zum Hauptinhalt
Bislang zeigt Teheran, hier Präsident Raisi (r.) und Revolutionsführer Chamenei, keine Kompromissbereitschaft.

© imago images/ZUMA Wire

Atomgespräche mit dem Iran: „Die Geduld der Biden-Regierung geht zu Ende“

Die USA sind mit Pessimismus in die Atomgespräche in Wien gestartet. Iran-Experte Ali Vaez über verlorenes Vertrauen und militärische Möglichkeiten. Ein Interview.

Ali Vaez arbeitet als Iran-Experte bei dem Thinktank Crisis Group in Washington. Sein ehemaliger Chef Robert Malley ist der US-Verhandlungsführer bei den Atomgesprächen in Wien.

Herr Vaez, in dieser Woche gab es eine neue Verhandlungsrunde über das iranische Atomprogramm. Sie waren bei den Gesprächen, die zum dem Abkommen von 2015 führten, intensiv beteiligt und stehen in engem Kontakt mit dem amerikanischen Verhandlungsführer Robert Malley. Was hatte Washington von den aktuellen Gesprächen erwartet?

Die USA sind in die Gespräche mit einem hohen Grad an Pessimismus gestartet. Der große Unterschied liegt in der neuen iranischen Regierung: Deren jetziges Team besteht aus scharfen Kritikern des Atomabkommens. Verhandlungsführer Ali Bagheri zum Beispiel veröffentlichte 2015 einen Artikel zum Abkommen, in dem er 100 Punkte aufführte, die das nationale Interesse des Iran verletzen würden. Die Iraner werden also viel härter verhandeln.

Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass sie den Verhandlungsspielraum haben, der für einen Kompromiss nötig wäre. Die US-Regierung von Joe Biden hat zudem ein weiteres Problem. Mit Zugeständnissen an die neue Regierung riskiert sie, dass sich die iranischen Hardliner in ihrem robusteren Vorgehen bestätigt fühlen.

Mit robusterem Vorgehen meinen Sie, dass der Iran sein Atomprogramm hochgefahren hat?

In den fünf Monaten seit den letzten Gesprächen haben die Iraner den Druck deutlich erhöht. Zugeständnisse an die neue Regierung in Teheran, die die Biden-Administration der alten nicht geben wollte, würden den Appetit auf mehr erhöhen.

Wie weit ist der Iran bei der Entwicklung der Bombe?

Als Donald Trump ins Amt kam, war der Iran zwölf Monate von der Fähigkeit entfernt, genügend Uran für eine Bombe anzureichern. Nun sprechen wir von weniger als einem Monat, und das Programm entwickelt sich jeden Tag rasant weiter. Manche Fortschritte sind schon jetzt unumkehrbar, etwa bei dem Wissen über Zentrifugen. Das Atomprogramm wächst aber nicht linear, daher kann man schwer einen bestimmten Zeitpunkt festlegen. Teheran kann eskalieren, indem es neue Technologien erlernt, oder indem es mehr Material sammelt. Es kann die Geschwindigkeit erhöhen oder runterfahren. Mein Eindruck ist indes: Die Geduld der Biden-Regierung geht zu Ende.

Iran-Experte Ali Vaez.
Iran-Experte Ali Vaez.

© Yasin Ozturk/picture alliance

Was bedeutet das?

Wenn Mitte Dezember deutlich wird, dass diese Verhandlungen zu nichts führen und der Iran nicht mit der Atomenergiebehörde kooperiert, wird Washington wohl in eine härtere Gangart umschalten.

Das heißt konkret?

Bestehende Sanktionen würden strenger durchgesetzt, etwa in wichtigen Wirtschaftsfeldern wie den Exporten nach China oder bei Finanztransaktionen in die Golf-Staaten. Auch könnte sich der UN-Sicherheitsrat Anfang 2022 wieder mit dem Iran befassen, was die Rückkehr der UN-Sanktionen zur Folge haben könnte.

[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung.]

Wie groß ist die Gefahr einer militärischen Eskalation?

Wenn die Gespräche komplett kollabieren oder der Iran Maßnahmen ergreift, die eindeutig in die Kategorie militärische Aufrüstung fallen – etwa eine Urananreicherung auf die für eine Nuklearwaffe benötigten 90 Prozent oder die Kontrolle der Atominspekteure behindert –, würden militärische Aktionen nach sich ziehen. Die Eskalationsspirale hat gerade erst begonnen.

Drohen die Gespräche zu scheitern?

Ohne zumindest eine vorübergehende Übereinkunft, die den laufenden Eskalationsprozess einfriert, erhöht sich das Risiko eines militärischen Konflikts zwischen dem Iran und Israel beziehungsweise dem Iran und den USA deutlich.

Würde Washington Israel unterstützen, wenn das Land den Iran angreift?

Auch in Israel gab es einen Regierungswechsel. Unter Premierminister Naftali Bennett gibt es eine viel engere Koordination zwischen Washington und Jerusalem als noch unter Benjamin Netanjahu – auch wenn Israel dem Atomabkommen weiter sehr skeptisch gegenübersteht. Aber es wird den diplomatischen Prozess nicht sabotieren und keine militärischen Maßnahmen ergreifen, ohne sich mit den USA abzusprechen. Nur, noch einmal: Wenn die Gespräche scheitern und der Iran kurz davor steht, den Rubikon zu überqueren und eine Atommacht zu werden, dann wird es Militäraktionen geben. Das könnte bereits im Frühjahr so weit sein.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen]

Wie viel Vertrauen wurde zerstört, als die USA 2018 unter Trump einseitig aus dem Abkommen ausstiegen?

Es ist richtig: Die USA müssen jetzt ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Der Iran hat sich laut der Atomenergiebehörde auch noch 2019, also ein Jahr nach dem Ausstieg der USA, an das Abkommen gehalten. Darum ist eine der größten Hürden in den derzeitigen Gesprächen die Forderung der Iraner, Washington müsse für die Zukunft garantieren, dass es sich an seine Zusagen hält. Nur: Das Abkommen wurde als eine politische Übereinkunft verhandelt. In Washington musste der Kongress nicht zustimmen – das wäre nicht möglich gewesen und wäre es auch in der Zukunft wohl nicht.

Trump argumentierte, Teheran habe das Abkommen als Deckmantel benutzt und gegen den Geist des Vertrags verstoßen, indem es Terrorismus unterstützte und Gewalt in den Mittleren Osten exportierte. Müsste ein neues Abkommen nicht auch Bezug auf die regionale Stabilität nehmen?

Damals wurde bewusst entschieden, sich auf das Atomprogramm zu konzentrieren. Das war schon kompliziert genug. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ein solches begrenztes Abkommen nicht reicht. Allerdings hat sich der regionale Kontext seit 2015 deutlich verändert – vor allem, was die Beziehungen des Iran zu seinen arabischen Nachbarn betrifft. Teheran spricht mit den Vereinten Arabischen Emiraten, mit Saudi-Arabien – die Golf-Staaten haben begriffen, dass ein in ihren Augen „schlechter Deal“ immer noch besser als gar kein Deal ist.

Auch Israel hat im Grunde verstanden, dass Trumps Politik des maximalen Drucks die schlechteste aller Welten hervorgebracht hat. Nie zuvor haben wir so aggressive Attacken von Seiten des Iran gesehen wie in den vergangenen drei Jahren. Der Iran hat sich auch innenpolitisch deutlich aggressiver verhalten. Es gibt zumindest die Möglichkeit, dass sich ein erneuertes Abkommen deeskalierend auf die Region auswirken würde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false