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Regierungsbefragung im Bundestag: Die Kanzlerin stellte sich erstmals den Abgeordneten.

© Kay Nietfeld/dpa

Befragung der Kanzlerin im Bundestag: Angela Merkels kühler Return

Der Saal ist gefüllt fast wie zur Kanzlerwahl. Selbst in der Bundesratsbank sitzen welche. Erstmals stellt sich die Kanzlerin direkten Fragen der Abgeordneten.

Von Robert Birnbaum

Der Star des Tages kommt in Rot. Knallrot. So ungefähr wie „Mohnblumen im Sonnenuntergang“, nur noch viel knallroter. Das Rot leuchtet den ganzen kurzen Weg vom Eingang zum Plenarsaal bis zum erhöhten Kanzlerstuhl in der Regierungsbank, zieht Blicke auf sich und löst Getuschel aus.

Der Bundestag, so weit er Angela Merkels Kostümjackensprache versteht, weiß jetzt Bescheid. Rot steht für Kampfanzug. Dabei konnte man nach den Berichten und Kommentaren im Vorausblick auf diesen sozusagen historischen Mittwoch im deutschen Parlament leicht auf die Idee kommen, dass die Kanzlerin mal besser demütig im härenen Kittel erscheinen sollte, wie es sich geziemt für eine Vorladung zur Hinrichtung. Aber wer hier wen vorführt – es muss sich erst noch zeigen.

Tatsächlich sind alle ziemlich neugierig. Der Plenarsaal ist gefüllt fast wie zur Kanzlerwahl. Selbst in der Bundesratsbank sitzt der eine oder andere Ländervertreter, vom Wehrbeauftragten auf seinem Sonderstühlchen zu schweigen. Überhaupt kein Vergleich ist das zu der gähnenden Leere, die hier sonst beim regelmäßigen Tagesordnungspunkt „Befragung der Bundesregierung“ herrscht.

Aber genau deshalb, wegen des jahrzehntelangen Gähnens, soll es ja diesmal anders laufen. Die SPD hat Merkel im Koalitionsvertrag verpflichtet, sich drei Mal im Jahr zu stellen. Vor der Premiere liegt Anspannung in der Luft. Der AfD-Mann Gottfried Curio schiebt sein Platzmikrofon immer wieder rauf und runter, damit hinterher auch ja nichts klemmt. Merkel schnappt sich das Wasserglas auf ihrem Platz und leert es in einem Zug. Kann losgehen.

Um so geschäftsmäßiger geht Wolfgang Schäuble die Sache an. „Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass die Bundeskanzlerin heute persönlich zur Verfügung steht“, erklärt der Bundestagspräsident. Dann erläutert er die Regeln: Merkel hat eingangs fünf Minuten für ihr Wahlthema, den G-7-Gipfel nächstes Wochenende in Kanada. Zunächst 20 Minuten für Fragen zu diesem Thema. Ansonsten: Eine Minute pro Frage, eine Minute pro Antwort. „Höchstens eine Minute“, mahnt der Präsident. An den Saalwänden zählen gut sichtbare Digitaluhren die Sekunden und schalten zusätzlich von Grün über Gelb auf Rot.

Merkels Einführungsvortrag fällt aber schon mal kürzer aus als erlaubt. Sie stellt nur kurz die Themen des G-7-Treffens vor – abgesehen von Welthandel, Iran-Atomabkommen und Klimapolitik, also abgesehen von den Donald-Trump-Themen ist das zum Beispiel das Plastik in den Ozeanen, die Frauenrechte sowie „Verteidigung der Demokratie“ –, erklärt, dass es (wegen Trump) „schwierige Diskussionen“ geben werde, und kündigt an, dass man lieber kein Abschlusscommuniqué verfasst als eins, das (wegen Trump) hinter frühere Gemeinsamkeiten zurückfallen würde.

Ein kleines Friedensangebot

Nach drei statt fünf Minuten ist sie fertig. Das könnte ein kleines Friedensangebot sein. Denn dass die Regierung überhaupt dem Parlament ein Thema vorgeben darf, ist eins der Dauerärgernisse der traditionellen Fragestunde. Doch durch die lange Regierungsbildung ist die Reform der Geschäftsordnung stecken geblieben. Deshalb folgt die Premiere der alten Regel. So sind zum Beispiel diesmal auch noch keine Nachfragen erlaubt.

Die erste Frage hat die größte Oppositionsfraktion, also die AfD. Der Abgeordnete Hansjörg Müller will wissen, wann die Bundesregierung gedenke ihren „destruktiven, US-hörigen Sonderweg“ gegen Russland aufzugeben und mit Wladimir Putins Regierung wieder reden und Geschäfte machen wolle so wie zum Beispiel der französische Präsident Emmanuel Macron. Merkels Stimme ist ein kleines bisschen tiefer als sonst: Es werde dem Fragesteller ja gewiss nicht entgangen sein, dass sie – und übrigens in enger Abstimmung und in sehr einheitlicher Haltung mit Frankreich – sich mit Putin gerade in Sotschi getroffen habe. „Dialog ist immer wichtig“, sagt Merkel.

Als nächster ist ein Koalitionär dran. Achim Post von der SPD will wissen, was die Kanzlerin in Kanada für den Zusammenhalt Europas tun wolle (wegen Trump). Das ist nun ein weites Feld. Merkel gibt zu bedenken, dass man (trotz Trump) mit den USA ja immer noch auf einem gemeinsamen Wertefundament stehe, die Europäer aber lernen müssten einheitlich aufzutreten.

Als sie fertig ist, zeigt die Uhr seit 43 Sekunden auf Rot. Bei der AfD murren welche. Der Präsident weist das Murren zurück: Der Abgeordnete Müller habe in seiner ersten Frage auch überzogen, das habe er als Sitzungsleiter auch geduldet. „Erst mal vor der eigenen Tür kehren, bevor Sie mir Ratschläge geben“, raunzt Schäuble. Danach halten alle die Vorgabe ein. Muss man ja auch erst mal einüben.

Übrigens ist nach diesen ersten beiden Frage-Antwort-Runden bereits klar erkennbar, wie die nächsten 60 Minuten unter der Reichstagskuppel ablaufen werden. Wäre das Ganze ein Tennisturnier, würde man sagen: Die einen versuchen es mit allen möglichen Varianten des Aufschlags, vom aggressiven Schmetterschlag bis zur sanft servierten Vorlage – die andere plockt den Ball routiniert und mit minimalem Körpereinsatz irgendwo hinters Netz zurück.

Heldengalerie der AfD

Tatsächlich lernt man relativ wenig Neues von und über Merkel. Eher nebenbei kommt die Auskunft, dass Abschiebungen nach Afghanistan nicht mehr ausgesetzt werden sollen, weil der neue Lagebericht des Auswärtigen Amts am Hindukusch eine Normalisierung feststellt. In einem Halbsatz fällt die Bemerkung, dass über bilaterale Handelsverträge zu reden durchaus sinnvoll sei, auch mit den USA.

Dafür lernt man einiges über die Fragesteller. Es gibt da höchst unterschiedliche Charaktere und Methoden. Manche fragen relativ knapp wie der FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff, der wissen will, was denn nun mit dem europäisch-kanadischen Handelsabkommen Ceta wird – es wird, sagt Merkel, wie im Koalitionsvertrag festgelegt demnächst ratifiziert.

Andere nehmen ihr Fragerecht sehr global wahr. Der Linke Fabio De Masi etwa will wissen: „Was haben Sie konkret vor, die Lebensverhältnisse in Deutschland zu verbessern, einen Handelskrieg abzuwenden – und wäre es nicht an der Zeit, sich auch wieder mit Russland an den Tisch zu setzen?“ Darauf lässt sich beim besten Willen nicht in einer Minute antworten, zumal De Masi seine Wortmeldung auch noch mit einer längeren Beschreibung einer Republik prekärer Tagelöhner eingeleitet hatte. Merkel bleibt gar nichts anderes übrig als sich auszusuchen, worauf sie antwortet. Da wählt sie natürlich am liebsten das Schreckensbild und hält ihm die niedrigste Arbeitslosenzahl aller Zeiten entgegen.

An De Masi kann man gleich noch ein weiteres Phänomen illustrieren: Vielen ist die Frage nur Vorwand zur Attacke. Am deutlichsten wird das weit links und weit rechts. „Warum wollen Sie gemeinsam mit dem US-Präsidenten das Bündnis Nato weiter aufrüsten?“ wirft die Linke Sevim Dagdelen in den Saal. Der Mikrofonschieber Curio schießt mal wieder den Vogel ab. Der innenpolitische Sprecher der AfD bringt pro Satz üblicherweise dreieinhalb wüste Unterstellungen und Beschimpfungen unter sowie zwei weitere pro Nebensatz. Diesmal gipfelt seine Tirade über „Messerstecher“, „Vergewaltiger“, Merkels Amtseid und die angeblichen dauernden Rechtsbrüche in der Flüchtlingskrise in der Frage, wann die Kanzlerin endlich zurücktrete!

Auch darauf erwartet er natürlich keine Antwort. Der Auftritt dient bloß dazu, hinterher von der AfD-Fraktion per Twitter und Youtube in die Heldengalerie für die eigene Anhängerschaft gestellt zu werden. Merkel plockt auch diesen Feuerball kühl zurück. „In der humanitären Ausnahmesituation hat sich Deutschland sehr verantwortungsvoll verhalten.“ Und außerdem habe der Europäische Gerichtshof das damalige Vorgehen ja für rechtmäßig befunden.

Auftritt im Kampfanzug

Andere Schläge muss sie schon etwas schärfer parieren. Bei der FDP haben sie sich offensichtlich abgesprochen, der CDU-Chefin europapolitische Leichtfertigkeit in ihrer Interview-Reaktion auf die EU-Reformvorschläge von Emmanuel Macron anzuhängen. „Sie haben eine Antwort auf den französischen Präsidenten gegeben, nicht hier im Deutschen Bundestag, aber immerhin hinter der Bezahlschranke einer Sonntagszeitung“, stichelt Christian Lindner. Man könne den Eindruck gewinnen, da werde ein Dispokredit für Italien vorbereitet.

Merkel verwahrt sich dagegen: Ja, in Notlagen seien kurzfristige Kredite für Eurostaaten denkbar – aber nur bei kurzfristiger, kompletter Rückzahlung. Später will der FDP-Mann Christian Dürr noch mehr wissen über die „Ausweitung der Transferzahlungen“. Merkel wird deutlicher: Auch in der Wiederholung bleibe die Behauptung falsch.

So geht es 60 Minuten lang, über Klimaschutz und Diesel-Fahrverbote, China als Handelskonkurrenten und die Ausweitung des Programms der Deutschen Welle. Am Ende, Schäuble hat extra mitgezählt, werden 30 Fragen gestellt sein und 30 Antworten gegeben.

Ach ja, fast vergessen: der Aufreger dieser Tage kommt natürlich auch kurz vor. Die Grüne Katrin Göring-Eckardt will wissen, ob bei einer Ministerpräsidentenkonferenz Anfang 2015 über die Qualitätssicherung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gesprochen worden sei. Der FDP-Mann Stephan Thomae fragt nach, ob die Zeitungsberichte stimmten, nach denen der frühere Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise sie, die Kanzlerin, 2017 zwei Mal über die gravierenden strukturellen Probleme bei dem Amt informiert habe.

Das ist der einzige Moment, in dem der Kampfanzug zum Auftritt passt. Zwei Mal? 2017, also zwei Jahre nach dem großen Ansturm? Unzählige Male, ständig sei darüber gesprochen worden, auch mit den Ministerpräsidenten: „Herr Weise wäre überhaupt nicht ins Amt gekommen, wenn es dort nicht gravierende strukturelle Probleme gegeben hätte!“ Und Weise habe überhaupt erst seine nachträglichen Berichte geschrieben, weil sie ihn dazu ermuntert habe!

Lammert schaut zufrieden

Die letzte Frage kriegt die Grüne Katja Dörner. Ob „Sie auch ganz persönlich“ nicht die Zeit gekommen sehe, per Gesetz den Frauenanteil im Parlament zu erhöhen? Tja, sagt Merkel, sie bedaure den Zustand in der CDU/CSU. „Ich glaube, die Männer bedauern das auch.“ Nur liege es daran, dass CDU und CSU so viele Direktmandate gewonnen hätten, und den Wahlkreisen vorschreiben, dass sie keine Männer mehr aufstellten – hm. Schwierig, demokratisch gesehen.

Dann ist die Premiere vorbei. Oben auf der Ehrentribüne hat Norbert Lammert zugeschaut. Als Bundestagspräsident hat er für solch eine Stunde gekämpft. Der CDU-Mann ist immer am Widerstand der eigenen Truppen gescheitert. Jetzt schaut er zufrieden drein. „Ich finde, das hat doch den Nachweis geführt, dass das ein gutes Instrument nicht nur für das Parlament, sondern auch für die Bundesregierung ist“, sagt er. Nur etwas knapper könnte es noch werden, so wie in Kanada, wo für Frage und Antwort jeweils genau 27 Sekunden üblich sind.

In der Union sind sie aber plötzlich auch ganz zufrieden. Manche klingen wie nach dem Zahnarztbesuch, wenn er nicht gebohrt hat. Ehrlicherweise, sagt einer, habe es nie einen guten Grund gegeben, die Befragung der Kanzlerin zu verweigern. Und Merkel? Die bedauert halb ehrlich, halb im Spott: „So schade wie es ist, es ist halt zu Ende“, sagt sie im Abgehen. Aber keine Sorge: „Ich komm’ ja wieder!“

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