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Der russische Präsident Wladimir Putin

© AFP

Angriffskrieg und Kriegsverbrechen: Der Westen muss den Preis für Putin erhöhen

Die Nato-Staaten sollten sich in ihrem Handeln nicht von der Angst vor einem angeblich unberechenbaren russischen Präsidenten leiten lassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Einen Monat nach dem russischen Überfall ändern sich plötzlich die Nachrichten aus der Ukraine. Nun ist nicht mehr täglich die Rede davon, wann die russische Armee wohl Kiew eingekreist haben werde und wann die Hauptstadt möglicherweise falle. Die ukrainische Armee hat vielmehr begonnen, Moskaus Truppen im Umland von Kiew zurückzudrängen. Damit gerät allerdings der russische Präsident Wladimir Putin selbst in die Defensive.

In westlichen Hauptstädten wächst zugleich die Sorge, Putin könne gerade deshalb in der Ukraine chemische oder biologische Waffen einsetzen, ein Nuklearschlag gilt dagegen als weniger wahrscheinlich. Die Nato hat den russischen Präsidenten eindringlich vor dem Einsatz einer Massenvernichtungswaffe gewarnt und mit „schwerwiegenden Konsequenzen“ gedroht. Was das genau heißt, ließen die Staats- und Regierungschefs offen.

Dabei wäre es wichtig, Putin deutlich zu machen, wie hoch der Preis sein würde, wenn er ein derartiges Verbrechen beginge. Leider wird auch Putin noch das Vorgehen des Westens während des Krieges in Syrien vor Augen haben. Der damalige US-Präsident Barack Obama hatte erst den Einsatz von Chemiewaffen als rote Linie definiert – und dann nichts getan, als der von Russland unterstützte Machthaber Assad einen Kampfstoff gegen die eigene Bevölkerung einsetzte.

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Gerade in Deutschland ist in diesen Tagen gelegentlich zu hören, man dürfe Putin bloß nicht in die Enge treiben, weil er dann erst recht zum Einsatz chemischer, biologischer oder gar atomarer Waffen greifen würde. In die Enge getrieben wurde der russische Präsident tatsächlich, allerdings weniger durch das Handeln des Westens als durch die eklatanten Fehleinschätzungen seiner eigenen Führung auf der einen Seite und die hohe Verteidigungsbereitschaft der Ukrainer auf der anderen Seite.

Im System Putin werden zudem erste Risse erkennbar. Überraschend verschwand für zwei Wochen Verteidigungsminister Sergej Schojgu aus der Öffentlichkeit. Am Wochenende tauchte er dann plötzlich in einem vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Video wieder auf. Darauf war zu sehen, wie er eine Armeesitzung leitet. Sein vorübergehendes Verschwinden kann als ein Indiz dafür gesehen werden, dass im Kreml derzeit nichts nach Plan läuft.

Ein erster Schritt wäre ein Ölembargo

Selbst wenn der Westen jetzt auf weitere Sanktionen verzichtete, gäbe es also keine Gewissheit, dass Putin nicht ohnehin den nächsten Schritt der Eskalation geht. Die Nato-Staaten sollten sich in ihrem Handeln nicht von der Angst vor einem angeblich unberechenbaren russischen Präsidenten leiten lassen. Ganz so unberechenbar, wie Putin es seine Gesprächspartner im Westen glauben machen will, ist er keineswegs.

Die Entscheidung zum Überfall auf die Ukraine beruhte offensichtlich auf kalkulierten, aber falschen Grundannahmen: dass die russische Armee die Kriegsziele innerhalb weniger Tage erreicht hätte und dass der Westen mit nicht allzu scharfen Sanktionen reagieren würde. Wer also der Ukraine helfen will, den Krieg zu beenden, muss jetzt den Preis für Russland erhöhen.

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Wenn der Westen keine Flugverbotszone einrichten will, wenn Deutschland und Österreich einen Stopp aller Energieimporte aus Russland scheuen, dann wäre ein sofortiges Ölembargo das Mindeste, was die EU-Staaten tun können. Das würde die Kosten dieses Krieges deutlich steigern, besonders wenn es mit der glaubwürdigen Drohung verbunden wird, auch den Kauf von Gas zu stoppen, falls Putin seine Truppen nicht zurückzieht.

Der Westen steht zudem vor dem Dilemma, dass sein Nichthandeln in jedem Fall dramatische Folgen hat. Die Fokussierung auf einen theoretisch möglichen russischen Einsatz von Massenvernichtungswaffen verstellt den Blick darauf, dass die russische Armee in der Ukraine schon jetzt schwerste Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung begeht. Die Stadt Mariupol ist in großen Teilen dem Erdboden gleichgemacht. Die Menschen, die in den Kellern ausharren und nicht entkommen können, drohen in diesen Tagen zu verhungern. Da die letzten beiden Journalisten die Stadt verlassen mussten, wird sich dieses Grauen nicht mehr vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielen.

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