls konnte die Türkei seit 2016 mit drei Militärinterventionen gegen die syrischen Kurden vorgehen.

In der letzten syrischen Rebellenbastion Idlib haben Erdogan und Putin jedoch wachsende Schwierigkeiten, ihre gegensätzlichen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Während Putin die Rückeroberung der Provinz durch Assad unterstützt, stemmt sich Erdogan gegen die Offensive, weil er eine neue Flüchtlingswelle in die Türkei befürchtet. Im Oktober sandte Putin Erdogan ein Signal seiner Unzufriedenheit, als russische Kampfflugzeuge Milizen bombardierten, die mit den türkischen Militärs verbündet sind.

LIBYEN:

Wie in Syrien stehen Erdogan und Putin auch in Libyen auf verschiedenen Seiten. Die Türkei, die ihren Einfluss im Mittelmeerraum ausweiten will, unterstützt die von den UN anerkannte Einheitsregierung in Tripolis, während Russland dem Rebellengeneral Chalifa Haftar hilft. Für Russland war der Sturz von Muammar al Gaddafi ein schwerer finanzieller Schlag. Moskau hatte dem Diktator einen Kredit von 4,5 Milliarden Dollar für Konzessionen zur Förderung von Öl und Gas und den Bau einer Eisenbahnlinie gewährt.

Nach dem Machtwechsel schloss die Türkei mit den neuen Machthabern ähnliche Kontrakte, Russland war plötzlich außen vor. Deshalb unterstützte der Kreml den alten Gaddafi-General Haftar. Eingesetzt wurden dabei vor allem Söldner der berüchtigten „Wagner“-Truppe, zu denen das offizielle Moskau jede Verbindung leugnet. Als im Sommer jedoch eine dieser Einheiten offensichtlich in Bedrängnis geriet, griff die russische Luftwaffe ein. Doch auf einem gewissen Niveau funktioniert die türkisch-russische Zusammenarbeit auch in Libyen. Bei diesen Gefechten halfen auf der Seite der Regierungstruppen türkische Militärberater, dass sich die russischen Kämpfer zurückziehen konnten.

BERG-KARABACH:

Im Konflikt um die Region Berg-Karabach funktionierte das türkisch-russische Modell nicht. Erdogan unterstützte Aserbaidschan im Krieg gegen Armenien, blitzte bei Putin aber mit der Forderung ab, die Türkei in Verhandlungen über einen Waffenstillstand einzubeziehen. Auch aus einer türkischen Truppenentsendung zur Überwachung des Waffenstillstands wurde nichts: Moskau gestattete der Türkei lediglich die Stationierung einiger Offiziere in einem gemeinsamen Befehlszentrum in Aserbaidschan.

TREFFEN AUF HALBEM WEGE:

Ungeachtet dieser ernsten geopolitischen Interessengegensätze gelingt es Russland und der Türkei immer wieder, ein erstaunlich hohes und stabiles Niveau der Zusammenarbeit zu halten. Der russische Botschafter in Ankara beschrieb es in einem Interview mit der Agentur „Interfax“ so: „Unsere Länder und ihre Führer haben einen optimalen Algorithmus des gemeinsamen Handelns gefunden, um auf die Meinungsunterschiede in der Regel so zu blicken, dass wir sie von der Tagesordnung nehmen können.“ Man treffe sich „auf halbem Wege“. Die größte Gemeinsamkeit, so schrieb die oppositionelle Moskauer Zeitung „Nowaja Gaseta“, sei „der gemeinsame Wunsch, ein Gegengewicht zu den westlichen Staaten zu schaffen“.

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