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In guter Gesellschaft. Viele der tunesischen Flüchtlinge auf Lampedusa sind jung, gut ausgebildet und sprechen mehrere europäische Sprachen. Sie wollen arbeiten und suchen teilweise wohl nur vorübergehend Schutz vor Chaos und Gewalt in ihrer Heimat.

© Ciro Fusco/dpa

Proteste und Flucht: Atempause auf Lampedusa

Überfüllte Auffanglager und verzweifelte Menschen: Italien ist mit dem Flüchtlingsstrom aus Tunesien überfordert. Tunesien weist derweil Hilfe durch italienische Polizisten zurück. Beide Länder verhandeln jetzt über die Flüchtlinge.

Für 850 Personen ist das große Flüchtlingslager auf Lampedusa ausgelegt; mehr als 2100 drängen sich nun darin. Aber das ist schon ein Fortschritt: Bis Sonntagnachmittag war die ordentlich ausgestattete und früher sogar von Hilfsorganisationen gelobte Barackenstadt geschlossen. Erst danach hat sich Innenminister Roberto Maroni dem Druck der Flüchtlingsmassen und der Lampedusaner gebeugt. Jetzt sind Pfarrsaal, Altenzentrum und Sportplatz wieder frei, und sollten die Tunesier bis zum Beginn der Touristensaison bleiben – sie bestimmen das Ortsbild nicht mehr. Denn das Lager liegt gut verborgen hinter Hügeln, Kohlgärten und Macchia.

Am Montag kamen auch keine neuen Boote mehr aus dem nahen Tunesien herüber: Das Mittelmeer war nicht mehr so spiegelglatt wie in der vergangenen Woche. Und in den tunesischen Häfen von Gabès, Zarat und Zarzis kontrollierten Polizei und Militär mit Hilfe von Fischern die Molen auf „illegale Auswanderer“. In der Küstenregion Gabès seien mittlerweile alle Fluchtwege blockiert, hieß es.

Das ist ganz im Sinne von Italiens Außenminister Franco Frattini, der bei der Übergangsregierung in Tunis die Einhaltung internationaler Verträge anmahnte, wenn sie schon „Hilfe“ ablehne. Das nordafrikanische Land hatte verärgert auf den Vorschlag reagiert, italienische Polizisten zur Grenzsicherung dort einzusetzen. „Tunesien ist überrascht über diesen Vorschlag und bekräftigt, dass es kategorisch jegliche Einmischung in seine inneren Angelegenheiten und jegliche Verletzung seiner Souveränität ablehnt“, erklärte das Außenministerium. Zugleich erklärte sich das Land bereit, mit befreundeten Staaten nach einer humanen und würdigen Lösung für das Problem der illegalen Migration zu suchen. Am Montagabend wollte Frattini in Tunesien zu Gesprächen mit dem Übergangsministerpräsidenten Mohamed Ghannouchi zusammentreffen.

Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der Tunesien am Wochenende besucht hatte, rügte den italienischen Vorstoß scharf: „Das ist mit Sicherheit nicht die richtige Botschaft“, betonte er. „Das beste Mittel gegen Flüchtlingsströme ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen im eigenen Land eine Chance haben.“ Europa müsse seine Märkte für tunesische Produkte stärker öffnen, deutsche Unternehmen in Tunesien investieren.

Am Samstag hatte Italien für Lampedusa den Notstand erklärt. Die Flüchtlinge aus Tunesien, so beschreibt sie Simona Moscarelli von der „Internationalen Organisation für Migranten“, seien alle jung, mit guter Berufs- und Schulausbildung, „Französisch und Englisch fließend“. Es wundere sie nur, „dass sie alle aus Zonen kommen, die wir eigentlich für politisch befreit hielten.“ Und während die einen gegenüber italienischen Reportern sagten, sie kämen nach Europa, weil sie in Tunesien keine Stelle fänden, erklärten andere – ein 27-Jähriger aus dem Touristenbetrieb der Insel Djerba zum Beispiel, er wolle „so schnell wie möglich wieder zurück, aber innerhalb einer Woche haben sie in meiner Nähe 25 Leute umgebracht.“

Seit Montag werden auch Tunesier aufs italienische Festland und auf die Insel Sizilien gebracht. Dort sollen sie vorerst in Hotels, Schulen und Turnhallen untergebracht werden. Auf Lampedusa streikten unterdessen die wenigen einheimischen Fischer, die von den längst vergangenen Zeiten des Booms übrig geblieben sind. Mit ihren Booten forderten sie im Hafen auf Transparenten „die gleiche Hilfe wie für die Einwanderer“. Und ganz Italien diskutiert jetzt die Zukunft der Tunesier im Land. Während die katholische Kirche eine Aufnahme mit „Realismus und Humanität“ verlangt, fordert die selbst aus Marokko stammende Parlamentsabgeordnete der Berlusconi-Partei „Volk der Freiheit“, Souad Sbai, die Tunesier „demonstrativ, ohne Wenn und Aber“ nach Hause zurückzubringen: „Das ist keine religiöse oder ethnische Notlage wie im Kosovo oder im Darfur, sondern nur ein Aufstand. Und wir stehen vor dem Kollaps.“ mit rtr

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