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Jaroslaw Kaczynski (r), Vorsitzender der regierenden PiS-Partei «Recht und Gerechtigkeit», und Mateusz Morawiecki (l), Ministerpräsident von Polen am Wahlabend.

© Jakub Kaminski/PAP/dpa

Beziehungen zum Nachbarland: Deutsche und Polen sind sich fremd geworden

Der Ausgang der Kommunalwahl in Polen sollte allen Seiten zu denken geben. Die PiS bleibt stärkste Partei. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Bleibt nur noch Sisyphos als Vorbild? Aus der Aufbruchsstimmung nach dem Mauerfall und der Faszination an der Entdeckung einer lange unterdrückten Nachbarschaft ist mühselige Arbeit geworden. Inzwischen endet sie oft in Frustration. Das ist der deutsch-polnische Alltag 2018: Schul- und Städtepartnerschaften gibt es weiter; ebenso unzählige gesellschaftliche Initiativen und die Kooperation im grenznahen Raum. Der Wirtschaftsaustausch boomt. Und wenn sich die Freunde der guten Nachbarschaft heute in Berlin beim Deutsch-Polnischen Forum treffen, werten die Staatspräsidenten Frank-Walter Steinmeier und Andrzej Duda das Engagement mit ihrer Präsenz auf. Nur: Wen erreichen sie mit der Symbolik und ihren Apellen?

Ein Großteil der Deutschen und Polen sind sich in den jüngsten Jahren fremd geworden. Sie verstehen die Denkweisen im anderen Land nicht mehr. Und sie nehmen es einander übel. Polens nationalpopulistische Regierungspartei PiS hat den größeren Teil der Irritationen zu verantworten; diese Sicht teilen die allermeisten Europäer. Die PiS unterminiert die Unabhängigkeit der Gerichte und der öffentlichen Rundfunkanstalten.

Sie will, zum Beispiel, durch Herabsetzung des Pensionsalters Richter vorzeitig austauschen. Der Europäische Gerichtshof urteilte am Freitag, das sei rechtswidrig, und verlangte die Wiedereinsetzung von 27 Richtern. Statt nachzugeben, stellen Präsident Duda und Justizminister Ziobro den Vorrang des europäischen Rechts infrage. Staatliche Sender berichten kaum über das Urteil. In der Innenpolitik setzt die PiS in erschütternder Weise auf antideutsche Propaganda. Über Europa redet sie verächtlich. Polen solle „die Kuh melken, solange sie Milch gibt“, und sich derweil auf den Zerfall der EU einstellen. Die Frage, ob er in Polens Interesse liege, und Vorschläge, wie er sich verhindern lasse, hört man kaum.

Die Deutschen sind nicht schuldlos

Die Deutschen sind freilich auch nicht schuldlos am Verfall der Partnerschaft. Sind manche polnischen Vorwürfe womöglich berechtigt? Die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 missachtet Polens Sicherheitsinteressen. Sie steht zudem im Widerspruch zur europäischen Energiepolitik; die schreibt vor, die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern zu reduzieren. Das deutsche Bemühen, über die Entsenderichtlinie Mindestlöhne und Sozialstandards für Lkw-Fahrer und Bauarbeiter festzuschreiben, gilt in Ostmitteleuropa nicht als edle Tat zum Wohle Unterdrückter, sondern als schamloser Protektionismus, um Balten, Polen und Tschechen ihren Wettbewerbsvorteil zu stehlen. Auch die Klage, die deutsche Wirtschaft nutze die EU-Mitglieder im Osten als verlängerte Werkbank, tue aber wenig, um dort Zukunftssparten und Forschung aufzubauen und den Partnern eine aufholende Modernisierung zu ermöglichen, hat eine Berechtigung.

Was tun? Erstens, die Hoffnung auf Einsicht und Korrektur in Polen nicht vorschnell aufgeben – und selbst zur Überprüfung von Sichtweisen bereit sein. Es ist besser, die Gegensätze offen auszusprechen, als sie mit wohlwollender Rhetorik zu bemänteln. Zweitens, unbeirrt um Polens Beteiligung an EU-Vorhaben werben, auch wenn die Erfahrungen mit der PiS frustrieren. Drittens, klar unterscheiden zwischen Prinzipienfragen, bei denen die EU nicht nachgeben darf, darunter Grundsätze der Demokratie und der Unabhängigkeit der Justiz, sowie Streitfragen, bei denen Kompromisse hilfreich sein können. Viertens, Druckmöglichkeiten nutzen, etwa bei den Verhandlungen über das nächste EU-Budget.

Der Ausgang der Kommunalwahl in Polen sollte allen Seiten zu denken geben. Die PiS bleibt stärkste Partei. Deutschland kann nicht hoffen, dass sie bald die Macht verliert. Die PiS muss freilich lernen, dass ihr Erfolg Grenzen hat. Sie vertritt nur ein Drittel der Wähler. In den Großstädten fehlt ihr die Zustimmung.

Nachbarn streiten, mitunter hart. Sie können auch wieder zusammenfinden – wenn sie es wollen und die Augen für die gemeinsamen Interessen öffnen.

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