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Vorwärts, es geht zurück! Eine Wehrpflicht bringt die Gesellschaft nicht weiter. Und die Bundeswehr schon gar nicht.

© Frank May/dpa

Alternative zur Wehrpflicht: Ein allgemeiner Dienst ist Gift für die Gesellschaft

Annegret Kramp-Karrenbauer entdeckt für die CDU eine allgemeine Dienstpflicht. Die löst jedoch weder sicherheitspolitische noch soziale Probleme. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sidney Gennies

Auf der Suche nach ihrem Markenkern ist die Union auf einen Zombie gestoßen. Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat ihn ausgebuddelt und seitdem torkelt die Idee einer allgemeinen Wehrpflicht wieder durch die Republik.

AKK will der Wiedereinführung eine „wichtige Rolle“ bei der Diskussion um das neue Grundsatzprogramm geben. In der Union jubeln sie. Auch die SPD zeigt sich offen. Und in einer Civey-Umfrage sprechen sich 56 Prozent für eine Rückkehr zur Wehrpflicht aus. Dabei ist der Zombie diesmal noch hässlicher als 2011, als er – im Übrigen von der Union – verscharrt wurde.

Denn nun keimt auch die Idee einer allgemeinen Dienstpflicht auf. Für alle ab 18 Jahre. Männer wie Frauen. Wer nicht zur Bundeswehr will, könne ja zum Technischen Hilfswerk, in Krankenhäuser oder in die Pflege. Da das Grundgesetz nach Paragraf 12 Zwangsarbeit verbietet, müsste man es gegebenenfalls eben ändern.

Die Bundeswehr braucht keine zwangsrekrutierten, unmotivierten Erwachsenen

Kramp-Karrenbauer selbst war klug genug, sich vorerst nicht festzulegen, ob ihr ein verpflichtender Dienst vorschwebt oder eine als „freiwillig“ verbrämte Verpflichtung, bei dem Dienstleistende Vorteile bei der Vergabe von Studien- oder Ausbildungsplätzen in Aussicht gestellt wird. Und sie war klug genug, den wahren Motiven die Erzählung beizumengen, eine Dienstpflicht könne den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.

Das Gegenteil ist wahr. Mag sein, dass die Debatte um Zwangsarbeit für junge Menschen die CDU wieder mit ihrem konservativen Teil versöhnt. Gesamtgesellschaftlich ist sie Gift, weil sie tut, als könnte sie dringend benötigte Reformen bei Bundeswehr, Gesundheits- und Sozialsystem ersetzen.

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Denn es stimmt ja, dass die Bundeswehr Rekrutierungsprobleme hat und zugleich künftig mehr gefordert sein wird, weil die USA mehr Einsatz von ihren Bündnispartnern einfordern. Doch die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands lassen sich nicht mit einem Heer zwangsrekrutierter, unmotivierter, junger Erwachsener verteidigen. Sie braucht Menschen, die überzeugt sind von dem, was sie tun, und den komplexen Einsätzen gewachsen sind, denen sich die Bundeswehr weltweit gegenüber sieht.

Der reale Riss in der Gesellschaft

Dabei wäre es für die Landesverteidigung ja fast schon egal, ob nun Hochmotivierte oder Wehrpflichtige an dem maroden, fehlerhaften oder schlicht fehlenden Gerät der Truppe scheitern. Perfider wird es beim Dienst im Gesundheitssystem. Wer jemals Zivildienst geleistet hat, mag sich erinnern, was passiert, wenn ungeschultes Personal zwangsverpflichtet auf die Schwächsten der Gesellschaft losgelassen wird.

Auf die Kranken, die Alten, die Hilfsbedürftigen. Jene, die verdienen, dass ihnen mit Respekt und Kenntnis begegnet wird. 35 000 Fachkräfte fehlen in der Pflege. Da liegt das Problem. Sicher können einige Hilfsjobs auch Ungelernte übernehmen, wie es ja bereits geschieht und Menschen, die sich ihre Rente oder Grundsicherung aufbessern müssen, mit schlecht bezahlter Arbeit versorgt

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Der Riss, den die Union mit dem allgemeinen Dienst vorgeblich zu kitten versucht, ist real. Er verläuft zwischen Arm und Reich. Dort, wo der Dienst am Menschen so schlecht vergütet wird, dass ihn kaum noch jemand leisten will. Zwischen Alt und Jung. Dort, wo demografiebedingt eine Alterskohorte das Sagen hat, die die Folgen ihrer Entscheidungen nicht mehr erleben wird. Und zwischen Politik und Bürgern.

Dort, wo nicht mehr verstanden, nicht mehr erklärt wird, was gewollt ist mit der Macht. Eine Partei, die sich mit Debatten von vorgestern um diese Zukunftsfragen drückt, wird bald selbst zum Zombie.

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