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Was müssen Schülerinnen und Schüler aus dem Coronajahr aufholen?

© Kai-Uwe Heinrich/TSP

„Aufholprogramm“ für Kinder und Jugendliche: Was hilft Schülern nach einem Jahr Pandemie wirklich?

Am Zwei-Milliarden-Paket gibt es Kritik: Zu wenig Geld für den falschen Ansatz. Wie viel muss die Politik im Bereich Bildung aufholen?

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Das Bundeskabinett hat ein ambitioniertes Ziel: „Aufholen nach Corona.“ Aufholen sollen Schülerinnen und Schüler dabei Lernlücken und Wissensdefizite, die während der Pandemie entstanden sind. Mit dem gleichnamigen Aktionsprogramm brachte das Kabinett am Mittwoch ein zwei Milliarden-Euro-Paket für Kinder und Jugendliche auf den Weg.

Dieses soll nun die Folgen der Corona-Maßnahmen für die junge Generation abmildern – und insbesondere den Langzeitfolgen entgegenwirken. Eine Milliarde Euro soll dabei für Nachhilfe- und Förderprogramme für Schüler mit Lernrückständen bereitstehen.

Eine weitere Milliarde Euro soll in soziale Maßnahmen investiert werden, um auch die psychischen Krisenfolgen für Kinder und Jugendliche abzufedern. Darunter fallen eine Aufstockung von bestehenden Programmen im Bereich frühkindlicher Bildung, in der Schulsozialarbeit und im Freizeitbereich.

„Es ist ein Zukunftspaket für Kinder und Jugendliche.“, erklärte Bildungsministerin Anja Karliczek bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Programms. Dies sei eine „konstatierte Aktion für unsere jungen Menschen“, sagte Karliczek weiter.

Ein Mal 100 Euro für Familien mit geringem Einkommen

Geplant ist dabei auch eine Einmalzahlung von 100 Euro für Kinder aus Familien, die auf Hartz IV angewiesen sind oder nur ein sehr geringes Einkommen haben. Das Geld soll etwa für Ferien-, Sport- und Freizeitaktivitäten bereitstehen. Eine Auszahlung könnte noch im August erfolgen.

Das Kabinett beschloss außerdem einen Gesetzentwurf für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler, der ab dem Schuljahr 2026/2027 gelten soll. Kinder, sollen demnach in den ersten vier Schuljahren einen Anspruch auf ganztägige Betreuung bekommen – für mindestens acht Stunden an Wochentagen und auch in den Ferien.

Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, stellt das Corona-Aufholprogramm für Kinder und Jugendliche, Gesetzentwurf zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter vor.
Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, stellt das Corona-Aufholprogramm für Kinder und Jugendliche, Gesetzentwurf zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter vor.

© Kay Nietfeld/ dpa

Der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB), Heinz Hilgers, hat die Entscheidung des Bundeskabinetts begrüßt. Zugleich forderte er Länder und Kommunen auf, ebenfalls Finanzmittel bereitzustellen. „Es wurde höchste Zeit, dass die Bundesregierung mehr Geld in die Hand nimmt. Ich begrüße das, denn es ist dringend notwendig“, sagte Hilgers dem Tagesspiegel.

Es hagelt Kritik: Zu wenig Geld, falscher Ansatz, keine gezielte Förderung

Bereits im Vorfeld war das Aufholprogramm jedoch auch auf Kritik gestoßen. So wurden die veranschlagten zwei Milliarden als zu wenig kritisiert und ein zu starker Fokus auf die Bekämpfung von Lerndefiziten bemängelt

Außerdem sei das Programm auf die lange Bank geschoben worden. Familienministerin Franziska Giffey nahm darauf Mittwoch indirekt Bezug. Es sei immer klar gewesen, dass es nicht nur um das Aufholen des verpassten Unterrichts gehe, „sondern auch um alles, was nach dem Unterricht passiert.“ „Jeder, der sagt es dauert zu lange, dem muss man sagen: Irgendwann müssen wir mal anfangen – und das ist heute.“, sagte Giffey.

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Doch ist die Kritik damit ausgeräumt? Nicht ganz. Denn insbesondere die Art und Weise der geplanten Verteilung wird weiter bemängelt. Jakob Maske vom Berliner Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sagte dem Tagesspiegel:

„Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Politik an die Kinder und Jugendlichen denkt. Allerdings muss man sich letztlich schon genau überlegen, wie das Geld verteilt wird. Es macht in unseren Augen keinen Sinn, bestehende Projekte nochmal zusätzlich mit Geld zu fördern, sondern neue Projekte zu entwickeln, die speziell auf die Bedürfnisse der Kinder ausgerichtet sind.“

Auch wünscht sich Maske eine gezielte Förderung der benachteiligten Kinder. „Wir sehen verstärkt psychologische Erkrankungen, einen Anstieg von Adipositas. Genau hier muss man ansetzen und genau diese Kinder auch fördern.“, sagte Maske dem Tagesspiegel.

„Wo die Familie unterstützen kann, braucht es keine Nachhilfe“

Auch Michaela Willhauck-Fojkar von der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung bestätigt: „Bei den Kindern, die Unterstützung aus der Familie bekommen, werden Nachhilfeangebote wahrscheinlich nicht notwendig sein.“ Dann gäbe es aber noch die Kinder, für die weder Nachhilfe noch Freizeitangebote ausreichen.

„Die haben vielleicht in der Pandemie eine leicht ausgeprägte psychische Erkrankung entwickelt - etwa eine Angststörung. Diese Kinder und Jugendlichen bräuchten vermutlich Sozialkompetenztrainings und ähnliche psychotherapeutische Angebote. Diese Kinder lässt das Aktionsprogramm außen vor“, kritisiert Willhauck-Fojkar gegenüber dem Tagesspiegel.

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Anders argumentiert Andreas Durth, CMO beim Nachhilfeinstitut Studienkreis: „Grundsätzlich finde ich den Ansatz von Bildungsministerin Karliczek richtig: Geld in die Hand nehmen und in Nachhilfe zu investieren, um gezielt Lernlücken aufzuarbeiten.“

Er fände aber schade, „dass jetzt die Verteilungsdebatten darüber beginnen, wo das Geld des Aktionsprogramms hinfließen soll oder eben nicht“. Und weiter: „Ich denke, wir brauchen alle Angebote, die es gibt – denn die Lernlücken sind zu groß. Verteilungsdebatten können wir uns nicht leisten.”

Sind zwei Milliarden Euro zu wenig?

Und auch die Geldfrage spielt weiterhin eine große Rolle. Vielfach wird weiter kritisiert, dass die Zwei Milliarden nicht reichen. Giffey betonte: „Es lag noch nie so viel Geld auf dem Tisch für etwas, das eigentlich Ländersache ist.“

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Die Bildungsökonomin Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezeichnete das Volumen jedoch als nicht ausreichend: „Dies alles kostet mehr als zwei Milliarden Euro und ist vor allem kein kurzfristiges Projekt – es wird Zeit brauchen“, sagte sie dem Tagesspiegel.

Dabei sei es wichtig, dass das Geld zielgerichtet eingesetzt und zunächst identifiziert werde, wer besonders betroffen ist. Dies müssten die Fachkräfte in Kitas, Schulen und in der Kinder- und Jugendhilfe möglichst rasch tun.

Auch die bildungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Birke Bull-Bischoff, bleibt unzufrieden mit dem Aktionsprogramm. Zwei Milliarden Euro würden in Anbetracht des Lehrermangels nicht ausreichen, um die Nachteile der Coronakrise auszugleichen. „Es ist besser als nichts, aber damit kehren wir in ein Schulsystem zurück, dass viele Kinder bereits benachteiligt hat.”, sagte Bull-Bischoff dem Tagesspiegel.

Mehr Bewegung und mehr Digitalisierung – was wünschen sich Schülerinnen und Schüler?

Einen weiteren Aspekt erwähnt Yara Cathrin Wilhelms von der Deutschen Sportjugend. Sie betont, dass insbesondere Sportangebote weiter gefördert werden müssten. „Neben der wichtigen Rolle für Bewegungsförderung und Sport haben Vereine eine besondere Bedeutung für gesellschaftliche Teilhabe, Bildung und Persönlichkeitsentwicklung.“, so Willems zum Tagesspiegel.

Die Auswirkungen der Lockdowns seien folgenschwer für die Bewegung der jungen Menschen gewesen. Zu Beginn des Jahres seien etwa 7,3 Millionen junge Menschen bis 18 Jahre ohne Vereinsaktivitäten gewesen. „Zahlen, denen unbedingt etwas entgegengesetzt werden muss.“

Und was wünschen sich die Schüler selbst? Luisa Regel vom Berliner Landesschülerausschuss sagte dem Tagesspiegel: „Wir wünschen uns mehr Mitspracherecht und dass mehr auf unsere Belange eingegangen wird.“

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„Besonders Corona hat die Unterschiede zwischen sozial schwachen und sozial starken Schulen gezeigt.“ Deshalb müsse die Kommunikation an Schulen ausgebaut werden und Schülerinnen und Schülern, die nicht zu Hause lernen könnten, müssten Schulen Räume mit Endgeräten und Wlan zur Verfügung stellen.

So zeigt sich letztlich: Es scheint im Bereich Schulen und Bildung an vielen Stellen Aufholbedarf zu geben – nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern.

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