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Von den Medien wird Linkenchef Riexinger eher selten beachtet. Er sagt: Ich bin zufrieden.

© dpa/Britta Peders

Linken-Chef Bernd Riexinger: „Bernd, wer bist du?“

Nur wenige kennen Linken-Chef Bernd Riexinger wirklich. Bei internen Machtkämpfen in der Partei spielt er Nebenrollen – trotzdem wird er gebraucht.

Man kann das auch sympathisch finden. An einem Freitagabend im April sitzt Linken-Chef Bernd Riexinger in einem Stuhlkreis mit Neumitgliedern seiner Partei und sagt erst mal: nichts. Weil er noch nicht dran ist. In einer anderen Partei hätte der Vorsitzende vielleicht ein Grußwort gehalten.

Hier im Karl-Liebknecht-Haus sollen sich die Neumitglieder geordnet nach Eintrittsdatum in einer Reihe aufstellen, auch nach Wohnort und Interessengebiet, es spricht der Berliner Geschäftsführer der Linken – und erst dann darf Riexinger auf die Frage der jungen Frau antworten, die das Treffen moderiert: „Bernd, wer bist du überhaupt, und was machst du hier?“

Riexinger beugt sich vor, setzt zu seiner Vorstellung an und sagt: „Ich bin der Vorsitzende von dem Laden, in den ihr eingetreten seid.“

Bernd, wer bist du überhaupt? Die Frage, so augenzwinkernd sie gestellt sein mag, ist nicht unberechtigt. Sicher wissen die 30 vorwiegend jüngeren Neumitglieder hier im Saal, wer Bernd Riexinger ist. Ein Großteil der Deutschen aber tut das nicht. Im Jahr der Bundestagswahl gab die Parteispitze eine vertrauliche Emnid-Umfrage in Auftrag, die später von der „Bild“-Zeitung öffentlich gemacht wurde. Es ging unter anderem darum, wer von den Linken-Spitzenpolitiker am bekanntesten ist. Während 79 Prozent der Befragten wussten, wer Fraktionschefin Sahra Wagenknecht ist, waren es bei Parteichef Riexinger nur 25 Prozent.

Wie geht er damit um?

Für ein Gespräch mit Bernd Riexinger schlägt seine Pressesprecherin ein Treffen bei ihm zu Hause vor: Er könne ja etwas kochen, das sei eines seiner liebsten Hobbys. An dem Freitag im April, wenige Stunden vor dem Neumitgliedertreffen, öffnet Riexinger die Tür seiner Wohnung in einem Hinterhaus in Kreuzberg. Altbau, Dielen, an den Wänden hängen Kunstdrucke mit Pinnnadeln befestigt. Er wohnt hier schon mehrere Jahre, aber es wirkt nicht so, als ob Riexinger richtig angekommen sei. Sein Zuhause ist in Stuttgart, ein Haus in den Weinbergen. Die Hauptstadt ist nur Riexingers Zweitwohnsitz. Ein bisschen scheint das auch für die Bundespolitik zu gelten.

Dabei führt Riexinger gemeinsam mit Katja Kipping die Linkspartei schon seit knapp sechs Jahren. Doch es sind vor allem Wagenknecht und Kipping, die in Talkshows auftauchen und die mediale Wahrnehmung der Partei bestimmen. Für Riexinger ist es hingegen etwas Besonderes, wenn er an zwei Tagen hintereinander in der „Tagesschau“ zu sehen ist.

„Er sieht sich selbst als großen Arbeiterführer“

Beim Treffen in seiner Wohnung trägt er leger einen Pulli, darunter lugt ein T-Shirt hervor. Am großen hölzernen Esstisch beginnt er, eine Süßkartoffel zu schälen. Ist es ein Nachteil, dass er so unbekannt ist? Riexinger zuckt die Achseln. Als Parteivorsitzender sei es ja nicht seine Aufgabe, hauptsächlich von den Medien beachtet zu werden, sondern von den eigenen Mitgliedern und von den Wählern. „Da bin ich mit der Resonanz zufrieden. Ich bin für die ein Parteivorsitzender zum Anfassen“, sagt Riexinger. Er schwäbelt leicht, wie immer.

Linken-Chef Bernd Riexinger entspannt beim Kochen.

© Maria Fiedler

Der 62-Jährige definiert sich über seine Vergangenheit als Gewerkschafter und Streikführer. Er erzählt gern die Geschichte, wie er als langhaariger Banklehrling Jugendvertreter seines Ausbildungsjahrgangs war und sein Betrieb ihn deshalb nicht übernehmen wollte. Die Sache ging vor Gericht, Riexinger gewann. Er wurde Betriebsrat, später Verdi-Geschäftsführer der Region Stuttgart. Den Neumitgliedern im Stuhlkreis erzählt er, der Bezirk sei bundesweit der streikfreundigste gewesen. Riexinger versteht sich als Rebell. „Ich habe einen großen Teil meines Lebens in ganz harten Auseinandersetzungen zugebracht“, sagt er. In der Partei nervt diese Selbstwahrnehmung manche. „Er sieht sich selbst als großen Arbeiterführer“, sagt ein Funktionär.

2012 drohte die Spaltung

Wer verstehen will, welche Rolle Riexinger für seine Partei spielt, muss die Situation kennen, in der er 2012 Parteivorsitzender wurde. Die Linke befindet sich damals in einer schweren Krise. Zwischen den beiden mächtigen Flügeln der Reformer und Parteilinken hat sich ein tiefer Graben aufgetan, selbst eine Spaltung scheint möglich – dabei ist die Partei erst fünf Jahre zuvor aus der SPD-Abspaltung WASG und der PDS entstanden. Die umstrittenen Parteivorsitzenden Klaus Ernst und Gesine Lötzsch wollen beim entscheidenden Parteitag in Göttingen nicht noch einmal antreten. Schließlich überzeugt Ex-Parteichef Oskar Lafontaine Riexinger davon, zu kandidieren. Der ist damals Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, Parteilinker und hat einst die WASG mitgegründet. Kurz vor dem Parteitag verkündet er seine Kandidatur.

Wenige trauen Riexinger zu, dass er gewählt wird. Doch die Konstellation ist günstig: Neben Kipping, ehemals PDS, wollen viele Delegierte jemanden aus der WASG an der Spitze. In einer Kampfabstimmung setzt Riexinger sich gegen Fraktionschef Dietmar Bartsch durch, der für die Reformer angetreten ist. Kurz nach der Wahl kommt es zum Eklat: Parteilinke stimmen die Kommunistenhymne „Die Internationale“ an. „Ihr habt den Krieg verloren“, singen sie an die Adresse der Reformer. Kippings und Riexingers Aufgabe ist nun, die Partei zu einen.

Die erste Zeit ist für Riexinger hart. Mit Kipping muss er 2013 einen Bundestagswahlkampf vorbereiten, sich im politischen Berlin zurechtfinden. Auch die Hauptstadtpresse ist eine Herausforderung, in Stuttgart ging es familiärer zu. Bis heute macht er sich nichts aus Netzwerkabenden mit Häppchen und Smalltalk .
Riexinger ging damals zuerst auf Osttour. „Die eher zurückhaltende Art ist dort gut angekommen. Ich habe im Osten heute viel Rückhalt“, sagt er beim Kochen in seiner Wohnung. Die Süßkartoffeln hat er mittlerweile gewürfelt, mit Zwiebeln und Sesamöl im Topf angebraten und Gemüsebrühe dazugeschüttet. Bevor er den Pürierstab in den Topf hält, meint Riexinger, seine ruhige Art helfe ihm, die Partei zusammenzuhalten. „Das heißt ja nicht, dass ich nicht total entschlossen bin.“

„Weitgehend allürenfrei“

In der Partei findet man einige, die für die vergangenen Jahre eine positive Bilanz ziehen. „Der Verdienst von Katja Kipping und Bernd Riexinger ist, dass sie nach der tiefen Krise 2012 einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung geleistet haben“, sagt Harald Wolf, der kommissarische Geschäftsführer der Partei. Riexinger habe mit seiner Gewerkschaftervergangenheit die Kampagnenorientierung der Partei vorangetrieben. Die Partei sei jünger geworden, habe auch im Westen einen deutlichen Zuwachs erlebt. 8500 Mitglieder kamen im vergangenen Jahr dazu. „Kipping und Riexinger bemühen sich, das Verbindende zwischen den verschiedenen Milieus in der Partei herauszuarbeiten und nicht das Trennende“, sagt er.

Die stellvertretende Parteivorsitzende Janine Wissler beschreibt Riexinger als „weitgehend allürenfrei“. Er hole Parteikollegen am Bahnhof ab, komme mit dem Fahrrad zur Vorstandssitzung und gehe mit Mitgliedern in die Kneipe. Er dränge nicht in die Öffentlichkeit – sei aber innerhalb der Partei stark präsent.

Riexingers Gegner beleuchten eine andere Seite. „Er hängt in der Gewerkschaftsideologie der 70er Jahre fest“, sagt ein Funktionär. Er halte Riexinger für einen blassen Vorsitzenden, der zwar von sich selbst überzeugt sei, aber kaum Wirkungsmacht entfalte und selten mit klugen Vorschlägen zitiert werde.

Dafür, dass Riexinger seinen eigenen Einfluss ausdehnen wollte, spricht, dass er 2017 für den Bundestag kandidierte. 2013 hatte er das noch abgelehnt mit der Begründung, er wolle sich auf den Parteivorsitz konzentrieren. „Das Hauptmotiv, für den Bundestag zu kandidieren, war, dass ich auch persönlich die Anbindung der Fraktion in die Partei verbessern wollte“, erklärt er an seinem Esstisch. Aber natürlich hat ein Bundestagsmandat auch den Nebeneffekt, stärker in der Öffentlichkeit zu stehen.

Die Süßkartoffelsuppe ist mittlerweile aufgegessen, Riexinger füllt Rinderfiletstücke mit gehacktem Serrano-Schinken, Basilikum und Zwiebeln. Dazu soll es Karotten, frischen Spinat mit Pinienkernen und Polenta geben. Riexinger spricht jetzt auch über den Konflikt mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch.

Stimmung zwischen Partei- und Fraktionsspitze ist vergiftet

Der ist im vergangenen Jahr eskaliert. Kipping und Riexinger wollten nach der Bundestagswahl ein Stimmrecht im Fraktionsvorstand, Wagenknecht drohte daraufhin, nicht wieder für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren. „Wir standen als welche da, die den Status von Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch angreifen“, sagt Riexinger. Dabei sei es nicht um einen Machtkampf gegangen. Er und Kipping hätten lediglich gewollt, dass sich im Fraktionsvorstand alle repräsentiert fühlen. Sie zogen schließlich den Kürzeren. Jetzt ist die Stimmung vergiftet. Kürzlich unterstellte Wagenknecht den Parteivorsitzenden in einem Interview Führungsschwäche. 25 Abgeordnete der Fraktion widersprachen ihr in einem offenen Brief. „Sahra Wagenknecht und ich haben 2012 die gleiche Richtung in der Partei vertreten – ich hätte nie gedacht, dass wir solche Konflikte miteinander kriegen“, sagt Riexinger.

Zwischen den Parteichefs Riexinger und Kipping und den Fraktionschefs Wagenknecht und Barsch ist die Stimmung vergiftet.

© dpa

Knapp sechs Jahre nach dem Chaosparteitag in Göttingen sind Partei- und Fraktionsspitze tief zerstritten. Bei Parteivorstandssitzungen, zu denen Wagenknecht eingeladen ist, fehlt sie häufig – genauso wie in den sogenannten Kleeblatt-Runden, in denen sich die beiden Fraktionsvorsitzenden mit den Parteivorsitzen austauschen sollten. Ihre Idee einer linken Sammlungsbewegung lancierte sie über die Medien. Und auch in der Flüchtlingspolitik und bei der Strategie zum Umgang mit der AfD liegt sie mit der Parteispitze über Kreuz.

Als Wagenknechts Gegenspielerin wird vor allem Kipping wahrgenommen. Obwohl Riexinger mittendrin ist in diesem Dauerkonflikt, wirkt er zuweilen wie ein Statist.

Katja Kipping und Bernd Riexinger 2014 auf einem Parteitag in Berlin.

© PICTURE ALLIANCE / DPA / Hannibal

In Wagenknechts Lager sehen ihn manche gerade deshalb als denjenigen, der den Konflikt entschärfen müsste. „Er wäre der ideale Brückenbauer“, sagt der Bundestagsabgeordnete und ehemalige rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Alexander Ulrich. Er findet, Riexinger solle Kipping einbremsen. Der Parteichef habe zwar nach Göttingen die Befriedung innerhalb der Partei erfolgreich vorangetrieben. „Aber wenn die jetzige Dauerkonfliktlage nicht beruhigt und versachlicht wird, besteht die Gefahr, dass wir wieder da ankommen, wo wir zu Beginn standen.“ Auf dem Parteitag im Juni in Leipzig, wo Riexinger aller Voraussicht nach im Amt bestätigt wird, solle er auch darauf hinwirken, dass ausreichend Leute aus dem Wagenknecht-Bartsch-Lager in den geschäftsführenden Vorstand gewählt würden, sagt Ulrich.

Und so könnte Riexinger, dem Mann im Hintergrund, wieder einmal die Aufgabe zukommen, die Partei zu befrieden. Auch wenn das von außen nur wenige mitbekommen würden.

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