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Der Bundestag soll wieder kleiner werden.

© Christoph Soeder/dpa

Ampel will Bundestagsgröße deckeln: Der Plan zur Wahlrechtsreform ist ein lobenswerter Ansatz – mit Macken

Eine verlässliche Bundestagsgröße, kein Streit um Wahlkreise – die Ampel startet gut in die Wahlrechtsreform. Doch es bleiben Fragezeichen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Die Ampel-Koalition traut sich was. Sie hat jetzt einen Vorschlag vorgelegt, wie sie sich die Reform des Wahlrechts vorstellt, damit der Bundestag nicht immer weiter wächst. Es soll bei einer festen Zahl an Parlamentssitzen bleiben, ohne dass die Zahl der Wahlkreise verringert wird. Damit hat die Ampel eine Bresche geschlagen. Großes Lob dafür.

Der Bundestag hat bekanntlich Übergröße. 736 Abgeordnete sind einfach zu viel, wenn eine „Normalgröße“ von 598 Sitzen im Gesetz steht. Die Ursache dieser wundersamen Vermehrung – erst Überhänge, dann Ausgleichsmandate – ist seit vielen Jahren bekannt. So werden die hinteren Bänke weiter gefüllt, ohne wirklichen fachlichen und demokratischen Mehrwert.

Es gab schon einige Reformanläufe, zuletzt den der großen Koalition. Der ist bekanntlich krachend gescheitert. Man muss konstatieren: Das geltende Wahlsystem ist nicht reparaturfähig.

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Und nun will die Ampel es neu regeln. Sie tastet sich erst einmal etwas vorsichtig an die Reform heran. Die Koalition legt keinen ausformulierten Gesetzentwurf vor, sondern drei Abgeordnete skizzieren in einem Papier, wie ein neues Wahlrecht aussehen könnte. Da wird es nun eine ziemliche Debatte geben.

Aber der Sozialdemokrat Sebastian Hartmann, der FDP-Mann Konstantin Kuhle und der Grüne Till Steffen haben mit ihrem Vorschlag zumindest eines geschafft – sie haben der Reformdiskussion eine neue, bessere Richtung gegeben.

Zwei Festlegungen

Denn mit diesem Modell werden zwei Festlegungen getroffen, hinter die niemand mehr zurückgehen kann. Zum einen bestünde der Bundestag künftig immer und verlässlich aus 598 Abgeordneten. Er hätte eine feste Größe, was bei einem Parlament der Normalfall sein sollte. Kein Schwanken mehr bis hinauf auf 800 Sitze oder mehr, wie es bisher möglich ist.

Eine feste Zahl als Ziel, und zwar bedingungslos – das ist gut und richtig, denn ein Teil des bisherigen Gemurkses bei der Reform ging darauf zurück, dass man diese einfache Vorfestlegung nicht traf.

Zweitens vermeidet der Vorschlag den heillosen Streit um die Abschaffung von Wahlkreisen. Der hat die bisherige Wahlrechtsreformdebatte belastet wie kein anderer Punkt. Nun würde es bei 299 Wahlkreisen bleiben. Der Kleinkrieg unter den Abgeordneten um die Direktmandatsbewerbungen, die es bei einer starken Verringerung der Zahl gegeben hätte, wäre vom Tisch. Auch das ist gut so.

Das dicke Aber

Doch nun kommt das dicke Aber. Über alle Zweifel erhaben ist auch dieses Modell nicht. Einige dicke Fragezeichen stehen schon dahinter. Auch wenn die drei Ampel-Männer es nicht gern hören, weil sie sich Mühe geben, ein neues Wording in die Debatte einzuführen: Was sie vorschlagen, ist letztlich das altbekannte Kappungsmodell, das Überhänge (und damit die Aufwüchse) vermeidet, indem in entsprechender Zahl Direktmandate nicht zugeteilt werden. Ob das verfassungsrechtlich sauber ist, wird Teil der Debatte sein, und in der geht es nun vor allem um rechtliche Fragen.

[Lesen Sie den Überblick zum Ampel-Vorschlag bei Tagesspiegel Plus: Weniger ist mehr]

Der Vorschlag hat aber über das rein Juristische hinaus eine Folgewirkung. Das hergebrachte Modell der personalisierten Verhältniswahl, für den Bundestag seit 1949 genutzt, verbindet Mehrheitswahl in Wahlkreisen (Erststimme) und Proporzsystem (Zweitstimme für die Listen). Das übernimmt der Ampel-Vorschlag, daran führt kein noch so kunstvolles Wording vorbei.

Da vor Wahlen mittlerweile Prognosen bis auf die unterste Ebene gemacht werden, dürften jene Wahlkreise, in denen gekappt wird, leicht zu identifizieren sein. Dort findet der Wahlkampf unter anderen Bedingungen statt. „Kappungsgefährdete“ Bewerber sind eventuell benachteiligt. Chancengleichheit über alle Wahlkreise hinweg ist damit fraglich.

Gibt es Besseres?

Doch ist der Ampel-Vorschlag nicht die einzige Möglichkeit, dauerhaft 598 Mandate zu garantieren, ohne Wahlkreise abzuschaffen. Es gibt eine ganze Reihe von anderen Lösungen. Für alle gilt, wie immer beim Wahlrecht: Es gibt kein perfektes System. Alle haben ihre Pickel und Warzen. Und kein Wahlsystem dieser Welt ist ohne Macken.

Die Wahlrechtskommission des Bundestages hat nun die Aufgabe, auf der Basis des Ampel-Modells zu prüfen, ob es nicht doch noch etwas Besseres gibt.

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