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Menschen bei der Tafel. Wird das künftig für mehr Leute eine Option werden?

© picture alliance / Andreas Arnold/dpa

Energiekrise, Kostenexplosionen, Inflation: Angst ist keine Antwort auf Abstiegssorgen

Die Gesellschaft steht vor bisher nicht gekannten Fragen: Ist der Wohlstand für alle vorbei? Beginnt das große Bremsen? Wie dem zu begegnen ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Als habe die Pandemie nicht schon Schrecken genug gebracht, folgen ihr weitere auf dem Fuß. Das Vokabular der Angst reicht von Krieg in Europa über Aufrüstung und Staatsschulden bis zu Energiekrise, Lohn-Preis-Spirale und Inflation. All das klingt wie ein Echo aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von Sparenmüssen wird gesprochen und davon, dass der Gesellschaft künftig zugemutet werde, was es lange nicht gab: Wohlstandsverluste.

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Wohlstand war die größte Verheißung der Nachkriegsrepublik im Westen. Als Ludwig Erhard 1957 seinen legendären Slogan für das Wirtschaftswunder erfand, saß er, fleißig, wohlgenährt und Zigarre schmauchend, als Wirtschaftsminister in Bonn. „Wohlstand für alle“ verkündete er und schien selber die Verkörperung dieses Versprechens zu sein.

Frieden, Marshallplan und Aufbauprogramme brachten enorme Segnungen. Die Bundesrepublik wurde, trotz der milliardenschweren Sanierung der ehemaligen DDR, zu einer der reichsten Industrienationen und einem der besten Wohlfahrtsstaaten der Welt.

Ist der Wohlstand für alle vorbei? Beginnt nun das große Bremsen? Sollen alle die Heizung runterdrehen, Pullover anziehen, den Konsum drosseln? Solche Befürchtungen beuteln die Leute, das Selbstverständliche ist bedroht: warme Wohnungen, Urlaube, günstige Lebensmittel. Probleme stehen ins Haus, fraglos, wenn auch nicht gleich auf alle Etagen verteilt.

„Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!“

Ludwig Erhards Motto ließ sich als demokratische Replik auf den berühmten Refrain aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper lesen. „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!“, hieß es dort 1928, eine beißende Kritik an jenen, für die drei Groschen nichts bedeuteten. „Peanuts“ hieß das später bei einem Banker.

Auch in der Krise der Gegenwart gibt es Leute, und es wird sie weiter geben, für die drei oder auch 300 Euro Peanuts sind, und andere, für die jeder Cent zählt. Umso wichtiger, dass Politik auf die Centzählenden blickt.

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Zentrale Aufgabe für das Bewältigen der Krise ist der kluge Umgang mit Angst. Sie ist da, und sie ist berechtigt. Doch panische Reaktionen verschärfen ökonomische Krisen erst recht. Kaum etwas ist schädlicher für die Konjunktur, als ruckhaftes Agieren. Kollektive Ängste läuten zudem gern die Stunde der Populisten ein. In Deutschland wiegeln die sich derzeit zum Glück eher untereinander auf, als die Bevölkerung gegen die Demokratie.

Vor "Volksaufständen" warnen war nicht klug

Schon wird aber berichtet, Rechtsextremisten würden für einen „Wutwinter“ mobilisieren. Wenig sinnvoll ist es, wie es jüngst Annalena Baerbock tat, wegen der Energiekosten vor „Volksaufständen“ zu warnen. Inzwischen ruderte die Außenministerin zurück und bezeichnet ihre Aussage als überspitzt.

Konstruktiv ist es, wenn Kanzler Olaf Scholz nun ankündigt, die Koalition werde den Bürgern über die Entlastungspakete von 30 Milliarden Euro hinaus beispringen, unter anderem durch eine Wohngeldreform und das geplante Bürgergeld, das ab Januar die Hartz-IV-Sätze ablösen soll.

Gebraucht werden jetzt Realismus, Rationalität und maximal verantwortungsvolles Informieren. Auch das Aufklären über affektive Reaktionen gehört zur Prävention, emotional, politisch und wirtschaftlich. So könnte die Devise der Krise lauten: etwas weniger Wohlstand für eine Weile, durchaus mehr Steuern für Reiche und viel mehr Mut und Verstand bei allen für alle.

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