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Der Tag des Rückzugs - Annegret Kramp-Karrenbauer

© picture alliance/dpa

Aufrecht scheitern: Annegret Kramp-Karrenbauer - kürzeste Amtszeit, längster Abschied

Sie war nur 430 Tage im Amt und muss 340 weitere auf ihre Ablösung warten. Ein Lehrstück über das Scheitern und über stille Verdienste.

Von Robert Birnbaum

Auf den letzten Metern wirkt sie jetzt oft wieder so wie früher. Gelassen kann Annegret Kramp-Karrenbauer sein, spöttisch, klar.

Als sie im vorigen Februar nach 430 Tagen den Rückzug vom CDU-Vorsitz ankündigte, war davon nicht mehr viel übrig. Doch auf die Frau, die Angela Merkels Nachfolgerin werden wollte, wartete nach der kürzesten Amtszeit in der Geschichte der CDU-Vorsitzenden auch noch die längste Hängepartie. 340 Tage lang wird sie den Übergang verwaltet haben, wenn sie die Führung der letzten großen Volkspartei ihrem Nachfolger übergibt.

Dabei sah es nach einem glatten Durchmarsch aus, als die Saarländerin im Dezember 2018 in den Hamburger Messehallen den Superstar Friedrich Merz besiegte. Eine überraschend schwungvolle Parteitagsrede nach einem mauen Auftritt des Konkurrenten – Merkel gratulierte strahlend ihrer knapp gewählten Wunschkandidatin.

Von der Hoffnungsträgerin zur Verspotteten

Der Coup schien aufzugehen, den die beiden Frauen Anfang 2018 eingeleitet hatten. AKK tauschte damals das Ministerpräsidentenamt gegen den untergeordneten Posten der Generalsekretärin.

Die Rochade war umso bemerkenswerter, als Kramp-Karrenbauer erst im Jahr davor ihren Posten in Saarbrücken verteidigt hatte. In der Partei galt sie danach als heimliche Architektin von Merkels vierter Kanzlerschaft. Ihr Sieg an der Saar brach die Welle, die Martin Schulz und die SPD ins Kanzleramt zu spülen schien.

Doch aus der trickreich eingefädelten Traumkarriere wurde ein Lehrstück über das Scheitern.

„Ich wünschte mir, ich hätte selbst weniger Fehler gemacht“, räumte sie im Abschiedsinterview mit der „Saarbrücker Zeitung“ ein.

Viele dieser Patzer sind hinlänglich bekannt: ein Karnevalswitz, der nach hinten losging, die unbeholfene Reaktion auf Rezos Klima-Attacke per Youtube. Andere spielten hinter den Kulissen. Beraterfehler gehörten dazu, Machtkämpfe im Adenauer-Haus, aber auch ein Eigensinn, der ihr an der Saar nützlich war und auf der Bundesbühne versagte.

Ihr öffentliches Ansehen geriet schnell auf eine abschüssige Bahn, von der sie, zeitweise regelrecht verunsichert, keinen Abzweig mehr fand. Ein rascher Wechsel ins Kanzleramt war ihr verbaut. Merkel hatte sie wissen lassen, dass sie nicht vorzeitig abtreten würde. Einen gütlichen Wechsel hätte die SPD nicht mitgemacht, und als letzte Tat das Land in Neuwahlen schicken kam für Merkel nicht in Frage.

Skrupellos hätte sie vielleicht sein müssen

Kramp-Karrenbauer musste sich ins Warten fügen. Ihr habe, sagte sie der „Süddeutschen“, wohl in Wahrheit der letzte Machtwille gefehlt, um die Kanzlerin zum Rückzug zu drängen: „Für das Kanzleramt reichen keine 99 Prozent.“

Ihr fehlte aber auch Merkels Fähigkeit, elastisch zurückzuweichen oder einfach zu schweigen, wenn das Internet brodelte oder jemand ihrer CDU ans Zeug flicken wollte. Sich vor sich selbst nicht verbiegen, die eigene Truppe verteidigen war ihr wichtiger.

Insofern war die kürzeste CDU-Vorsitzende aller Zeiten vielleicht zugleich die loyalste Parteisoldatin auf diesem Posten. Sie stand selbst dann zum Frieden mit der CSU, wenn der machtlustige CSU-Chef Markus Söder sie aus heiterem Himmel mit dem Ruf nach einer Kabinettsumbildung überfiel.

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Aber die CDU, die sie führen sollte, war eben nicht der eingeschworene Haufe, den sie von der Saar kannte – eine christlich-liberale Partei, die von Leuten wie dem ersten Umweltminister Klaus Töpfer und ihrem Förderer und heutigen Verfassungsrichter Peter Müller geprägt war. Machtübergänge finden dort als lautlose Erbfolgen statt.

AKK, heißt es jetzt manchmal, sei an ihrer inneren Provinz gescheitert. Das stimmt nicht ganz: Es war diese spezielle Provinz, deren Erfahrungen sich nicht auf die ewig aufgeregte Bundes-Szene übertragen ließen. Schon der Karneval als solcher gilt ja weithin als Verirrung.

Parteifreunde versetzten ihr den letzten Stoß

In der Bundespolitik sind die Sitten rauer. Merz blieb ihr als Mann ohne Amt im Nacken. Seine Anhänger sannen auf Revanche. Andere stellten hinter den Kulissen sehr schnell ihren Anspruch auf das Kanzleramt in Frage.

Nur konsequent, dass sie zuletzt an eigenen Parteifreunden scheiterte.

Sie gab endgültig auf, als sie die bockige Thüringer CDU nicht dazu bringen konnte, ihren faktischen Pakt mit der AfD zu widerrufen. Dass Merkel sie zu der Reise nach Erfurt ermutigt hatte, machte sie erst jetzt öffentlich. Ob die Kanzlerin sich gedacht hat: Letzte Chance?

Aber die schwer Angezählte bekam selbst die nicht mehr. Dass sie nur Wochen später als Chefin der Bundeswehr im Corona-Abwehrkampf hätte wiederauferstehen können, ist im Rückblick auch nicht mehr als ein witziges Gedankenspiel. Sie wäre nur wieder im Schatten der Kanzlerin geblieben, und der bayerische Ministerpräsident hätte auch sie leichthin überstrahlt.

Ihre nachhaltigsten Erfolge fallen ohnehin in die Zeit vor ihrer Wahl und die nach ihrem Rückzug.

Als Generalsekretärin im Hintergrund hat sie verhindern geholfen, dass CDU und CSU am Flüchtlingsstreit zerbrachen. Als nur noch amtierende Chefin hat sie ein altes Projekt ihrer Frauen-Union durchgesetzt: Ihr Nachfolger, egal wer es ist, wird auf dem nächsten Parteitag über eine Frauenquote abstimmen lassen müssen.

Ihr selbst bleibt das Ministeramt. Ob sie für den nächsten Bundestag kandidiert, hält sie sich offen. Es wäre kein Signal für ein Comeback, aber doch für die Möglichkeit, im Bendlerblock das Angefangene fortzuführen. Die Bundeswehr ist halt wieder so eine Truppe, die Loyalität schätzt und brauchen kann.

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