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Juden in Deutschland müssen mit Hetze gegen sich leben. Hier zeigt ein Demonstrant Solidarität.

© Christophe Gateau/dpa

Antisemtische Hetze: Vom Strafgesetzbuch allein wird die Welt nicht besser

Ein neuer Tatbestand soll die „verhetzende Beleidigung“ abwehren. Wer sich davon ein sozialeres Miteinander erwartet, wird enttäuscht werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Als vor 150 Jahren das Strafgesetzbuch (StGB) erlassen wurde, fiel dies in eine Zeit des Wandels. Aus dem einstigen Agrarstaat wurde eine moderne Industrienation, die Menschen strömten in die Städte; Bildung, Hygiene, Ernährung, Medizin – es gab in der Folgezeit viele Fortschritte in einem Gemeinwesen, das sich auch darüber verständigen musste, was als Verbrechen gelten sollte.

Der Taktgeber von heute ist die Digitalisierung. Bei ihrem Tempo ist es kein Wunder, dass im StGB eine Änderung der nächsten folgt. Erst im April trat die letzte in Kraft, jetzt hat das Kabinett die nächste auf den Weg gebracht. Darunter ein neuer Tatbestand, die „verhetzende Beleidigung“: Wer etwa Juden, Homosexuellen oder Muslimen etwas schreibt, das diese Gruppen in hetzerischer Weise verächtlich macht, muss mit bis zu zwei Jahren Haft oder Geldstrafe rechnen.

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Die Union wollte die Vorschrift auf antisemitische Hetze beschränken. Dies hätte jetzt, angesichts von Hassdemos vor Synagogen, wie ein Zeichen politischer Solidarität gewirkt. Aber wie wäre es anderen Gruppen zu vermitteln, die von Hass und Ausgrenzung betroffen sind?

Hässlich waren die Schreiben immer, aber sie wurden hingenommen

Zuschriften dieser Art gab es leider immer. Strafbare Volksverhetzung war es nicht, weil solche hetzerischen Schreiben nicht an die Öffentlichkeit gerichtet waren. Eine strafbare Beleidigung schied häufig aus, weil sich die Abwertung nicht unbedingt auf den einzelnen Adressaten hin individualisieren ließ; eine nur allgemeine Kundgabe von Missachtung gegenüber Gruppen fällt unter Meinungsfreiheit. Hässlich waren hetzerische Schreiben immer. Aber sie wurden hingenommen; sogar, wenn sie antisemitisch waren.

Neu ist, dass aus Briefen E-Mails, SMS und Chat-Nachrichten wurden. Neu und gewiss richtig ist, dass es nicht mehr ohne weiteres hingenommen wird. Früher musste Pöblerinnen und Pöblern ihre Pöbelei zumindest eine Briefmarke wert sein. Diese Hürden sind beseitigt. Digitaler Hass kostet nichts, nur minimal Strom. Er ist billig, bequem und anonym.

Was da sichtbar wird, scheint oft unerträglich

Wird das gesellschaftliche Gegeneinander dadurch größer? Wird Antisemitismus immer schlimmer? Möglich. Sicher ist, dass all dies dank digitaler Spuren besser sichtbar, greifbar und verfolgbar wird. Damit einher geht das verständliche Bedürfnis, das Schlimme wieder verschwinden zu lassen. Denn was da sichtbar wird, scheint oft unerträglich.

Das Strafrecht wird das jedoch allein kaum leisten können. Es ahndet begangene Taten, bei denen ein Täter ermittelt werden kann, doch schützt es nur bedingt vor neuen. Es kann kein sozialeres Miteinander garantieren und bietet erst recht kein Rezept, um judenfeindlichen Ressentiments zu begegnen. Strafe muss sein, aber sie war noch nie eine Lösung. Für nichts. Wer politisch auf das Strafrecht hofft, wird verlässlich enttäuscht. Seit 150 Jahren.

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