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Hilfe zum Überleben. Südsudanesen stehen bei einer Lebensmittelausgabe der UN an.

© Albert Gonzalez Farran/AFP (Archiv)

Bericht der Vereinten Nationen: Mehr als 68 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht

Krisen, Konflikte und Gewalt: Die Zahl der Schutzsuchenden ist der UN zufolge 2017 auf einen Rekordwert gestiegen.

Immer mehr Menschen suchen Schutz vor Gewalt, Krieg, Verfolgung und Zerstörung. Weltweit waren Ende vergangenen Jahres 68,5 Millionen Kinder, Frauen und Männer auf der Flucht. Das sind fast drei Millionen mehr als 2016. Die Zahl derjenigen, die ihr Zuhause verlassen mussten, stieg somit das fünfte Mal in Folge.

Mehr als 16 Millionen wurden im Laufe des vergangenen Jahres zur Flucht gezwungen, viele von ihnen sind bereits mehrfach vertrieben worden. Zwei Drittel aller Flüchtenden kommen aus fünf Ländern: Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und Somalia. Das geht aus dem Bericht „Global Trends“ der Vereinten Nationen zum Weltflüchtlingstag hervor.

Jeder 110. Mensch ist ein Flüchtling

Niemals zuvor waren bei den UN so viele Schutzbedürftige registriert. Jeder 110. Bewohner der Erde ist demnach auf der Flucht, alle zwei Sekunden erleidet ein Mensch dieses Schicksal. „Flucht und Vertreibung hat es immer gegeben, aber heute ist es Alltag für ebenso viele Menschen wie Frankreich Einwohner hat“, sagte Dominik Bartsch, Repräsentant des UN-Hochkommissars für Deutschland, dem Tagesspiegel.

„Schlimmer ist nur noch, dass Vertreibungen nicht allein eine furchtbare Begleiterscheinung von Kriegen sind - sie werden oftmals sogar gezielt als Waffe eingesetzt. Die Mittel, die die schlimmsten Folgen lindern, sind Mitmenschlichkeit und die Solidarität.“

Da besteht offenkundig noch viel Bedarf. Dem UN-Flüchtlingshilfswerk zufolge sind von den 68,5 Millionen Schutz- und Hilfesuchenden mehr als 25 Millionen Menschen, die wegen Konflikten und Verfolgung ihre Heimat verlassen mussten – fast drei Millionen mehr als 2016.

Auch die Zahl der Asylsuchenden hat sich abermals erhöht. Ende 2017 waren es 3,1 Millionen, die auf einen Bescheid warteten. Minimal rückläufig ist die Zahl der sogenannten Binnenvertriebenen. 40 Millionen Menschen irren in ihrem eigenen Land umher. Auch das zeigt der Bericht: Die meisten Flüchtlinge mögen zwar darauf hoffen, in ihr Heimatland zurückkehren zu können – vergangenes Jahr gelang dies aber lediglich fünf Millionen.

Der Report der UN ist zwar eine Sammlung von Zahlen und Fakten. Doch er korrigiert gleichfalls einige „gefühlte Wahrheiten“. Die Flüchtlinge bleiben größtenteils in ihrer Region, schaffen es also gar nicht, die Industrienationen zu erreichen: 80 Prozent kommen vielmehr in einem Nachbarland unter. Zumeist leben sie in extrem ärmlichen Verhältnissen.

Auch die Aufnahmestaaten haben fast immer mit erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen. Wohnungs- und Arbeitsmarkt brechen oft zusammen. Dumpinglöhne und horrende Mieten sind die Folgen.

Anders, als häufig angenommen, leben die meisten Schutzsuchenden nicht in Flüchtlingslagern. Wo die Menschen unterkommen, hängt von dem jeweiligen Konflikt ab. Während Menschen, die aus Myanmar oder dem Kongo fliehen mussten, vor allem in Camps untergebracht werden, leben syrische Flüchtlinge größtenteils in Städten, wo sie eigene Unterkünfte beziehen.

Am schwersten hat der Libanon zu tragen

Die Hauptlast trägt nach wie vor die Türkei. Dort leben inzwischen 3,5 Millionen Schutzsuchende, die allermeisten stammen aus Syrien. Am schwersten hat allerdings der kleine Libanon zu tragen. Jeder sechste der sechs Millionen Einwohner ist heute ein Flüchtling aus Syrien. Kein Land der Welt hat im Verhältnis zu seiner Gesamtbevölkerung mehr Notleidende aufgenommen.

Da kommt Deutschland deutlich besser weg. Im vergangenen Jahr gab es gut 186.000 neue Asylsuchende, 2016 waren es noch 280.000. Der Trend hält nach Angaben der Vereinten Nationen an. Im ersten Quartal 2018 sank die Zahl der Anträge nochmals um fast 16 Prozent. Unter den zehn wichtigsten Aufnahmeländern für Flüchtende rangiert die Bundesrepublik als einziger wohlhabender Staat auf Rang sechs. Vor allem Syrer, Afghanen und Iraker haben hierzulande Schutz gefunden.

Und noch etwas macht der Weltflüchtlingsbericht deutlich: Mehr als die Hälfte aller Betroffenen (52 Prozent) sind unter 18 Jahre alt. Claudia Kepp von der Kinderrechts-Organisation „Safe the Children“ sieht diese Zahl mit großer Sorge: „Kinder, die sich alleine auf die Flucht begeben müssen, sind Gefahren besonders schutzlos ausgesetzt.“

Neues Zuhause. Viele aus Myanmar geflüchtete Rohingya leben heute in riesigen Flüchtlingscamps im Nachbarland Bangladesch.
Neues Zuhause. Viele aus Myanmar geflüchtete Rohingya leben heute in riesigen Flüchtlingscamps im Nachbarland Bangladesch.

© Kay Nietfeld/dpa

Die hohe Zahl der minderjährigen Flüchtlinge erkläre sich auch damit, dass die Bevölkerung in den Herkunftsländern in der Regel sehr jung sei. „Inzwischen wächst jedes sechste Kind in Krisen- und Konfliktregionen auf. Kein Wunder also, dass Familien Schutz in anderen Ländern suchen.“

52 Prozent der Schutzsuchenden sind unter 18

Wie viele Kinder 2017 ohne ihre Eltern auf der Flucht waren, lässt sich nicht sicher sagen. In vielen Ländern fehlt dafür eine statistische Grundlage. Die UN registrierten 138.700 unbegleitete Minderjährige. „Kein Elternteil schickt sein Kind freiwillig auf die Flucht“, betont Save-the-Children-Sprecherin Kepp. Nur große Not und die Hoffnung auf ein besseres Leben könnten erklären, dass Kinder alleine aus ihrer Heimat fliehen.

Wie 2016 kamen 2017 die meisten Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Aber auch Konflikte in Südostasien und Zentralafrika haben die Zahl der Schutzsuchenden deutlich erhöht. Eine wichtige Rolle spielte unter anderem der Konflikt in Myanmar. Im August eskalierte die Verfolgung der Rohingya, es kam zu einem regelrechten Gewaltausbruch.

Die muslimische Minderheit hat im buddhistischen Myanmar keine Bürgerrechte, leidet unter Diskriminierung und wird seit Jahren verfolgt. Innerhalb kurzer Zeit flohen damals mindestens 655.500 Rohingya nach Bangladesch. Zeitweise überquerten täglich mehrere Tausend Menschen die Grenze.

Ähnlich dramatisch ist die Lage im Kongo. In dem Land verdoppelte sich 2017 die Zahl der Binnenvertriebenen von 2,2 auf 4,4 Millionen. Hundertausende Kongolesen leben gezwungenermaßen in Nachbarländern. In der Demokratischen Republik Kongo gibt es keine stabile staatliche Ordnung, Rebellengruppen haben das Machtvakuum nach kolonialer Ausbeutung und einer 30-jährigen Diktatur gefüllt. Trotz des Bürgerkrieges suchen im Kongo auch viele Menschen aus anderen Ländern Schutz.

Hungersnöte und bewaffnete Konflikte haben auch im Südsudan zu einer Flüchtlingskrise von enormem Ausmaß geführt.  Bis Anfang 2017 gab es 1,4 Millionen Menschen, die ihr dortiges Zuhause aufgeben mussten - Ende des Jahres waren es dann bereits 2,4 Millionen. Die meisten sind nach Uganda und Sudan geflohen. Sieben von zehn Südsudanesen sind heute auf Überlebenshilfe angewiesen.

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